Der 22. November 2022 war ein guter Tag für Patrick Hansen. Für den Kampf gegen Korruption und Geldwäsche dagegen war dieser Dienstag im Herbst ein herber Rückschlag – weil er all jenen in die Karten spielt, die mitten in der Europäischen Union schmutziges Geld hinter sauberen Fassaden verstecken wollen.

Die Oligarchen und deren Helfershelfer in den Großkanzleien und Wirtschaftsberatungen dürften sich gefreut haben, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) dem Luxemburger Hansen, Chef eines der größten privaten Flugzeugbetreiber weltweit, recht gab: Fortan soll in EU-Mitgliedsstaaten nicht mehr für jedermann einsehbar sein, wer als Eigentümer hinter einer bestimmten Firma steht. Hansens Argument: Sonst seien die Sicherheit und das Leben seiner Familie in Gefahr.

Das Urteil war kaum publik, da ging das sogenannte Transparenzregister in Luxemburg bereits offline. Es folgten die entsprechenden Datenbanken in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Damit wurden mit einem Richterentscheid jahrelange, wenn nicht jahrzehntelange Anstrengungen zunichtegemacht. Von einem Tag auf den anderen war nicht mehr öffentlich einsehbar, wer sich hinter verworrenen Konstruktionen aus Briefkastenfirmen, Stiftungen und Trusts versteckt.

Es sei eine "perverse Entscheidung", kritisiert der Steueroasen-Experte Andres Knobel von der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network. Andere sprechen von einem "totalen Desaster". Ausgerechnet in einer Zeit, in der Ermittler, Journalisten und Aktivistinnen auf der ganzen Welt versuchen, Vermögen von sanktionierten Russen aufzuspüren und einzufrieren, wird eines der wichtigsten Werkzeuge für diese Detektivarbeit kaputt gemacht. Ein Zufall?

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg schränkt den Zugang der Öffentlichkeit zum Transparenzregister ein.
Foto: imago images / Patrick Scheiber

Der Kläger verfügt über dutzende Firmen

Eine vom Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) initiierte internationale Recherche, an der auch der STANDARD und der "Spiegel" beteiligt waren, zeigt: Hansen – der Mann hinter der EuGH-Klage – verfügt über fragwürdige Verbindungen nach Russland, etwa zu einem ehemaligen Duma-Abgeordneten von Wladimir Putins Partei "Einiges Russland" und einem Geschäftsmann, der am Bau der mittlerweile sanktionierten Pipeline Nord Stream 2 beteiligt war.

Der Geschäftsmann und dessen Sohn finanzierten offenbar die Expansion von Hansens Firma Luxaviation mit Darlehen und Kreditlinien im Volumen von insgesamt mehr als 90 Millionen Euro. Hansen bestreitet die Summe. Das Geld floss nach – "Spiegel"- und OCCRP-Recherchen in weiten Teilen über undurchsichtige Firmenkonstrukte, unter anderem auf den Britischen Jungferninseln – einer notorischen Steueroase, die für ihre Intransparenz berüchtigt ist.

Außerdem ist Hansen Geschäftsführer mehrerer luxemburgischer Firmen, die einem irakischen Geschäftsmann gehören, der wegen seiner Verwicklungen in den Korruptionsskandal um den Elf-Aquitaine-Konzern zu einer Geldstrafe von zwei Millionen Euro verurteilt worden war. Hansen erklärte dazu, dass der Iraker mittlerweile längst rehabilitiert sei.

Insgesamt dirigierte Hansen über die Jahre als Geschäftsführer ein Netz von etwa 110 Firmen, viele davon mit Sitz in Steueroasen wie den Britischen Jungferninseln, Zypern oder Belize. Der Geldwäscheexperte Graham Barrow spricht in diesem Zusammenhang von etlichen "red flags": Warnsignalen, die eigentlich Ermittlungen auslösen sollten. "Hier müssten die Behörden hinschauen und sich fragen, ob alles mit rechten Dingen zugeht", sagt der Finanzexperte Konrad Duffy von der Bürgerbewegung Finanzwende. Hansen erklärte dazu, sich an alle geltenden Vorschriften zu halten.

Neue Richtlinie wieder außer Kraft

Die Richtlinie, deren Regelung durch Hansens Klage außer Kraft gesetzt wurde, hatte die EU erst 2018 beschlossen – eher zum Unmut jener Finanzplätze und EU-Länder, die häufig von nicht ganz sauberen Finanzpraktiken profitieren. Letztendlicher Auslöser war die Veröffentlichung der sogenannten "Panama Papers", die den milliardenschweren Missbrauch anonymer Firmenkonstruktionen in verschwiegenen Steueroasen und die laxen Transparenzregeln in vielen europäischen Ländern offengelegt hatten.

