Zunächst war da die Liebe zur Kunst. Maria, damals 22, besuchte die Ausstellung eines Bildhauers in ihrem Heimatort Lienz, Robert war auch da. "Ich habe sie gesehen und mich sofort verliebt." Er fasste seinen ganzen Mut zusammen und sprach sie an: "Haß is heut, nicht?" Heute findet er: "Das war wenig originell." Aber erfolgreich.

"Bei Streit kann man ruhig einmal nachgeben und sich fragen, ob sich das jetzt wirklich auszahlt."
Maria (74) & Robert (74) sind seit 50 Jahren ein Paar.
Foto: Regine Hendrich

Robert hatte zu diesem Zeitpunkt noch nie eine Beziehung, Maria war mit einem anderen verlobt. Er war schüchtern, bei ihr standen die Männer Schlange. Und trotzdem: "Er gab mir sofort das Gefühl, etwas Besonderes für ihn zu sein." Maria löste ihre Verlobung und entschied sich für Robert – obwohl die beiden zunächst eine Fernbeziehung führen mussten. Sie unterrichtete Bildnerische Erziehung und Mathematik an der Schule im Ort, er studierte Musik in Wien. Die Sehnsucht bis zum nächsten Wiedersehen war groß. Mindestens jeden zweiten Tag schrieben sie sich Briefe, "damals gab es noch kein Whatsapp". Nach vier Jahren heirateten sie, kauften ein Haus im niederösterreichischen Perchtoldsdorf, bekamen zwei Kinder. Robert nimmt Marias Hand, schaut ihr tief in die Augen. "Ich liebe dich heute noch wie am ersten Tag." Sie lächelt, legt ihren Kopf auf seine Schultern. Seit über 50 Jahren sind sie verheiratet – und wirken wie frisch verliebt.

Viele blicken mit Bewunderung oder Neid auf Paare wie Maria und Robert, die schon lange zusammen sind und sich noch immer lieben. Fast jede zweite Ehe scheitert, statistisch zerbrechen die meisten Beziehungen nach etwa fünf Jahren. Kann Liebe zu einem Menschen wirklich dauerhaft funktionieren?

Ewig eine rosarote Brille

Mittels Gehirnscans konnte die US-Forscherin Helen Fisher nachweisen, dass jene Areale, die das Verliebtheitsgefühl auslösen, auch bei Langzeitverliebten noch hochaktiv sein können. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Liebende vorwiegend positiv über den Menschen an ihrer Seite denken. Die Makel treten in den Hintergrund, der Fokus liegt auf den besonders guten Eigenschaften. Wie es bei Verliebten eben ist: Sie sehen den Partner oder die Partnerin durch eine rosarote Brille.

Dass der Glaube Berge versetzen kann, bestätigen auch die Paartherapeuten Sabine und Roland Bösel, selbst seit 45 Jahren ein Paar: "Wenn Paare an die Beziehung glauben, kommunizieren sie auch besser." Das wieder führe zu einem positiven Blick auf die Partnerschaft – und damit zu gesteigerten Liebesgefühlen. Das wäre wie ein Dominoeffekt: Er kann Paaren langzeitiges Liebesglück bescheren. Ständige Zweifel hingegen wirken wie eine Kausalkette bis zur finalen Trennung.

Sag mir, was du wünschst!

Reden, reden, reden: Das ist das Mantra vieler Paartherapeuten, wenn es um den langfristigen Erhalt des Liebesglücks, um die Lösung von Konflikten geht. Aber wie gelingt das, wenn der Alltag mit Kindern und Job so erschöpfend ist, dass man abends am liebsten wortlos vor dem Fernseher versinkt?

"In schwierigen Situationen nicht gleich aufgeben. Das lohnt sich und schweißt noch mehr zusammen."
Im zarten Alter von 13 Jahren nahm sie Klavierstunden bei seinem Vater. Er sah sie und konnte an nichts anderes mehr denken. Nun sind Werner (80) & Heidemarie (75) seit 56 Jahren verheiratet.
Foto: Regine Hendrich

Werner (80) und Heidemarie (75) aus Niederösterreich sind seit 60 Jahren ein Paar. Langjährige Zweisamkeit bedeutet nicht automatisch, dass sie ein durchgängig harmonisches Leben führen. Aber sie haben einen guten Umgang mit Konflikten gefunden: Bei Krach setzen sie sich in die Sauna. Sie entblößen sich dabei nicht nur körperlich, sondern auch emotional. "Wir nennen die Sauna unser Psychokammerl", lacht Heidemarie. Dort sprechen sie über Alltagsprobleme, aber auch über Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend, sie reden über erlebte Trauma und Schmerz. In all den Jahren ihrer Ehe haben sie eines gelernt: "Je mehr man über die Geschichte des anderen weiß, desto mehr Verständnis hat man füreinander."

