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Single zu sein ist nicht mehr so stark stigmatisiert wie früher – aber gibt es deshalb auch mehr Singles?
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Die Menschen würden lieber ihre Freiheit genießen, anstatt sich an jemanden zu binden. Sie würden sich mehr auf sich selbst, ihr Leben und ihre Karriere fokussieren. Außerdem hätten sie keine Lust, Kompromisse einzugehen.

So wird häufig argumentiert, wenn es um die Liebesbeziehungen der heutigen Zeit geht. Zeitungen schreiben darüber, warum angeblich immer mehr Menschen alleine und einsam sind. Und "Warum gibt es immer mehr Singles?", fragt auch der Beziehungspsychologe und Buchautor Wieland Stolzenburg. Auf seiner Website liefert er fünf Erklärungsansätze. Er argumentiert, dass Single zu sein längst kein Makel mehr sei. Es gebe fast keinen gesellschaftlichen Druck mehr, mit 30 schon verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Scheidungen seien ebenfalls nichts Ungewöhnliches mehr.

Auch die steigende Zahl der Singlehaushalte wird häufig ins Treffen geführt, wenn es um die angeblich zunehmende Zahl der Alleinstehenden geht. Aber stimmt die These von der Singlegesellschaft?

Daten aus Deutschland

Eine Studie des Heidelberger Soziologen Jan Eckhardt würde dafür sprechen. Sie liegt allerdings schon ein paar Jahre zurück und fokussiert nur auf heterosexuelle Beziehungen. Eckhardt analysierte 2015 die Daten von 20.000 Deutschen, die für das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) wiederholt befragt worden waren – auch zum Thema Partnerschaft. Eckhardt kam zu dem Schluss, dass zwischen 1993 und 2009 der Anteil der Singles bis 60 Jahre um 8,5 Prozent gestiegen ist.

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"Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man im Laufe seines Lebens einen Teil des Weges ohne einen Partner oder eine Partnerin geht", sagt Soziologin Christine Geserick.
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Eine große Rolle für die zunehmende Zahl der Singles in Deutschland spielen ihm zufolge "demografische Engpässe". Während Mitte der 1960er-Jahre die geburtenstarken Jahrgänge waren, sanken die Geburtenzahlen in den nachfolgenden Jahrgängen ab. Bis zu 40 Prozent weniger Kinder wurden in Deutschland geboren. Da sich Männer bei der Partnersuche meist auf die zwei bis vier Jahre jüngeren Frauen konzentrierten und die Frauen sich auf die zwei bis vier Jahre älteren Männer, könne dies eben zu Engpässen bei der Partnersuche führen. Denn die vielen Männer aus den geburtenstarken Jahrgängen würden um die wenigen Frauen aus den zahlenmäßig kleineren Jahrgängen "konkurrieren".

Aber auch gesellschaftliche Veränderungen würden das Single-Leben begünstigen – etwa, dass Frauen zunehmend erwerbstätig sind. "Durch das eigene Einkommen der Frauen verliert die traditionelle Versorgungsfunktion einer Beziehung an Bedeutung", meint Soziologe Eckhard. Nicht-intakte Beziehungen würden nicht mehr aus rein finanziellen Gründen aufrechterhalten.

Aber auch die Erfahrung, als Kind bei einer alleinerziehenden Mutter aufzuwachsen, führe dazu, dass Frauen häufiger ohne Partner leben würden. Sie lernen früh das Verhalten und die Bewältigungsstrategien der Mutter kennen und sind dadurch gut auf das Leben ohne Mann vorbereitet – in der Familiensoziologie sei dabei von einem sogenannten Transmissionseffekt die Rede.

Immer höhere Ansprüche

Der US-Psychologe Greg Matos beobachtet ebenfalls, "dass immer mehr Menschen weltweit Single sind". Vor allem Heteromänner seien mit ihrem Beziehungsstatus häufig unzufrieden, sagt er. Sein Artikel mit dem Titel "What's Behind the Rise of Lonely, Single Men" wurde im Fachblatt "Psychology Today" veröffentlicht. Männer im jungen und mittleren Alter seien einsamer als Generationen vor ihnen. "Und das wird wahrscheinlich noch zunehmen."

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Da auf Datingplattformen mehr Männer sind, selektieren Frauen härter, sagt der US-Psychologe Greg Matos.
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Weil mehr als 60 Prozent der Userinnen und User von Dating-Apps Männer sind, hätten sie weniger Chancen auf ein Date als Frauen, erklärt Matos im Interview mit dem STANDARD. Dazu komme, dass die Ansprüche der Frauen an potenzielle Partner in den vergangenen Jahren zugenommen haben. In seinen Gesprächen merkt Matos: Frauen suchen nach emotional präsenten Partnern, die gut kommunizieren können und ihre Werte teilen. Sie wollen eine Beziehung auf Augenhöhe führen.

Männer – oft aufgewachsen mit patriarchalen Geschlechterrollen – hätten jedoch Probleme, diesen Erwartungen auch gerecht zu werden. Matos spricht deshalb von einem "relationship-skills-gap", einer Kluft der Beziehungsfähigkeiten. Würden Männer diese nicht angehen, hätten sie Schwierigkeiten, zu Dates zu kommen, und ihnen drohe ein längeres Dasein als Single.

