Naturbahnrodeln ist ein Spektakel. Gefragt sind Wendigkeit und Agilität.

Foto: ÖRV

Wie so oft, trügt auch beim Naturbahnrodeln der Schein der Bezeichnung: Nein, das ist keine nette, lustige Schlittenfahrt. Die "Natur" in "Naturbahnrodeln" steht nicht nur, aber vor allem als Gegensatz, als Abgrenzung zum Kunstbahnrodeln. Beide Sparten sind im selben Verband vertreten, nur eine davon ist olympisch: die Kunstbahn. Am Wochenende findet in Südtirol die Weltmeisterschaft in der Naturbahn statt. Wenn am Samstag und Sonntag in Deutschnofen um Edelmetall gefahren wird, gehören auch Österreichs Rodler um Titelverteidiger Thomas Kammerlander oder Tina Unterberger zu den Mitfavoriten.

"Wenn die Kunstbahn die Formel 1 ist, dann ist die Naturbahn der Rallyesport", sagt Gerald Kammerlander dem STANDARD. Der 41-jährige Tiroler ist Sportdirektor der Naturbahnrodler im österreichischen Rodelverband, war selbst 2011 Weltmeister im Einsitzer. Sein jüngerer Bruder Thomas ist aktuell das Aushängeschild der Österreicher, die WM in Deutschnofen wird sein letztes Großereignis, er hatte angekündigt, nach der Saison seine Karriere zu beenden.

Opfer

Eine Karriere im Naturbahnrodeln ist vor allem mit Opfer und Aufopferung verbunden. Obwohl die Sparte eine lange Tradition hat, kämpft man um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Beides wäre mit dem Status einer olympischen Sportart sicherlich mehr gegeben. Sportdirektor Gerald schiebt es auf die Sportpolitik, der Rodler Thomas spricht vor der WM Klartext: "Ich verstehe es überhaupt nicht, warum wir nicht olympisch werden", sagte Kammerlander der APA. "Vielleicht sind wir, sarkastisch gesagt, zu umweltschonend, zu kostengünstig."

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Ein Antrag des Rodelweltverbands FIL an das Internationale Olympische Komitee (IOC) zur Aufnahme ins Olympische Programm wurde abgelehnt. Als Begründung wurde unter anderem die Beibehaltung der Gesamtquote von 2.900 Athletinnen und Athleten bei Olympischen Spielen angeführt. Da Naturbahnrodeln als Sparte zum Kunstbahnrodeln zählt, sind auch die Startplätze pro Sportart limitiert. Kammerlander trauert jedenfalls einer "großen Chance" nach.

Naturbahnrodeln hat im Vergleich zu vielen Sportarten in Österreich den Luxus der Breite. Als Freizeitbeschäftigung erlebte der Breitensport Rodeln in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom. Gerald Kammerlander erklärt: "Es ist recht einfach zu lernen – wenn man die Grundtechnik draufhat, kommt man schnell zu Erfolgserlebnissen." Außerdem sei der Rodelsport vergleichsweise billig:. "Man kauft sich einmal einen Schlitten, den man dann sein Leben lang hat."

Und: Zu Beginn der Corona-Pandemie war Rodeln als kontaktlose Sportart erlaubt, so zog es viele auf die Hänge, die Hügel und in die Berge. Rodeln ist außerdem für viele der erste Berührungspunkt mit Wintersport. Noch bevor es in die Skischulen geht, kann man sich schon einmal auf einem Schlitten im Schnee versuchen.

Zum Spitzensport ist es freilich ein weiterer Weg, eine lustige Schlittenfahrt hat mit den Wettkämpfen nicht viel gemein. Der Wettkampf in den Bahnen, in denen künstlich überhöhte Kurven verboten sind, ist ein rasantes Spektakel. Im Gegensatz zur Kunstbahn kommt es vor allem auf Wendigkeit an. "Die Körpermasse ist nicht so ausschlaggebend wie im Eiskanal. Die Athleten müssen wendiger und agiler sein", sagt Kammerlander. Es geht nicht um Tausendstel-, sondern um Hundertstelsekunden. Das Vorurteil der überdurchschnittlichen Gefahr bestätigt Kammerlander nicht: "Schwere Unfälle gab es keine, das Risiko spielt sich im normalen Bereich der Sportverletzungen ab."

Aller Nachwuchs ist schwer

So wie viele Nischensportarten kämpft auch das Naturbahnrodeln um einen Nachwuchszulauf. Kammerlander: "Wir müssen aktiv suchen." Wenn man es dann in die Spitze geschafft hat, muss man bereit sein, Opfer zu bringen. Plätze im Heeressport oder bei der Polizei sind vor allem den Olympischen Sportarten vorbehalten, Athleten und Athletinnen in der Naturbahn "müssen sich Urlaub für die Wettkämpfe nehmen, Auszeit von der Uni nehmen oder sonst zurückstecken".

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Nichtsdestotrotz ist Österreich neben Italien eine Großmacht in dieser Sportart. Die WM hätte eigentlich in Rumänien stattfinden sollen, der Winter ließ dort aber etwas auf sich warten. Also wurde nach Südtirol verlegt: "Es ist die Heimbahn der Italiener. Das ist natürlich kein Vorteil für uns", sagt Kammerlander. Die Konkurrenz ist aktuell ausgedünnt, russische Athleten und Athletinnen fehlen bei der WM ebenso wie Sportler und Sportlerinnen aus der Ukraine. In beiden Ländern ist das Naturbahnrodeln eine aufstrebende Nummer.

In Deutschnofen geht es für Österreich vor allem gegen Gastgeber Italien. Der Weltcup-Führende Alex Gruber (ITA) ist bei den Männern der Topfavorit, seine ersten Verfolger sind Kammerlander und der Steirer Michael Scheikl. Bei den Frauen wird Seriensiegerin Evelin Lanthaler (ITA) die Goldmedaille nicht zu nehmen sein. "Sie kann sich nur selbst schlagen. Sie fährt in Sphären herum, da können sich sogar die Burschen anhalten", betonte Österreichs beste Rodlerin Tina Unterberger, Zweite im Gesamtweltcup. Lanthaler wäre beim vergangenen Weltcup in Deutschnofen bei den Männern auf gleicher Strecke auf Rang vier gelandet.

Vollzeit im Beruf

Unterberger ist neben dem Sport als Polizistin in Linz im Einsatz. Vollzeit, auch in der Woche vor der WM. "Das ist nicht optimal, aber ich bin es nicht anders gewohnt. Weil Naturbahnrodeln nicht in die klassischen Förderprogramme fällt", sagte die 36-Jährige. Ähnlich erging es Thomas Kammerlander, der den Balanceakt zwischen 40-Stunden-Job und Trainingseinheiten am Abend als schwierige Herausforderung bezeichnete.

Bei der WM will er sich zum Karriereabschluss im Idealfall noch einmal Edelmetall umhängen. Am Samstag finden die ersten beiden Wertungsläufe statt, am Sonntag fallen mit dem dritten Lauf die Entscheidungen bei Männern und Frauen. Zum Abschluss steht ein Teambewerb mit den zwei besten Athleten pro Nation auf dem Programm. (hag, APA, 10.2.2023)