Ukrainische Soldaten am 4. Februar in einer Gefechtssituation in Bachmut beim Beschuss einer russischen Stellung.
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UKRAINE – Mit aller Kraft die Angriffe stoppen

Vor dem Krieg war Bachmut in der Oblast Donezk vor allem für die Kellerei, einen der größten Sekthersteller Osteuropas, bekannt. Artwinery produzierte hier unter anderem den Krimsekt – und zwar unter der Erde, in einem bis zu 72 Meter tiefen Gipsbergwerk. Heute sind zehntausende Menschen geflüchtet, die Stadt ist größtenteils verwüstet und verlassen. Doch das Bergwerk erfüllt noch immer einen wichtigen Zweck: Mit seinen kilometerlangen Schächten und Eisenbahnschienen trägt es dazu bei, dass die ukrainische Armee die Stadt noch immer verteidigen kann.

"Die Tunnelsysteme können für die Lagerung von Waffen genutzt werden und sind ein sicherer Ort bei Artilleriebeschuss", erklärt Oleksandr Musiyenko, Experte am Zentrum für militärische und rechtliche Studien in Kiew. Seit August 2022 spielen sich am Rande von Bachmut die mitunter heftigsten und blutigsten Gefechte dieses Krieges ab – die Bilder von Soldaten und Schützengräben lassen Vergleiche mit der verlustreichen Schlacht bei Verdun während des Ersten Weltkriegs ziehen. Es ist eine weitere Hölle auf Erden.

Lange Leidensgeschichte

Dabei ist der russische Invasionskrieg in der Ukraine nicht das erste gewaltsame Kapitel in der langen Geschichte der Stadt: Ein Wanddenkmal im Stollen erinnert an die Nazi-Besetzung, während der hier mehr als 3.000 Juden und Jüdinnen ermordet wurden.

Bachmut befindet sich an der Autobahn E40 zwischen Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, und Rostow in Russland. Eine Einnahme der Stadt würde den russischen Truppen einen direkten Weg nach Westen zu Städten wie Kramatorsk eröffnen und einen taktischen Vorteil bei der Planung neuer Offensivoperationen bedeuten, so Musiyenko.

Für Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer hat die Stadt in der Analyse des Militärexperten weniger eine strategische Relevanz als vielmehr eine symbolische Bedeutung: Bachmut ist längst zum Inbegriff des ukrainischen Widerstands geworden – in einer Gegend, in der der Krieg schon seit bald neun Jahren andauert. "Die ukrainische Armee versucht mit aller Kraft, die Angriffe zu stoppen und die russischen Truppen zu verlangsamen", so Musiyenko. Denn Russland wolle die gesamte Ostukraine erobern.

Täglich "hunderte Tote"

Es gibt keine offizielle Zahl der Todesopfer. Jedoch behaupten beide Seiten, täglich jeweils hunderte feindliche Soldaten getötet zu haben. Die Ankündigung, dass in den kommenden Wochen und Monaten Leopard-Panzer geliefert werden, hat in der Ukraine neue Hoffnung geschürt. Auch deshalb versucht Russland, den Druck auf Bachmut zu erhöhen – und greift mittlerweile von drei Seiten an, erklärt Musiyenko. "Die Russen versuchen, die Zeit bis zur Ankunft der westlichen Waffen für sich zu nutzen."

Die russische Offensive, mit der jederzeit zu rechnen ist, hat für Musiyenko in Wahrheit schon begonnen. "Wir beobachten mehr russische Streitkräfte und heftige Kämpfe im Donbass – etwa bei Kreminna in der Oblast Luhansk." Mit einer Gegenoffensive von ukrainischer Seite rechnet er im späten Frühjahr, in Richtung der besetzten Regionen Saporischschja und Cherson. Darauf, dass auch die ukrainische Armee mehr Soldaten braucht, deutete Präsident Wolodymyr Selenskyj jüngst in einer Rede vor Studierenden in Kiew hin: Die Militärführung habe die Aufgabe, Reserven zu schaffen – nur so könnten die Soldaten an der Front – etwa in Bachmut – rotieren.