Bei einer gelungenen Kommunikation über Gefühle spielt das Elternhaus eine große Rolle, sagen die Paartherapeuten Bösel: "Hat man nur gelernt, sachlich zu kommunizieren, fällt es in der Beziehung schwer, auch emotionale Intimität zuzulassen." Die gute Nachricht: Richtig kommunizieren kann man üben. "Der Partner muss wissen, welche Bedürfnisse man hat", empfehlen sie. Dazu sei es nötig, sich selbst zu reflektieren: Wie geht es mir? Woher kommt meine ganze Wut auf ihn oder sie? Was brauche ich?

Und noch etwas spielt laut den Experten eine große Rolle bei dem Versuch, eine Liebe über Jahre zu erhalten: Wertschätzung, der Respekt füreinander. "Bei uns ist die Wertschätzung etwas, das uns über alle Krisen hinweggeholfen hat", sagt Maria. "Ich glaube, es ist unsere Erfolgsgarantie." Im Alltag kann sich das durch Komplimente, kleine Aufmerksamkeiten oder Lob ausdrücken. Auch Rituale helfen. Die können so verschieden sein wie die Beziehungen selbst. Sich mit einem Morgenkuss aufzuwecken oder einmal fest zu umarmen ist genauso wirksam wie die tägliche Whatsapp-Nachricht vom Büro aus, in der man fragt, wie es dem anderen gerade so geht.

Das Glück getrennter Betten

Heidemarie und Werner schlafen in getrennten Zimmern, "aber wir verabschieden uns jeden Abend voneinander, indem wir uns liebevoll ein Kreuzzeichen auf die Stirn geben". Man dürfe die Bedeutung dieser Rituale nicht unterschätzen, meinen die Paartherapeuten: "All das gibt Sicherheit, verstärkt positive Gefühle und damit Glück."

Wenn wir auf der Suche nach dem Geheimnis der langfristig glücklichen Beziehung sind, fällt uns bei allen befragen Paaren eine Gemeinsamkeit auf: Sie schlafen in getrennten Zimmern. Braucht es etwa diesen Abstand, um die Liebe frisch zu halten? Bei Heidemarie und Werner ist die nächtliche Trennung schnell erklärt: "Er schnarcht. Dafür kommt er jeden Morgen zu mir ins Bett, und wir kuscheln ausgiebig." Körperliche Nähe sei ihnen im Alter genauso wichtig wie früher. "Ich liebe seinen Geruch", sagt Heidemarie. Dabei streichelt sie ihrem Mann über den Arm und kichert.

Man müsse keine Angst haben, dass getrennte Schlafzimmer das Sexleben zerstören, meint Beziehungsexpertin Sabine Bösel: "Das kann eher die Vertrautheit, das Kuscheln reduzieren – aber nicht das Sexleben. Das profitiert manchmal sogar davon. Es kann schließlich auch recht anregend sein, sich gegenseitig besuchen zu kommen." Ein Garant für das Glück einer Beziehung seien getrennte Betten aber nicht, das spiele eine untergeordnete Rolle. "Es geht letztlich um die emotionale Nähe, nicht um räumliche."

Du interessierst mich

Und die entsteht auch durch gemeinsame Interessen. Maria und Robert verbindet die Liebe zur Kunst, Werner und Heidemarie lieben Musik. "Wir musizieren jeden Tag zusammen", sagt sie. "Ich spiele am Klavier, er spielt die Flöte!" Dann springt sie auf und sagt: "Aber noch mehr liebe ich das Tanzen!" Werner rollt den Teppich beiseite, Heidemarie dreht die Musik auf, The Jacksons – Blame It on the Boogie. Er schnappt sie an der Hüfte, sie strahlt ihn an. Sie drehen sich durch die Küche, jeden Nachmittag tanzen sie so. Wer sie beobachtet, möchte am liebsten heulen bei so viel Glück und Liebe.

Gemeinsamkeiten schaffen bei Paaren eine engere Verbindung – und sorgen für Gesprächsstoff. Trotzdem braucht es auch ein paar Gegensätze, damit das Feuer erhalten bleibt. "In der ersten Phase der Verliebtheit fühlen sich diese Unterschiede großartig an", sagen die Paartherapeuten Bösel. Schwieriger werden sie auf der Langstrecke: "Bei unserer Paartherapie erleben wir immer wieder, dass Gegensätze zwischen Partnern Gegenstand von Streit und Machtkämpfen geworden sind." Dann sei es besonders wichtig, sich auf das Abenteuer der Verschiedenheit einzulassen und den Partner in seine Welt einzuladen.

