Ein Weizenfeld in Deutschland. Düngemittel spielen bei industrieller Lebensmittelproduktion eine große Rolle.
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Während hierzulande Produkte aus biologischer Landwirtschaft einen anhaltenden Boom erleben, ist international der großflächige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und vor allem synthetischem Dünger Standard. 2018 etwa wurden weltweit 117,5 Millionen Tonnen Stickstoffdünger produziert. Dünger ist, neben Kunststoffen, das wichtigste Produkt der Petrochemie. Eine wichtige Komponente in der Produktion ist Ammoniak, das derzeit aus Erdgas hergestellt wird. Der hohe Gaspreis durch den Ukraine-Krieg hat damit auch die Düngemittelbranche unter Druck gebracht. Ammoniak aus Gas zu ersetzen ist eines der ersten Ziele der aufstrebenden Wasserstoffwirtschaft, doch es handelt sich um eine Mammutaufgabe: 48 Prozent der Weltbevölkerung ernähren sich derzeit von Lebensmitteln, zu deren Herstellung synthetischer Dünger verwendet wird.

Erst kürzlich identifizierten Fachleute beim Weltwirtschaftsforum in Davos den Düngemitteleinsatz als einen von drei Bereichen, in denen mit politischen Mitteln besonders effektiv der Klimaschutz vorangetrieben werden könnte.

Nun gibt erstmals eine von einem Team der Universität Cambridge durchgeführte Studie Aufschluss über die mit Stickstoffdünger in Verbindung stehenden globalen Treibhausgasemissionen. Das Ergebnis: Der Einsatz von Stickstoffdünger sorgt jährlich für Emissionen in der Größenordnung von 2,6 Milliarden Tonnen CO2, also mehr als Flugverkehr und Schifffahrt zusammen. Dieses Resultat wurde nun im Fachjournal "Nature Food" veröffentlicht.

Lebenszyklus von Dünger als unbekannte Größe

"Es ist unglaublich, dass wir nicht wissen, wie viele Chemikalien wir weltweit produzieren, wo sie landen, wo und wie sie sich anreichern, wie viele Emissionen sie verursachen und wie viel Abfall sie erzeugen", sagt André Cabrera Serrenho, einer der Autoren der Arbeit. Um den Düngemitteleinsatz nachhaltiger zu gestalten, müsse man mehr darüber wissen.

Die Studie schlüsselt den ganzen Lebenszyklus von Stickstoffdünger und die damit verbundenen Emissionen auf. Dabei zeigt sich, dass die Produktion für etwa ein Drittel davon verantwortlich ist. Die anderen zwei Drittel fallen auf die Ausbringung.

"Es war überraschend, dass dies die größte Emissionsquelle war", sagt Serrenho. Dank dieses Ergebnisses sei es möglich gewesen herauszufinden, wie sich die negativen Auswirkungen des Düngemitteleinsatzes begrenzen lassen. Dazu betrachtete man in der Folge theoretisch die Auswirkungen verschiedener Ausgleichsmaßnahmen – die meisten davon waren bereits bekannt, aber eine quantitative Abschätzung, wie viel sie beitragen können, fehlte.

Einige Ansatzpunkte fand man im Produktionsprozess: Als besonders effektiv erwies sich eine Dekarbonisierung der Ammoniakproduktion und eine Umstellung der für die Erzeugung nötigen Heizung auf erneuerbare Energie. Ersteres ist etwa durch den Einsatz von grünem Wasserstoff möglich. Doch auch die Bildung von klimaschädlichem Lachgas durch Bakterien könnte durch die Beigabe von Chemikalien reduziert werden. Allerdings wäre deren Einsatz vermutlich mit einer Verteuerung verbunden. Das Forschungsteam regt finanzielle Kompensationsmaßnahmen für Betriebe an, um die Umstellung zu ermöglichen.

Ineffizientes Düngen

Doch der größere Anteil der Emissionen fällt erst nach der Produktion an, und hier haben die Forschenden eine klare Botschaft. "Wir sind unglaublich ineffizient beim Einsatz von Düngemitteln", sagt Serrenho. "Wir verbrauchen viel mehr als nötig." Das sei nicht nur klimaschädlich, sondern auch unwirtschaftlich.

Laut der Studie wäre eine Reduktion möglich. Das zeigt ein Vergleich des von Pflanzen benötigten Stickstoffs mit der tatsächlich ausgebrachten Menge. Eine frühere Studie aus dem Jahr 2015 konnte zeigen, dass die Effizienz von Stickstoffdüngung derzeit nur etwa 42 Prozent beträgt und ein Großteil des Düngers nicht bei den Pflanzen ankommt. Eine Erhöhung des Werts auf 67 Prozent sei möglich, heißt es dort. Laut dem Team aus Cambridge liegt hier das größte Einsparungspotenzial.

Doch es kommt auch auf die Art des Düngers an. Ein Ersetzen der emissionsstärksten Düngemittel wie Harnstoff durch Ammoniumnitrat könnte die Emissionen weltweit um weitere 20 bis 30 Prozent senken.

Aus China stammender Dünger auf Harnstoffbasis wird an einem Hafen in Sri Lanka zum Weitertransport verladen. China ist der größte Düngerhersteller der Welt.
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Es gibt also großes Reduktionspotenzial für Treibhausgase. Das ist die gute Nachricht der Studie. Der Düngemitteleinsatz könnte laut dem Team aus Cambridge insgesamt um 80 Prozent reduziert werden, ohne an Produktivität zu verlieren.

20 Prozent mehr Menschen bis 2050

Die Studie bringt neue Grundlagen für die Diskussion über die künftige globale Lebensmittelversorgung. Dünger spielt hier eine zentrale Rolle, schließlich beschränkt sich sein Einfluss nicht nur auf Treibhausgase. Stickstoffdünger kann auch zu Überdüngung von Gewässern führen und unerwünschte Algenblüten verursachen. Eine nachhaltige Produktion von Lebensmitteln für die bis 2050 voraussichtlich um 20 Prozent wachsende Weltbevölkerung wird durch das Dilemma erschwert, dass schonende Landwirtschaft weniger ertragreich ist und zur Ernährung der Welt daher mehr neue landwirtschaftliche Flächen erschlossen werden müssten als mit intensivierter industrieller Produktion ohne Biolabel. Dank der neuen Daten über Düngemittel können nun verschiedene Formen der Landwirtschaft besser verglichen werden, um die beste Lösung für die nächsten Jahrzehnte zu finden.

"Wir müssen neu über die Art und Weise nachdenken, wie wir Lebensmittel produzieren und welche wirtschaftlichen Anreize am besten funktionieren", sagt Serrenho. Diese könnten darin bestehen, Landwirtschaftsbetriebe für Emissionsreduktion zu bezahlen oder Lebensmittelpreise zu erhöhen. "Wir müssen die richtige Mischung aus finanziellen, technologischen und politischen Lösungen finden, um die Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig die Welt zu ernähren", fordert Serrenho. (Reinhard Kleindl, 13.2.2023)