"Während früher die Männer und ihre Ansprüche bestimmend gewesen sind, ändert sich das jetzt", schlussfolgert Matos. Sein Artikel in "Psychology Today" ging viral, und als Reaktion darauf erhielt der Therapeut zahllose Hassmails von Männern. Künftig werde es darum gehen, die Rollen in einer Beziehung weiter auszuverhandeln, ist der Psychologe überzeugt.

"Während früher die Männer und ihre Ansprüche bestimmend gewesen sind, ändert sich das jetzt."
- Greg Matos, Paarpsychologe

Auch er weist darauf hin, dass Frauen heute meist für sich selbst sorgen können, Geld verdienen und nicht mehr auf einen Partner angewiesen sind. "Frauen schauen sich ihre Beziehung ganz genau an, sind unzufrieden und beenden sie. Heiraten sie noch mal? Womöglich nicht."

"Eher ein temporäres Phänomen"

Christine Geserick ist Familiensoziologin am Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien. Sie bezweifelt, dass es immer mehr Singles in der Gesellschaft gibt. "Ich denke, Single zu sein ist zumindest in jüngeren Jahren eher ein temporäreres Phänomen", sagt die Soziologin. Wenn in Studien ausschließlich die Zahl der Ein-Personen-Haushalte herangezogen werde, sei das nicht aussagekräftig. Denn dass jemand alleine lebt, ist nicht gleichbedeutend damit, dass er keine Partnerschaft hat. Auch die Statistik Austria erhebt lediglich die Zahl der Singlehaushalte. Der Beziehungsstatus werde nicht abgefragt, heißt es auf Anfrage.

Die Individualisierung sei ebenfalls kein Indikator. "Individualisierung bedeutet nämlich nicht, dass man als Individuum allein sein möchte", sagt Geserick. "Gemeint ist, dass der Mensch in seinen Entscheidungen nicht mehr so sehr von sozialen Gruppen beeinflusst wird, sondern stärker auf sich selbst zurückgeworfen ist." Was Partnerschaften angeht, bedeute das: "Ich muss mich selbst darum kümmern, mit wem ich zusammen sein will." Die Eltern würden bei der Partnerwahl nicht mehr mitreden, und es gebe weniger soziale und ökonomische Zwänge. "Individualisierung heißt nicht, dass wir egoistischer werden und uns alles andere egal ist. Wir haben nach wie vor im Blick, jemand Zweites zu haben – aber sind freier in der Entscheidung, wer dieser Zweite ist."

"Individualisierung heißt nicht, dass wir egoistischer werden und uns alles andere egal ist. Wir haben nach wie vor im Blick, jemand Zweites zu haben – aber sind freier in der Entscheidung, wer dieser Zweite ist."

– Christine Geserick, Familiensoziologin

Auch der "Single-Atlas" von Parship lässt Zweifel daran, ob die These von der Singlegesellschaft so stimmt. Seit 17 Jahren lässt die Plattform für Partnervermittlung die Zahl der alleinstehenden Personen erheben. Die Ergebnisse zeigen: Sie liegt in der Altersgruppe 18 bis 75 Jahren konstant bei rund 30 Prozent der Bevölkerung.

Einen Teil des Weges allein

Was laut der Soziologin aber stimmt: "Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man im Laufe seines Lebens einen Teil des Weges ohne einen Partner oder eine Partnerin geht." Ein Grund dafür sei, dass die Menschen länger leben. Ein anderer, dass die Biografie nicht mehr so stark von bürgerlichen Normen bestimmt ist. "Man muss nicht mehr in einer Beziehung bleiben, die einem nicht guttut. Man darf sich trennen oder eine Zeitlang ohne Partner oder Partnerin sein ohne dafür schiefe Blicke zu ernten." Singles kämen in der heutigen Zeit "sehr gut allein zurecht". Auch ökonomisch gesehen.

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Frauen sind die zufriedeneren Singles, wie Studien des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) gezeigt haben. Auch andere Untersuchungen legen das nahe.
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Geserick meint außerdem, "dass das Argument der bewussten Entscheidung nicht überwertet werden darf". Natürlich gebe es Menschen, die sich bewusst gegen eine Beziehung entscheiden. "Aber Singlesein passiert auch." Gerade Männer, die nicht liiert sind, leiden häufig darunter, wie Geserick und ihre Kolleginnen und Kollegen in Befragungen feststellten. "Frauen kommen ohne Partner offenbar besser zurecht." Ebenfalls interessant: "Sie reflektieren auch stärker, ob sie in ihrer aktuellen Beziehung überhaupt glücklich sind – oder ohne einen Partner nicht vielleicht besser dran wären." Gerade weil die emotionalen Erwartungen an Beziehungen zugenommen hätten, seien sie fragiler.

Die Soziologin ist überzeugt, dass sich Menschen auch künftig noch nach Zweisamkeit sehnen und Beziehungen eingehen werden. Was jedenfalls dafür spricht: "Der Wunsch, sich formal aneinander zu binden, steigt wieder." Das "Ideal der bürgerlichen Familie" werde auch künftig bestehen bleiben, da ist sich Geserick sicher. Gleichzeitig würden alternative Formen von Beziehung immer stärker an Akzeptanz gewinnen – etwa polyamore Beziehungen. (Lisa Breit, 14.2.2023)