Israel und Griechenland, die beide teilweise problematische Nachbarschaftsbeziehungen zur Türkei pflegen, gehören zu den Ersten, die nun zu Hilfe eilen. Selbst ein Einsatz in Syrien wird in Jerusalem debattiert.

Die israelische Hilfsoperation "Olivenzweige" bricht Richtung Türkei auf.
Foto: IDF Handout via REUTERS

Israelische Militärflugzeuge neben Maschinen aus den erzverfeindeten Staaten Iran und Katar, griechische Helferinnen und Helfer in der Türkei, die Athen regelmäßig mit Krieg droht: Es braucht wohl eine Naturkatastrophe, um solche Szenarien im Nahen Osten zu ermöglichen. Das verheerende Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion hat eigentlich verfeindete Länder zusammenrücken lassen – jedenfalls für einen Moment.

Schon wenige Stunden nach dem verheerenden Erdbeben, das tausende Menschen in der Türkei und in Syrien das Leben kostete und auch im Norden Israels spürbar war, hatte die israelische Regierung ihre unbedingte Bereitschaft zur humanitären Hilfe erklärt.

Operation "Olivenzweige"

Zusätzlich zu den Soldaten und Soldatinnen der Heimatfront, die bereits am Tag zuvor aufgebrochen waren, machten sich in der Nacht auf Dienstag auch 230 Bergungskräfte, Mediziner, Pflegekräfte und Psychologen auf den Weg in die Türkei. Sie sind dort im Rahmen der israelischen Hilfsoperation "Olivenzweige" tätig, um Verschüttete zu lokalisieren, zu retten und medizinisch zu versorgen. Dazu kommen Lieferungen humanitärer Güter wie dringend benötigter Zelte, Decken, Medikamente und Hygienematerials.

Bei der medizinischen und psychologischen Erstversorgung nach der Tragödie kommt den Truppen eine israelische Innovation zu Hilfe, die schon in der Ukraine im Einsatz war: Ein umfassend ausgestattetes Feldspital, das in kürzester Zeit in betroffenen Gebieten aufgebaut werden kann, wird nun auch in der Türkei errichtet. In dem Feldspital ist man in der Lage, Patienten intensivmedizinisch zu betreuen.

Hilfe für Syrien angedacht

Die israelische Armee betont, dass sich die Hilfe auf die betroffenen Gebiete in der Türkei beschränkt. Israel hat mit der Türkei im Vorjahr einen Prozess der diplomatischen Normalisierung eingeleitet. Mit Syrien befindet sich Israel jedoch nach wie vor offiziell im Krieg. Am Montag hatte Premierminister Benjamin Netanjahu verkündet, dass Israel auch Syrien mit Hilfsgütern versorgen werde. Die Frage, ob Israel in Syrien humanitär tätig werden soll, ist in Israel, aber auch in Syrien heftig umstritten.

So kam aus Syrien auch umgehend ein Dementi, was mögliche israelische Hilfslieferungen betrifft. Solche Aussagen des israelischen Premierministers seien Fake News, heißt es. Zu keinem Zeitpunkt habe das syrische Regime Israel um eine Unterstützung in der Krise gebeten, berichtet die syrische Zeitung "Al-Watan".

Viel Erfahrung

Zwar wäre es nicht das erste Mal, dass Israel in Syrien humanitäre Unterstützung leistet. Während des Bürgerkriegs versorgten israelische Ärzte syrische Kriegsopfer und lieferten Hilfspakete. Israelische Freiwillige unterstützten die Versorgung syrischer Flüchtlinge an der Grenze, auch das war mit der Armee koordiniert.