Um Geldwäschern und Terrorfinanziers das Geschäft zu erschweren, sollten die Mitgliedsstaaten spezielle Register einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Zuvor durften nur Personen Einblick nehmen, die ein "berechtigtes Interesse" nachweisen konnten. Nun sollten die Informationen praktisch jedem zur Verfügung stehen. Das Kalkül dahinter: Oftmals sind es nicht staatliche Fahnder und Ermittler, sondern Journalisten, Aktivisten oder schlichtweg interessierte Bürger, die das Treiben von Autokraten, Oligarchen und ihren Familien offenlegen. Andrej Kostin, einem mit Sanktionen belegten Oligarchen, der oft als "Putins Banker" bezeichnet wird, kamen Journalisten im vergangenen Jahr beispielsweise mithilfe des zypriotischen Firmenregisters auf die Schliche.

Dieser Rechercheweg aber ist seit dem folgenschweren Urteil in vielen Ländern nun verbaut. Und die Auswirkungen gehen weit über Europa hinaus. "Es gibt wichtige Finanzzentren wie die Britischen Jungferninseln oder Jersey, die sich bereiterklärt hatten, ihre Register zu öffnen, und nun hat diese Gerichtsentscheidung große Auswirkungen auf diese Länder", sagt Maíra Martini von Transparency International. "Wir sehen gerade, dass der Zugang zu Informationen weltweit gesperrt wird."

Hansens Firmenkonstrukte reichen bis in Steueroasen wie Belize.
Foto: APA/AFP/JOHAN ORDONEZ

Hansen selbst beharrt darauf, dass es "nie" sein Anliegen gewesen sei, "Transparenzregister schließen zu lassen". Er habe lediglich verhindern wollen, dass jedermann über seine Vermögen Bescheid wisse. "Niemand läuft gern durch ein unsicheres Stadtviertel, wenn ihm vorher auf die Stirn geschrieben wurde, wie viel Geld er in der Tasche hat." Dass aus dem luxemburgischen Transparenzregister ebenso wenig wie aus anderen europäischen Registern hervorging, wie reich Hansen ist? Geschenkt! Die Datenbank gab lediglich Auskunft darüber, welche Firmen ihm gehören.

Vor Gericht argumentierte Hansen, dass allein durch die Informationen zu seinen Firmen seine Sicherheit und die seiner Familie in Gefahr seien. Ein zumindest fragwürdiges Argument: In vielen nordischen Ländern sind sogar die Steuerbescheide von Bürgerinnen und Bürgern online zugänglich – und trotzdem kommt es nicht zu mehr Gewalttaten gegenüber Reichen und Vermögenden. Öffentlich einsehbare Transparenzregister würden das Grundrecht auf Privatsphäre nicht beeinträchtigen, erklärte die finnische Regierung in einem Schreiben an die Luxemburger Richter, das dem "Spiegel" vorliegt – auch, weil solche Register die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ermöglichten und dies "legitime Ziele" seien.

Seine Aufenthaltsorte postet er im Internet

Hansens wohl bekannteste Firma ist die auch in Deutschland tätige Luxaviation-Gruppe, einer der größten privaten Flugzeugbetreiber weltweit. Dass das Unternehmen Hansen gehört, ist längst bekannt. Er selbst erwähnt die Firma regelmäßig in seinen Beiträgen auf Instagram und Facebook, wie Hansen auf Nachfrage des "Spiegel" auch bestätigte. "Aber ich offenbare nicht, wie groß mein Anteil an der Gesellschaft ist oder welche Firmen ich sonst noch besitze", sagt Hansen.

Erstaunlicherweise nutzt Hansen aber auch regelmäßig die Check-in-Funktion auf Facebook, mit der er seinen Aufenthaltsort öffentlich teilt. So markierte er sich im Januar 2020 am Mailänder Dom in Italien. Nur zwei Tage zuvor war Hansens Klage am Europäischen Gerichtshof vorgelegt worden, in der er Bedenken anführt, dass seine Privatsphäre und seine Sicherheit auf Reisen durch das Transparenzregister gefährdet seien. Der Unternehmer sieht darin keinen Widerspruch. "Über meine Aufenthaltsorte informiere ich nur im Nachhinein", sagt er. "Ich poste, wo ich war, aber nicht, wo ich bin oder sein werde."

