Für die 22-jährige Ukrainerin Anastasiia Shepilenko ist die WM in Frankreich in mehrerlei Hinsicht eine besondere Herausforderung.

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Wenn Anastasiia Shepilenko über den Skirennsport spricht, dann macht sie das voller Begeisterung. Wird der Krieg in der Ukraine Thema, dann beginnt ihre Stimme prompt zu zittern, dann gibt es Tränen. Es gelinge ihr nur selten, Gedanken an den Krieg auszublenden, sagt die 22-jährige Ukrainerin.

"Wir verfolgen die Nachrichten, tauschen uns in verschiedenen Gruppen der sozialen Netzwerke aus. Wenn wir all die Videos sehen, dann ist es überhaupt nicht mehr wichtig, was wir denken oder tun. Menschen kämpfen an der Front. Es ist schwer, genaue Informationen zu bekommen, was im Osten wirklich passiert. Man erfährt nur Genaueres, wenn wer von den sehr nahen Freunden berichtet, was dort los ist. Es ist schrecklich."

Erschwerte Flucht

Shepilenko kommt aus Lwiw im Westen der Ukraine. "Die Front ist zwar weit weg, aber ich würde nicht sagen, dass es dort sicher ist", sagt sie. "Als der Krieg begann, waren wir in der Ukraine. Wir hatten gerade in Krasiya nahe der slowakischen Grenze nationale Meisterschaften. Als alle versuchten, das Land zu verlassen, konnten wir nicht weg, weil unser Auto beim Service war." Danach sei es "wirklich sehr beängstigend" gewesen, wieder zurückfahren zu müssen. "Nach einer Woche fuhren wir nach Polen, wo sie uns sehr geholfen haben. Dort blieben wir ein paar Wochen und beendeten unsere Saison bei Rennen in Tschechien und der Slowakei."

Shepilenko studiert in Lwiw Sportwissenschaften, hat den Bachelor geschafft und peilt nun den Master an. Weil sie viel unterwegs ist, nimmt sie online am Unterricht teil. Sie wird von ihrer Mutter Juliia trainiert, die auch Rennläuferin war und 1998 an Olympia in Calgary teilnahm. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Kateryna ist auch Rennläuferin, aktuell muss sie jedoch wegen Rückenproblemen pausieren. Ihre Skier präpariert Shepilenko selbst, seit sie 13 ist. Für diese Saison hat sie zwar einen Servicemann bekommen, aber um die Kanten kümmert sie sich weiter selbst.

Für die WM hat sie als Mitglied des ukrainischen Nationalteams von der Regierung finanzielle Unterstützung bekommen. "Es ist nicht viel, und wir bekommen leider keine Unterstützung von unserem Verband. Aber ich konnte etwas Geld sparen, und es funktioniert irgendwie. Ich gebe sehr viel von meinem eigenen Geld aus, um mir das leisten zu können."

Nach der Saison geht es zu einem Trainingscamp ins Kaunertal. Schon seit einigen Jahren nimmt sie im Frühling Quartier im Tiroler Gletscherskigebiet. "Die Leute dort sind sehr großzügig, helfen uns, damit wir unsere Arbeit fortsetzen können. Als der Krieg begann, haben sie uns auch aufgenommen. Dafür sind wir sehr dankbar."

Gegen Mutters Willen

Ihre ersten Erfahrungen auf Skiern sammelte sie mit drei Jahren in Štrbské Pleso in der Slowakei, wo ihre Mutter ein Rennen bestritt. "Meine Mutter wollte uns das Skifahren gar nicht beibringen, sie wollte uns nicht trainieren, wollte nicht, dass wir eine Rennkarriere starten." Es ist anders gekommen. Shepilenko startet vor allem bei drittklassigen Fis-Rennen und bei zweitklassigen Europacuprennen.

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Nun möchte sie das Studium abschließen und weiter Rennen fahren. Irgendwann im Büro zu sitzen kann sie sich nicht vorstellen. "Mein Ziel ist es, mein Bestes zu geben, um im Weltcup starten zu dürfen, unter die besten 30 zu kommen und mich weiter zu verbessern." Ein großes Ziel sind auch die Olympischen Spiele 2026 in Cortina d’Ampezzo, wo sie vor rund einem Jahr ihr Debüt im Weltcup gab und Platz 34 im Super-G belegte. Der Unterschied zwischen Europacup- und Weltcuprennen sei bezüglich Pistenpräparierung und Kurssetzung enorm, "das ist nicht vergleichbar".

Sie nimmt bereits zum dritten Mal an einer WM teil und startete auch bei Olympia in Peking. In Méribel belegte sie im Super-G den 30. und vorletzten Rang, 4,99 Sekunden hinter der italienischen Siegerin Marta Bassino. "Ich habe ein paar Fehler gemacht vor dem Flachstück, das ärgerte mich unterwegs schon sehr. Aber es ist eine gute Übung und bringt mir Erfahrung, weil ich ja nicht so viele Weltcuprennen bestreite. Es ist sehr schön, hier Rennen bestreiten zu dürfen."

Als Nächstes will sie sich für den Parallelbewerb qualifizieren und auch im Riesentorlauf sowie im Slalom starten. Danach wird sie in die Ukraine zurückkehren, um bei den nationalen Meisterschaften in Krasiya zu starten. "Die Teilnahme ist verpflichtend. Wenn ich dort nicht starte, werde ich nicht mehr im Nationalteam sein. Man kann sagen, dass es dort sicher ist, aber wer weiß das schon."

Wut auf die Olympier

Sehr deutlich reagierte der zweifache Olympiateilnehmer Ivan Koybasnyuk, als er zu den Plänen des Internationalen Olympischen Komitees befragt wurde, Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus an den Spielen in Paris 2024 teilnehmen zu lassen.

"Es ist absolut nicht okay, wenn ukrainische Sportler keine Chancen haben, daran teilzunehmen, weil sie auf den Schlachtfeldern sterben, während russische Athleten heimlich Wladimir Putins Verbrecherregime unterstützen", sagte der 29-Jährige vor seinem Abfahrts-WM-Start der AP. Es sei psychisch unglaublich herausfordernd, sich auf das Skifahren zu konzentrieren, "während viele meiner Freunde kämpfen. Viele von ihnen wurden bereits getötet. Früher oder später müssen wir alle zur Armee, weil der Krieg noch lange dauern wird. Auch ich werde meinem Land dienen." (Thomas Hirner, 11.2.2023)