Von ehemals über 70.000 Menschen leben nur noch rund 8.000 in Bachmut. Wer nicht fliehen kann, versucht mit einem Minimum zu überleben (9. Februar).
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RUSSLAND – Putin braucht Erfolg mithilfe der Wagner-Söldner

Jetzt kämpft der Boss persönlich: Jewgeni Prigoschin, Chef der berühmt-berüchtigten Söldnergruppe Wagner, postet ein Video von sich an Bord eines Kampfflugzeugs, das nach seinen Angaben Bachmut angegriffen hat: "Wir sind gelandet, wir haben Bachmut bombardiert." Martialisch mit Helm und Pilotenmaske, fordert er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum persönlichen Duell. "Wenn Sie den Willen haben, treffen wir uns am Himmel. Wenn Sie gewinnen, bekommen Sie Artemowsk zurück, wenn nicht, gehen wir bis zum Fluss Dnipro." Artemowsk ist der russische Name für Bachmut.

Aber auch mit Bildern wird gekämpft. Glaubt man russischen Militärbloggern, dann ist Bachmut de facto eingekesselt. Auf Telegram zeigt man Videos von Wagner-Soldaten, die sich Haus für Haus vorkämpfen. Russlands Staatsmedien bringen Reportagen zum Kampf um Bachmut.

Symbolischer Jahrestag

Die Stadt sei "zunehmend isoliert", so schätzt der britische Geheimdienst die Lage ein. Kriegsentscheidend wäre die Eroberung von Bachmut wohl nicht. Doch für Russland ist Bachmut zum Symbol geworden. Denn der 24. Februar steht an: Vor einem Jahr begann die russische Invasion. Und Russlands Präsident Wladimir Putin will und muss Erfolge verkünden.

Anfangs interessierte man sich in Russland nur wenig für die "Spezialoperation". Durch die Teilmobilisierung hat sich das geändert, Hunderttausende haben das Land verlassen. Viele Menschen in Russland glauben, dass sich diese "Spezialoperation" noch lange hinziehen wird. Und die Kämpfe um Bachmut und die Eroberung von Soledar im Norden des Gebiets Donezk zählen zu die blutigsten seit Monaten. Tausende Soldaten auf beiden Seiten starben. Die Niederlagen im Herbst, als sich russische Truppen aus dem Gebiet Charkiw im Norden und später aus Cherson im Süden der Ukraine zurückziehen mussten, schmerzten. Nun scheint das russische Militär wieder erfolgreicher zu sein.

Zu verdanken ist dies Prigoschins erbarmungslos kämpfender Wagner-Truppe, sie ist in Bachmut an vorderster Front. Früher lebten dort 70.000 Menschen – heute nur noch 8.000. Industrie und Infrastruktur liegen in Trümmern. Laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti sterben Tag für Tag "bis zu 200" ukrainische Soldaten beim Versuch, die Stadt zu halten. Auch die russischen Verluste werden hoch sein, Zahlen dazu werden in Russland nicht veröffentlicht.

Schlüssel für die Donbass-Region

Die Eroberung von Bachmut wäre aus Moskauer Sicht der Schlüssel für die Einnahme des Donbass – eines von Putins erklärten Kriegszielen. Angeblich will er dies bis März erreichen, das ginge nur mit noch mehr Soldaten. Auch wenn der Kreml dementiert: Die Spekulationen um eine erneute Mobilmachung nehmen zu.

Zieht sich die ukrainische Armee aus Bachmut zurück, würde sich für die russischen Truppen möglicherweise der Weg zum Ballungsraum Slowjansk und Kramatorsk öffnen. Trotzdem haben die USA nach Medienberichten Kiew bereits den Rückzug empfohlen.

Russland erhöht im umkämpften Osten der Ukraine den militärischen Druck. Nach einem Bericht des US-Instituts für Kriegsstudien rechnet die Ukraine zum Jahrestag mit einer großangelegten russischen Offensive. Die russische Militärführung habe es eilig, bevor noch mehr westliche Militärhilfe für die Ukraine eintreffe und bevor im Kampfgebiet die Böden tauen. (Daniela Prugger aus Kiew, und Jo Angerer aus Moskau, 10.2.2023)