Natalia Gavrilița war seit August 2021 Premierministerin der Republik Moldau.

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Politische Turbulenzen werden in der Regel nicht im Vorfeld vom Staatschef eines Nachbarlandes angekündigt. Dass im Falle der Republik Moldau, wo am Freitag die proeuropäische Regierungschefin Natalia Gavrilița zurückgetreten ist, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj tags zuvor in Brüssel vor einer Destabilisierung in Chişinău gewarnt hatte, macht die geopolitische Dimension der Entwicklung umso deutlicher.

Die Republik Moldau hat nur zwei Nachbarstaaten: das EU-Mitglied Rumänien im Westen und die Ukraine im Osten. Direkt an der ukrainischen Grenze wiederum liegt die abtrünnige Region Transnistrien. Mit nur 3.500 Quadratkilometern ist sie kleiner als das Burgenland, ihre Bedeutung im aktuellen Konflikt zwischen Russland und dem Westen ist jedoch nicht zu unterschätzen: Seit der international nicht anerkannten "Abspaltung" im Jahr 1992 nämlich haben in Transnistrien prorussische Separatisten das Sagen.

Dies und die Tatsache, dass in Moldau eine prowestliche Regierung und – mit Maia Sandu – eine prowestliche Präsidentin am Ruder sind, lassen das Konfliktpotenzial im Verhältnis zwischen Chişinău und Moskau klar zutage treten. Erst am Freitag bestellte Moldaus Regierung den russischen Botschafter wegen Verletzung des Luftraums ein: Eine Rakete mit Ziel in der Ukraine habe das Land überflogen.

Multiple Krise

Hinzu kommt, dass die kleine und wirtschaftsschwache ehemalige Sowjetrepublik Moldau besonders stark unter der aktuellen Inflations- und Energiekrise leidet. Dennoch versorgt sie überdurchschnittlich viele Geflüchtete aus der Ukraine. Zudem erlebt das Land, das in weiten Teilen an die von Russland attackierte ukrainische Energieinfrastruktur angebunden ist, immer wieder Stromausfälle.

Vor diesem Hintergrund überraschte wohl nicht der enorme Druck, der auf der zurückgetretenen Regierungschefin Gavrilița gelastet hatte, sehr wohl aber die deutliche Warnung durch den ukrainischen Präsidenten am EU-Gipfel in Brüssel: Russland plane, die Kontrolle über die Republik Moldau zu übernehmen, hatte Selenskyj gesagt und sich dabei auf den ukrainischen Geheimdienst berufen.

Inwieweit der Regierungswechsel in Chişinău tatsächlich mit dem Druck und den wiederholten Drohungen des Kreml in Richtung Moldau zusammenhängt, war am Freitag noch Gegenstand von Spekulationen. Staatspräsidentin Maia Sandu jedenfalls zeigte sich bemüht, Kurs zu halten, und erteilte ihrem bisherigen Berater in Sicherheitsfragen, Dorin Recean, zügig den Regierungsauftrag.

Auf der anschließenden Pressekonferenz erklärte sie, die neue Regierung müsse Moldaus Sicherheit gewährleisten – und das Land "in der freien Welt bewahren". (Gerald Schubert, 10.2.2023)