Kriminalbeamte lieben diesen Trick: Wir Menschen tragen an unseren Fingern eindeutige Erkennungsmerkmale, mit denen wir beim Anfassen von Gegenständen Abdrücke hinterlassen. Es scheint, als hätte die Biologie des Menschen absichtlich die Aufklärung von Verbrechen erleichtern wollen. Für die Kriminalistik war das ein Segen: Ab dem späten 19. Jahrhundert wurde die Daktyloskopie, wie diese Wissenschaft im Fachjargon heißt, zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt. Heute diskutierte Schwächen der Technik im Vergleich zur DNA-Analyse, die etwa auf fehlenden Studien zur Fehlerwahrscheinlichkeit beruhen, können ihren historischen Erfolg kaum schmälern. Und auch heute noch entsperren viele von uns ihr Mobiltelefon mittels Fingerabdruck und nicht per Gesichtserkennung.

Fingerabdrücke haben gegenüber Gesichtern als Identifikationsmerkmal einen wesentlichen Vorteil: Sie unterscheiden sich auch bei Menschen, die einander sonst sehr ähnlich sind. Sogar eineiige Zwillinge, die nicht einmal mit der von der Polizei verwendeten DNA-Analyse zu unterscheiden sind, haben unterschiedliche Fingerabdrücke.

Die Fingerabdrücke sind bei allen Menschen auf der Welt unterschiedlich. Für die Kriminalistik ist das nach wie vor von Bedeutung.
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Für die Papillarleisten der Haut unserer Finger scheinen also nicht dieselben Regeln zu gelten wie für andere anatomische Eigenschaften des Körpers. Ihr Zweck ist einigermaßen klar: Die feinen Linien verbessern den Griff bei kletternden Lebewesen. Neben Menschen besitzen auch Koalas und Schimpansen Fingerabdrücke. Sie verbessern auch den Tastsinn, was für Menschen entscheidender sein dürfte als die Kletterfähigkeiten – insbesondere, da intensives Klettern die Papillarleisten eher beschädigt, was weltreisenden Bergsportbegeisterten nach Klettertouren bei Grenzkontrollen manchmal Probleme bereitet. Zum Glück wachsen die Muster auf unseren Fingern aber wieder nach, und zwar nach dem exakt gleichen Muster wie schon nach der Geburt – ein weiteres für Kriminalbeamte praktisches Detail.

Papillarleisten bilden sich in der Embryonalentwicklung bereits in der 13. Woche, also sehr früh. Zu diesem Zeitpunkt ist der Fötus erst wenige Zentimeter groß. Vor etwa einem Jahr zeigte eine Studie, dass bestimmte Gene die Bildung der Muster beeinflussen. Doch wenn genetische Faktoren wirksam sind, warum sind die Abdrücke bei eineiigen Zwillingen dann so unterschiedlich?

Mehrere Signalwege entscheidend

Ein Forschungsteam um den Genetiker Denis Headon von der Universität Edinburgh wollte mehr über die molekularen Mechanismen herausfinden, die beeinflussen, wie ein Fingerabdruck letztendlich aussehen wird. Dazu untersuchte man die RNA in den Hautzellen der Fingerkuppen von menschlichen Embryonen, die der Forschung nach Abtreibungen zur Verfügung gestellt worden waren. Die RNA gibt Aufschluss, weil sie eine von der Zelle angefertigte Kopie der Gene darstellt, nach deren Bauplan schließlich Proteine angefertigt werden, aus denen die Haut besteht. Dabei gelang die Identifikation dreier unterschiedlicher molekularer Signalwege, die das Wachstum von Papillarleisten und seine Richtung beeinflussen.

Es zeigte sich, dass die Gene WNT und BMP für die Bildung von abwechselnden Streifen von Gewebe verantwortlich sind, die sich später zu Rillen und Erhebungen ausbilden. Ein drittes Gen, EDAR, unterstützt die Bildung der Rillen.