Mit seinem Urteil hat der EuGH den Kampf gegen Geldwäsche verändert. Nach einem öffentlichen Aufschrei von Journalisten und Antikorruptionskämpfern sah sich das Gericht zwar zu einer Klarstellung gezwungen: Aufgrund des Urteils müssten keinesfalls Register geschlossen werden, hieß es in einer Erklärung. "Der Presse und zivilgesellschaftlichen Organisationen" sollten sie weiter offenstehen. Veröffentlicht wurde diese Klarstellung aber nicht etwa wie sonst bei Pressemitteilungen üblich auf der Homepage des Gerichts – und in mehreren Amtssprachen der EU –, sondern lediglich auf der Karriereplattform Linkedin. Und auch dort nur auf Französisch und Englisch. Dennoch: In Österreich, beispielsweise, in Irland oder in Belgien sind die Register für die Öffentlichkeit praktisch nicht mehr zugänglich.

Österreich lässt sich Zeit

Das österreichische Finanzministerium betont auf Anfrage des STANDARD, dass es "unausweichlich" gewesen sei, die öffentliche Einsicht in das Register sofort nach dem Urteil des EuGH offline zu nehmen. Derzeit werde eine Gesetzesänderung ausgearbeitet, damit Personen mit "berechtigtem Interesse", zu denen auch Journalistinnen und Journalisten zählen können, wieder Zugang haben. Derzeit fehlten dafür noch die "rechtlichen Grundlagen sowie Verfahren". Zur Beschlussfassung werde es spätestens im Sommer kommen.

Österreich warte also noch mehrere Monate zu, obwohl eine Anpassung relativ leicht möglich wäre, sagt Sophie Schubert, Rechtsanwältin in der Kanzlei Baker McKenzie. Schließlich könnte man einfach zur Gesetzeslage vor der vollständigen Öffnung des Registers im Jahr 2018 zurückkehren, so wie das auch in Deutschland geschehen ist. Eine gesetzliche Änderung war laut dem deutschen Finanzministerium gar nicht notwendig. Das deutsche Transparenzregister ist deshalb schon jetzt wieder zugänglich – auch wenn die Einsicht mit hohen Hürden verbunden ist.

Wer das Register nutzen will, muss einen umfangreichen Authentifizierungsprozess durchlaufen: Eine vernünftige englische Version der Seite gibt es nicht. Und: Eine erfolgreiche Anmeldung heißt noch lange nicht, dass Journalisten nun Auskunft bekommen – so genügte etwa eine Anfrage einer "Spiegel"-Mitarbeiterin mit beigelegtem Presseausweis nicht, um das legitime Interesse nachzuweisen. Man benötige weitere Informationen zu "bereits getätigten oder geplanten Recherchen im Bereich der Geldwäsche", um den Antrag abschließend bearbeiten zu können, heißt es in einer Mail vom Transparenzregister. Als "ziemlich umständlich" bezeichnen selbst deutsche Staatsanwälte das System.

EU-Abgeordnete üben scharfe Kritik an dem EuGH-Urteil.
Foto: IMAGO/Stringer

Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen-Abgeordneten im EU-Parlament, findet das Urteil "extrem bedauerlich". "Das wirft uns im Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung um Jahre zurück", sagt er. "Der Einblick in die Register muss garantiert werden", fordert der sozialdemokratische Europaabgeordnete Paul Tang. Würde man den Datenschutz so rigoros auslegen, wie es der EuGH tut, dürften in Österreich der Öffentlichkeit nicht mal die Grundbücher geöffnet werden, schreiben die Anwältin Schubert und ihr Kollege Bulajscik. Warum ausgerechnet Eigentümer anonym bleiben dürften, die sich hinter undurchschaubaren Firmengeflechten verstecken, sei "nicht nachvollziehbar".

Luxemburg hat das Transparenzregister indes vor einigen Tagen wieder einen Spalt geöffnet und 17 Journalisten Zugang gewährt. Allerdings, so erläuterte Justizministerin Sam Tanson, können Firmeneigentümer künftig informiert werden, wenn Journalisten zu ihnen Erkundigungen einziehen. Ein besseres System, um vor kritischen Recherchen gewarnt zu werden, hätten sich Oligarchen und Kriminelle wohl kaum wünschen können. (Carina Huppertz, Frederik Obermaier, Michael Sauga, Jakob Pflügl, 10.2.2023)