"Uns ist es wichtig, dass jeder seine Freiräume hat. Wir sind kein Paar, das permanent aufeinanderhockt."
Smiljana (71) & Herbert (69) haben sich als Teenager im Urlaub kennengelernt. Er war mit seinen Eltern in Herceg Novi und traf sie in einem Tanzlokal.
Foto: Regine Hendrich

Smiljana (71) und Herbert (69) aus Wien sind der beste Beweis dafür, dass man auch ohne große gemeinsame Interessen über 54 Jahre verliebt sein kann. Herbert spielte früher gerne Tennis, fuhr Ski und ging in die Sauna. Für Smiljana war das alles nichts. "Ich bin eine Stubenhockerin und gerne allein." Sie schauen sogar getrennt fern, sie Krimis, er Sport. Er ist Frühaufsteher, sie ein Nachtmensch. Er hüpft um fünf Uhr morgens auf und geht ins Fitnessstudio, sie sei nur mit Kaffee um frühestens 7.30 Uhr aus dem Bett zu bekommen. "Wir sind kein Paar, das permanent aufeinanderhockt!" Streit gäbe es trotzdem kaum, vielleicht auch gerade deshalb. "Wir haben andere Interessen, aber ähnliche Vorstellungen davon zu leben", sagt Herbert. "Die Werte in der Beziehung müssen zusammenpassen. Und jeder sollte die Freiheit haben, sich persönlich zu entfalten."

Die Freiheit, die ich meine

Freiheit. Wichtig, ohne Frage. Doch wie viel davon tut einer Beziehung gut? Eine Art Formel dafür gibt es leider nicht, es bedarf laut den Paartherapeuten klarer Vereinbarungen. Was helfen kann: Eine gedachte Skala von 1 bis 10: "Will er zum Beispiel öfters alleine mit Freunden in den Urlaub fahren, muss sie sagen, wie sehr es sie schmerzt, über einen längeren Zeitraum ohne ihn zu sein." Wenn das empfundene Leid ständig nah am 10er ist und nur selten "mittelmäßig" oder darunter, sollte etwas geändert und eine Lösung gefunden werden, die sich für beide fair anfühlt.

Was hingegen nicht klappt: "Freiheit über Tauschgeschäfte zu regeln." Das wären Zeitbomben, die irgendwann platzen, weil sich jemand benachteiligt oder schlecht fühlt. Andererseits sollte man nicht auf etwas verzichten, aus Sorge, der andere würde deshalb die Beziehung beenden. Dann helfen Kompromisse: Sie geht mit Freundinnen bergsteigen, während er mit Freunden Fußball schaut.

Es gibt aber auch noch eine andere Art von Freiheit. Die sexuelle. Wie real ist ewige Treue? Die Stolpersteine einer monogamen Beziehung kennt jeder, die Scheidungsraten sprechen für sich. Nicht selten enden Beziehungen, weil einer der Partner untreu ist. Auch bei Maria und Robert gab es einen Seitensprung. Unglücklich machte das auch ihn selbst. "Ich hatte Angst, meine Frau zu verlieren." Doch Maria entschied sich für ihre Ehe. "Wenn man zusammenbleiben will, muss man verzeihen können." Was ihr geholfen hat, war eine Therapie. "Ein Seitensprung nagt immer am Selbstbewusstsein, man sucht die Fehler auch bei sich selbst. Dieses Denkmuster musste ich durchbrechen, um nach vorn zu schauen."

Dass ein Seitensprung nicht zwangsläufig das Ende der Beziehung bedeuten muss, beweisen die Bösels mit ihrer eigenen Paargeschichte. Aber es braucht Arbeit, um das Vertrauen neu aufzubauen. Dabei helfen wieder Rituale. "Wer betrogen wurde, fühlt sich zunächst mal ungeliebt", sagen die Experten. "Will man die Beziehung kitten, muss man herausfinden, was er oder sie braucht, um sich wieder geliebt zu fühlen." Ein bestimmtes Zeichen oder ein fixes Ritual der Versöhnung kann helfen: Man schreibt der Partnerin jeden Tag einen Brief oder vereinbart Zeiten für ruhige Gespräche.

Ist es das wert?

Streit gibt es in jeder Beziehung. Krisen gehören dazu. Damit es nicht eskaliert, hat Robert eine einfache Methode: "Erst einmal tief durchatmen." Das hätte er in den 40 Jahren als Flötist bei den Wiener Symphonikern gelernt. Dann stellt er sich die Frage: "Ist es das wert?" Falls ja, braucht es Kommunikation, nicht Streit. Vor allem aber Versöhnung: "Nachgeben zeugt nicht von Schwäche, sondern dass man der Klügere ist." Und vielleicht auch der, dessen Beziehung länger glücklich ist. (Nadja Kupsa, 12.2.2023)