Wenn die Lieblingsbar zur Alkoholfalle wird, kann es besser sein, sie zu meiden. Generell hilft es, den Alkoholkonsum einzuschränken, wenn man sich bewusst Strategien gegen Rückfälle zurechtlegt.

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Das Feierabendbier oder auch das eine oder andere Glas Wein am Abend, weil es so schön entspannt: Der Genuss von Alkohol gehört für viele einfach dazu zum eigenen Lifestyle. Doch die Genussfreude hat auch ihre Schattenseiten. Fünf Prozent der österreichischen erwachsenen Bevölkerung ab 15 Jahren gelten als alkoholabhängig. Und jede fünfte Person im Alter zwischen 50 und 60 Jahren frönt dem Alkoholkonsum in einem Maße, das schädlich ist für die Gesundheit. Das bedeutet für Männer, sie trinken mehr als 0,6 Liter Bier oder 0,3 Liter leichten Wein – täglich. Bei Frauen übersteigt das 0,4 Liter Bier oder 0,2 Liter leichten Wein.

Vielen Menschen ist schlicht nicht bewusst, dass sie eigentlich schon alkoholabhängig sind. Die gesundheitlichen Folgen sind für die Betroffenen aber immens und lassen sich langfristig auch oft nicht mehr umkehren. Übermäßiger Alkoholkonsum schädigt nicht nur die Leber, er kann alle Organe und das Nervensystem in Mitleidenschaft ziehen. Die Betroffenen haben etwa mit Konzentrationsstörungen zu kämpfen, oft gerät auch ihr berufliches und privates Leben aus den Fugen.

Um die Menschen weg von der Flasche zu bringen, setzten Mediziner und Suchtexpertinnen lange Zeit ausschließlich auf Programme zur Abstinenz. Doch viele Menschen mit Alkoholabhängigkeit schaffen es nicht, komplett auf das Trinken zu verzichten – oder sie möchten es erst gar nicht. Zu groß ist die Versuchung, die Alkohol für sie darstellt. "Alle stationären Einrichtungen zielen darauf ab, die Betroffenen abstinent zu machen", sagt der Wiener Psychotherapeut Gideon Gruber. "Aber das wollen die Betroffenen oft gar nicht. In der Folge unterziehen sich die Menschen mit Alkoholabhängigkeit einer Behandlung mit einem Ziel, das sie gar nicht haben. " Und dementsprechend gering ausgeprägt ist ihre Motivation." Gruber bietet in seiner Praxis hingegen ein Programm zum kontrollierten Trinken an.

Alkoholkonsum unter Kontrolle

Beim kontrollierten Trinken geht es nicht einfach darum, weniger zu trinken. Vielmehr bedeutet es, den Alkoholkonsum innerhalb empfohlener Mengen, die mit einem niedrigen Risiko behaftet sind, einzupendeln. Das Training richtet sich an Menschen, die ihren Alkoholkonsum reduzieren wollen. "Beim kontrollierten Trinken, im Sinne eines disziplinierten, geplanten und limitierten Konsums, geht es darum, die Selbstmanagement-Fähigkeiten zu erhöhen", sagt Gideon Gruber. "Die Betroffenen setzen sich selbst Ziele und versuchen, diese zu erreichen." Mit dem Programm erreiche man Menschen, die man mit dem Ziel Abstinenz überhaupt nicht erreichen würde. "Viele Menschen melden sich, die von der Abstinenzorientierung wegwollen."

Trainingsprogramme zum kontrollierten Trinken gibt es schon länger in Österreich, sie werden unter anderem von der Caritas angeboten. Doch bis heute ist das kontrollierte Trinken unter Fachleuten umstritten. Wer einmal süchtig nach Alkohol ist, wird es zeit seines Lebens nicht schaffen, gemäßigt zu trinken, heißt es. Mittlerweile zeigen aber auch einige Studien, dass ein Training zum kontrollierten Trinken effektiv sein kann. In einer Metaanalyse, die im Fachblatt Addiction erschienen ist, haben Forschende um Jonathan Henssler von der Charité in Berlin zahlreiche Studien ausgewertet. Zumindest in den Studien besserer Qualität schnitt das kontrollierte Trinken genauso gut ab wie Programme, die auf Abstinenz abzielten.