Folgeuntersuchungen bei Mäusen, bei denen die drei Gene abwechselnd deaktiviert wurden, zeigten, dass die ersten beiden gegenteiligen Effekt haben. Mäuse verfügen über Strukturen an ihren Gliedmaßen, die menschlichen Fingerabdrücken ähneln. Ein Ausschalten von WNT verhinderte die Bildung von Rillen, während ein Ausschalten von BMP sie breiter machte. Mäuse ohne das EDAR-Gen bildeten ebenfalls keine Rillen aus, sondern ein ungeordnetes Muster von Erhebungen.

Ein Fingerabdruckidentifizierungssystem des Bundeskriminalamts Wiesbaden aus dem Jahr 2001. Noch heute werden Pinsel mit Metallstaub verwendet, um Fingerabdrücke sichtbar zu machen. Der Abgleich erfolgt aber seit vielen Jahren elektronisch.
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Diese drei Signalwege sind also entscheidend, berichtet das Team aus Edinburgh im Fachjournal "Cell". Die Forschenden konnten zeigen, dass es sich um sogenannte Turing-Muster handelt, die auch bei der Ausbildung von Flecken auf Tierfellen oder bei den Streifen tropischer Fische zum Tragen kommen. Entscheidend sind hier einander entgegengesetzte Effekte wie jene des WNT- und des BMP-Weges.

Turing-Muster sind einer der vielen genialen Beiträge des englischen Mathematikers Alan Turing, der als Erfinder des Computers gelten kann und dessen als Turing-Test bekanntes Gedankenexperiment durch den Boom der künstlichen Intelligenz gerade wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt. Doch Turing half auch, den Zweiten Weltkrieg zugunsten der Alliierten zu entscheiden, als es seinem Team gelang, den Code der deutschen Chiffriermaschine Enigma zu knacken, wovon ein sehr gelungener Film mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle erzählt. Einen Beitrag Turings in der Biologie zu finden mag überraschen, doch es handelt sich um ein in der Natur wirksames mathematisches Konzept, das zeigt, wie aus beinahe vollkommener Gleichmäßigkeit und Konturlosigkeit komplexe Muster entstehen können, etwa bei den in Namibia gefundenen lange Zeit mysteriösen "Feenkreisen".

Auch die Zeichnung von Zebras ist von Tier zu Tier verschieden. Die bei der Bildung wirksamen Mechanismen sind dieselben wie bei Fingerabdrücken.
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Papillarleisten sind wie Wellen

Darin findet sich auch die Antwort auf die Frage, warum sich nun die Fingerabdrücke von eineiigen Zwillingen unterscheiden. Das Team betont, dass die letztendliche Form der Papillarleisten – ob eine bestimmte Leiste eine Kurve oder Schleife bildet oder aber plötzlich endet – von der Anatomie des Fingers und vom genauen zeitlichen Ablauf des Wachstums abhängt. Studienleiter Headon vergleicht die Entstehung bei einem Gespräch mit dem Fachjournal "Science" mit der Ausbildung von Wellen: "Jede Leiste dient dazu, die Position der nächsten zu bestimmen."

Doch drei Bereiche ließen sich identifizieren, von denen die Papillarleistenentwicklung beim Fötus ihren Ausgang nimmt: die Mitte des weichen, erhabenen Fingerballens, das Ende des Fingers unter dem Nagel und die Falte am Gelenk, wo der Finger gebogen wird. Sind die Ballen groß und symmetrisch und bilden sich dort früh Rillen, neigen sie dazu, einen Wirbel zu formen. Wenn die Ballen länger und asymmetrisch sind, entsteht eine Schlaufe. Bilden sich an den Ballen erst spät oder gar keine Rillen, treffen jene der Falte und des Fingernagels in der Mitte aufeinander und bilden dort einen Bogen.

Hirnkorallen sind besonders schöne Beispiele für Turing-Muster, ein Konzept des englischen Mathematikers Alan Turing.
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Dabei haben, wie beim sprichwörtlichen Schmetterlingsflügel, der einen Orkan auslösen kann, kleinste Unterschiede in der Entwicklung große Wirkung. Sie entscheiden, welches Turing-Muster sich an unseren Fingerkuppen ausbildet. Von diesem theoretisch anmutenden Effekt profitiert die Kriminalistik also in Wirklichkeit, und das seit über hundert Jahren. (Reinhard Kleindl, 12.2.2023)