Das Lieferkettengesetz soll Verstöße gegen die Menschenrechte und Umweltschäden entlang von Europas Handelsketten stoppen.

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Für einen Moment wird es ganz ruhig in dem halbrunden Sitzungssaal, in dem der Umweltausschuss des EU-Parlaments am Donnerstag in Brüssel tagt. Die Abgeordneten stimmen mittels Knopfdruck ab, wie sie in die Verhandlungen um das Lieferkettengesetz gehen wollen – dieses soll Unternehmen ab einer bestimmten Größe dazu verpflichten, mögliche Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden entlang ihrer Lieferketten zu prüfen. Ob das Gesetz Missstände aber tatsächlich ausräumen kann, hängt an den Details, die jetzt verhandelt werden.

Kurz darauf blinkt das Ergebnis auf einem Bildschirm vorne im Saal auf: Mit 39 zu 34 Stimmen ist der Kompromisstext angenommen. Einige Abgeordnete klatschen. Damit entscheiden sie: Der Ausschuss will den Vorschlag der EU-Kommission nachschärfen und strengere Regeln für den Klima- und Umweltschutz verankern.

Weniger Emissionen in den Lieferketten

Der Ausschuss fordert zum Beispiel, dass das Unternehmen wissenschaftsbasierte Reduktionsziele für sowohl direkte als auch indirekte Treibhausgasemissionen bekommen, die in der Lieferkette entstehen. Für eine Supermarktkette wurde das etwa heißen, dass sämtliche Emissionen, die beim Transport von Obst und Gemüse aus Übersee entstehen, eingerechnet und entsprechend reduziert werden müssen.

Außerdem will der Ausschuss dezidiert auch die Böden schützen und den Übergang zur Kreislaufwirtschaft in das Gesetz schreiben. Unternehmen müssten dann nachweisen, dass sie sorgfältig prüfen, dass ihre Produkte keinen negativen Einfluss auf diese Bereiche haben.

Auch einige weitere Vorschläge der EU-Kommission sollen nachgeschärft werden: Unter anderem will der Ausschuss, dass die Regeln bereits für Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden oder 40 Millionen Euro Umsatz gelten.

Die Kommission sieht diese Schwelle nur für sogenannte Risikosektoren vor – also Bereiche, in denen es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden kommen. Das betrifft unter anderem die Textilbranche, Landwirtschaft, Fischerei und Bergbau. Für alle anderen Bereiche steckt sie die Latte bei 500 Mitarbeitenden und 150 Millionen Euro.

Nachschärfung nimmt erste Hürde

Zwar ist mit der Abstimmung im Umweltausschuss noch nichts endgültig entschieden – das EU-Parlament legt seine finale Position voraussichtlich im Mai im Plenum fest. Trotzdem hat die Entscheidung im Umweltausschuss Gewicht: Er hat im Parlament die Kompetenz bei Umwelt- und Klimathemen und ist häufig jenes Gremium, das die ambitioniertesten Entscheidungen trifft.

Allerdings war die Abstimmung zum Lieferkettengesetz am Donnerstag eben nur die erste Hürde – die Diskrepanz zwischen den Fraktionen ist weiterhin groß. So sieht etwa die europäische Volkspartei, die EVP, die Nachschärfungen des Umweltausschusses skeptisch.

ÖVP-Abgeordneter Alexander Bernhuber, der den Kompromiss im Umweltausschuss abgelehnt hat, warnt vor einer "angedrohten Bürokratie-Lawine" und vor Nachteilen für kleine Betriebe. Warum, das erklärt er am Beispiel von Schraubverschlüssen von Apfelsaftflaschen: Eine Supermarktkette mit über 250 Mitarbeitenden müsste die Wertschöpfungskette all ihrer Produkte prüfen. Weil sie das aber nicht selbst tun könnten, würden sie Nachweise von ihren Lieferanten fordern, meint der Abgeordnete.

Der Apfelsaftvermarkter müsste dann überprüfen, ob es bei der Produktion von den Schraubverschlüssen, die er zukauft, zu Zwangsarbeit kam. "Wenn das der Direktvermarkter nicht nachweisen kann, darf die Supermarktkette den Apfelsaft gar nicht kaufen", glaub Bernhuber. "Das Resultat wäre, dass große Unternehmen nur noch von großen Lebensmittelproduzenten kaufen werden, die sich diese Überprüfungen leisten können."

"Es wird so getan, als wären Lieferketten heute im rechtsleeren Raum"

Anwältin Michaela Krömer hält die Aufregung für ungerechtfertigt. "Es wird so getan, als wären Lieferketten heute im rechtsleeren Raum", sagt sie. "Auch heute wird hier schon reguliert." Zudem hätten Unternehmen bei Angaben zur Produktqualität auch keine Probleme. Die Wahrung von Menschenrechten müsse ebenfalls möglich sein, argumentiert Krömer. Beispiele wie Fairtrade-Produkte würden zeige, dass es gehe.

Außerdem bringe das Lieferkettengesetz nach dem derzeitigen Stand eine "Bemühungspflicht", keine "Erfolgspflicht", erklärt die Anwältin. Das heißt, dass Unternehmen nur nachweisen können müssen, dass sie entsprechende Risikoanalysen durchführen. Unterschiedliche Unternehmensgrößen würden dabei unterschiedlich behandelt.

Risikoanalyse als Vorteil für regionale Produkte

Darauf verweist auch Anna Leitner von Global 2000. Es gelte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit – kleine Unternehmen bekämen weniger Verantwortung als die großen. Zudem hätten Direktvermarkter aufgrund der hohen Sozial- und Umweltstandards in Österreich sogar einen Vorteil gegenüber internationaler Handelsriesen.

Das gelte umso mehr, weil das Gesetz ein "Priorisierung von Risiken" vorsieht – zum Beispiel sollen Fleisch-Zulieferer aus Drittstaaten genauer geprüft werden, als Produkte aus der Region, erklärt Leitner. Damit gebe es einen klaren Vorteil für einen lokalen Apfelsaftvermarkter. Außerdem seien Unternehmen, die ihre Lieferketten gut kennen, krisenfester, meint Leitner.

Krömer ergänzt: "Mit klaren Regelungen ist es viel einfacher, Lösungen zu finden".