Bei beiden Programmen tranken gleich viele Betroffene erheblich weniger. Außerdem verbesserte sich die körperliche und psychische Gesundheit, die Lebensqualität und die soziale Einbindung in ähnlichem Maße. Ein Drittel der Patientinnen und Patienten, die an Programmen zum kontrollierten Trinken teilnahmen, entschied sich sogar im Zuge der Behandlung, abstinent zu werden. Insgesamt waren Programme erfolgreicher, wenn Betroffene eine auf kontrolliertes Trinken hin ausgerichtete psychotherapeutische Begleitung bekamen.

Mit psychologischer Begleitung

Das Training, das Gideon Gruber in seiner psychotherapeutischen Praxis anbietet, startet mit einem Vorgespräch. Darin klärt er ab, ob die Behandlung für die jeweilige Person infrage kommt. Nicht geeignet ist das Programm etwa für Betroffene, die abstinent werden wollen, für schwangere Frauen, für Menschen mit körperlichen Vorschäden oder für Personen, die sensible Medikamente wie Antidepressiva einnehmen. "Und wenn jemand etwa einen hohen Alkoholspiegel hat, kann man auch nicht sofort in die Abstinenz runtergehen", so Gruber.

Das Programm selbst umfasst zehn Einheiten. Am Anfang wägt der Psychotherapeut gemeinsam mit seinem Klienten das Pro und Kontra von Abstinenz und kontrolliertem Trinken ab und was dafür und dagegen spricht, mit dem Trinken wie gehabt weiterzumachen. Außerdem erörtert er mit der betroffenen Person die körperlichen Folgen des Trinkens und die Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Dann geht es darum, Gründe für eine Veränderung zu finden. Schließlich sollen die Patientinnen und Patienten möglichst motiviert sein. "Wir arbeiten dabei mit einem Tagebuch", sagt Gruber.

In das Tagebuch trägt der oder die Betroffene zunächst ein, wie der Konsum vor Beginn des Programms ausgesehen hat. Später werden Ziele festgelegt: Wie viel will ich trinken? Was ist die höchste Menge pro Tag und die maximale Menge pro Woche? Anhand des Tagebuchs wird geplant, wann man mit dem Konsum am Tag anfängt und wann man aufhört. Und die Patientin oder der Patient plant zusammen mit Gideon Gruber, mit welchen Strategien versucht wird, den Alkoholkonsum unter Kontrolle zu bringen. Eine Strategie kann beispielsweise sein, die Lieblingskneipe zu meiden, bei deren Anblick sofort die Lust auf Alkohol erwacht.

Strategien gegen Rückfälle

Außerdem erarbeitet Gruber mit den Betroffenen Strategien, um Rückfälle zu vermeiden. "Freizeitaktivitäten sind da ganz wichtig, der Patient plant mit einem Freizeittagebuch sein Programm für die ganze Woche." Zudem erörtert der Psychotherapeut mit dem oder der Betroffenen Risikosituationen. Da kann es etwa um die Frage gehen, ob sie oder er auf eine Party gehen soll oder doch lieber zu Hause bleibt, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, mehr zu trinken.

Und die Patientinnen und Patienten lernen den Umgang mit Rückfällen, wenn sie mehr trinken, als sie geplant hatten. Sie lernen etwa, sich selbst zu verzeihen oder einen Rückfall als Vorfall zu sehen, der keine Katastrophe ist. Die Erfahrungen mit der Behandlung, die auch von der Krankenkasse erstattet werden kann, sind laut Gideon Gruber sehr positiv. "Rund ein Drittel schafft es, kontrolliert zu trinken, ein Drittel wird wieder rückfällig, und ein Drittel entscheidet sich am Ende für die Abstinenz." (Christian Wolf, 13.2.2023)