Syrien bleibt aber heikles Terrain. Immer wieder greifen israelische Kräfte proiranische Ziele in Syrien an. Nachdem Netanjahu am Montag mit der Ankündigung einer geplanten Syrien-Hilfe vorgeprescht ist, ist es ruhig geworden um die mutmaßliche humanitäre Aktion. Die israelische Armee ging auf Distanz und verwies auf das Büro des Ministerpräsidenten. Gerüchteweise soll ein Hilfsersuchen für syrische Opfer von Russland übermittelt worden sein, Bestätigungen dafür gibt es nicht. Sollten israelische Lieferungen nicht nur in die Türkei, sondern auch nach Syrien gehen, wird das unter dem Radar vonstattengehen: Denkbar ist beispielsweise, dass Lieferungen über die Koordination mit dem Außenministerium mittels Freiwilligenorganisationen abgewickelt werden.

"Wir sind Nachbarn"

Auch Griechenland gehört zu den ersten Ländern, das dem östlichen Nachbarn nach dem Katastrophenbeben zu Wochenbeginn an der türkisch-syrischen Grenze zu Hilfe eilte. Die linke Tageszeitung Ef Syn titelte am Mittwoch: "Solidarität in den Trümmern".

Schon am Montagnachmittag war eine Transportmaschine vom Typ C-130 vom Militärflughafen Elefsina abgehoben und drei Stunden später in İncirlik gelandet. An Bord befanden sich 21 Spezialkräfte der griechischen Feuerwehr, zwei Spürhunde, ein Rettungsroboter sowie Hilfsgüter.

"Was immer passiert: Wir sind Nachbarn und müssen uns in schwierigen Zeiten gegenseitig helfen", betonte Kyriakos Mitsotakis am Montag in einem Interview mit CNN. Der griechische Regierungschef griff zum Hörer und brachte dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sein Mitgefühl und seine Solidarität zum Ausdruck. Und Erdoğan vergaß, dass er Mitsotakis seit Monaten als Persona non grata behandelt. "Für mich", soll er im Mai 2022 gesagt haben, "gibt es niemandem mehr, der Mitsotakis heißt."

Allenthalben rekurriert man in diesen Tagen in den griechischen Medien auf die sogenannte Erdbebendiplomatie, die 1999 ein Tauwetter in den bilateralen Beziehungen einleitete. Damals erschütterte im August in der Türkei ein großes Beben die Region um das Marmarameer und einen Monat später die griechische Hauptstadt. Beide Länder leisteten in der Folge schnell gegenseitige Hilfe. Das Eis in den frostigen Beziehungen schmolz. Als Ergebnis davon tanzte man gemeinsam, wie Anfang 2001 der damalige Außenminister und spätere Premier Jorgos Papandreou mit seinem türkischen Amtskollegen İsmail Cem. Die Lösung offener Probleme kam im Endeffekt nicht entscheidend voran, aber die Stimmung war gut. Der Konfrontationskurs endete – vorübergehend.

"Feindschaft nicht mitgetragen"

Das menschliche Leid an der türkisch-syrischen Grenze lässt auch jetzt wieder die bilateralen Spannungen in den Hintergrund treten. Das Säbelrasseln wird wohl einige Zeit verstummen, etwa der Disput um ausschließliche Wirtschaftszonen und die damit verbundenen Ausbeutungsrechte für fossile Brennstoffe im östlichen Mittelmeer.

Die Diplomatie hinter verschlossenen Türen war trotz des martialischen Getues in erster Linie vonseiten Erdoğans – der Athen gar mit Raketen drohte oder eine Invasion "bei Nacht" androhte – nie ganz tot. Auf Initiative Berlins kam es Ende des Vorjahres zu einem Treffen auf Beraterebene. Mitte Februar scheint am Rande eines Nato-Gipfels in Brüssel ein Austausch zwischen den Verteidigungsministern beider Länder sehr wahrscheinlich.

Einer, der es wissen muss, Jorgos Papandreou, sagte in dieser Woche gegenüber den New York Times: "Die Erdbeben zeigen, wie viel wir gemeinsam haben und dass Feindschaft zwischen unseren beiden Ländern nicht von den Menschen mitgetragen wird."

Noch am Montag machte sich ein Vortrupp des israelischen Militärs auf den Weg in die Katastrophenregion an der türkisch-syrischen Grenze. (Maria Sterkl aus Jerusalem, Robert Stadler aus Athen, 9.2.2023)