In der väterlichen Bibliothek der 100 Brüder gibt es viel zu bespechen.

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Es ist tief empfundene Bruderliebe, die neunundneunzig Männer dazu veranlasst, sich zum Abendmahl zusammenzufinden: hundert US-Amerikaner, von denen ein einziger ("George") durch Abwesenheit glänzt. Der Welt absurdester, dabei zum Schreien komischer Familienroman stammt aus der versierten Feder Donald Antrims. Diesen mit allen Wassern der Postmoderne gewaschenen Exzentriker aus Brooklyn – er zählt heute 65 Jahre – nannten Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides sofort nach Auftauchen: "unser eigentliches Genie".

Viel zu besprechen

Zu besprechen gibt es für die gezählten 99 Brüder eine Menge. Die Urne mit der Asche des Clanvaters ist abhandengekommen, Erzähler Doug rekapituliert die Regeln eines gut eingeübten Rituals. In der väterlichen Bibliothek – sie umfasst kaum weniger als den Bestand aller jemals gedruckten Bücher – herrscht enormes Gedränge. Säufer stolpern über die Beine ihrer Angehörigen, immer heftiger macht sich unter den All American Guys ein Hang zu Spott und Gewalt bemerkbar. Ein Regenwaldbotaniker stürzt, nach Absolvierung eines Veitstanzes, ins Koma. Er richtet ein letztes Rätselwort an alle Brüder: "Der Gott ist unter uns!"

Sollte es ihn jemals gegeben haben, so hat dieser Gott auf die Einrichtung der Schöpfung wenig Mühe verwendet. Jenseits der Bibliothek tummeln sich Habenichtse, auf Almosen angewiesen. Die 99 Kerle aber, die auch nicht anders heißen als beliebig andere ("Bob, Rob, Tom, Paul, Ralph …"), schlagen ihre ohnehin knapp bemessene Lebenszeit mit Sinnlosigkeiten tot, dem Studium pornografischer Stiche, dem Verzehr von Schweinekoteletts.

Donald Antrim, "Die hundert Brüder". Roman. Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. € 13,40 / 220 Seiten. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek 2016
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Zum Schreien komisch

Doug, der Held, bezeugt nicht nur den lethargisch angebahnten Untergang dieser Welt ohne Ausdehnung. Diese Höhle ist auch deshalb zum Einsturz bestimmt, weil in ihr alle Hinweise auf weibliche Zeugungskraft, auf Mutterrecht und Frauenmacht fehlen.

Dafür muss Doug im Beisein der Brüder als maskierter "Kornkönig" in den Untergang tanzen. Urhorden sind von jeher auf Sündenböcke angewiesen. Antrims zum Schreien komisches Buch gehört zu den großen Experimentalleistungen der Weltliteratur. Es erinnert an George Perecs Versuch, einen ganzen Roman ohne Verwendung des Buchstabens "e" zu schreiben. Dieses Mal wurde auf die weibliche Hälfte der Welt Verzicht geleistet. Es scheint logisch, dass eine derart mangelhaft eingerichtete Schöpfung gerade einmal Stoff für 200 Buchseiten hergibt. Die es in sich haben. (Ronald Pohl, 10.2.2023)