Damit künstliche Intelligenz (KI) Reden und Drehbücher oder auch Code schreiben kann, braucht es jede Menge menschliche Handarbeit.

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Inflation, hohe Energiepreise, Chipmangel – 2022 war kein gutes Jahr für die Wirtschaft, vor allem für die Tech-Branche. Die Stay-at-Home-Aktien, die zu den Gewinnern der Corona-Krise zählten, verloren massiv an Wert, die Insolvenz der Kryptobörse FTX ließ den Kurs von Digitalwährungen einbrechen, und auch das Metaverse, in das vor allem Mark Zuckerberg mit seinem Facebook-Konzern Meta große Hoffnungen setzt, wollte bei Investoren nicht so recht verfangen. Stattdessen: Milliardenverluste und Massenentlassungen. Am härtesten traf es Twitter, wo Neueigner Elon Musk im Stile eines knallharten Sanierers fast die Hälfte der insgesamt 7.500 Angestellten rauswarf – und dem Rest der Belegschaft ein Ultimatum stellte: Sie sollten "extrem hardcore" arbeiten, sonst müssten auch sie gehen.

Andernorts sieht es nicht besser aus. Google, Microsoft und Amazon haben zehntausende Arbeitsplätze abgebaut. Eine beispiellose Kündigungswelle rollt über die amerikanische Westküste, die auch vor der zweiten Reihe nicht haltmacht. So hat der Fahrdienstleister Lyft 700 Angestellte und damit 13 Prozent der Belegschaft entlassen, was insofern bemerkenswert ist, als davon nicht die Taxifahrer betroffen sind (die ja nicht im Angestelltenverhältnis arbeiten), sondern vor allem Softwareingenieure. Allein im vergangenen Jahr verloren weltweit 150.000 Tech-Angestellte ihren Job. Viele Entwickler fragen sich: "Bin ich der Nächste?"

Starkes Wachstum

Vor zwei, drei Jahren war die Stimmung anders. Da konnten sich Softwareingenieure vor Jobangeboten kaum retten. Tech-Konzerne lockten mit hohen Einstiegsgehältern und buhlten um junge Talente, die sie gleich aus den Informatikfakultäten der Universitäten abwarben. Tech-Firmen fegten den Jobmarkt der begehrten Datenwissenschafterinnen und Programmierer regelrecht leer, auch Ökonomen und sogar Philosophen waren gefragt. Das auf Wachstum getrimmte Geschäft brauchte kluge Köpfe, die "out of the box" denken.

Vor allem zu Beginn der Pandemie, als sich soziale Aktivitäten ins Internet verlagerten, stockten Tech-Konzerne ihr Personal auf und beschäftigten teils mehr Leute, als sie eigentlich benötigten. Doch seitdem das Leben wieder verstärkt in Präsenz stattfindet und man seine Zeit zu Hause nicht mehr nur mit Videokonferenzen, Streaming und Fitnessgeräten verbringt, wird dieser Personalüberhang nicht mehr gebraucht. Die Kunden geben angesichts einer drohenden Rezession weniger Geld für Werbung und Bezahldienste aus, und plötzlich heißt es auch bei den finanziell sonst so weich gebetteten Tech-Konzernen: Kosten sparen.

Weniger Nachfrage

Für Angehörige der Generation Y, die ihre Karriere nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 starteten, ist das eine völlig neue Erfahrung. Die Tech-Branche boomte, jährlich gab es bis zu 100.000 Neueinstellungen. Üppige Bonizahlungen und Benefits wie bezahlte Elternzeit und Kita-Plätze gehörten zur Grundausstattung. Facebook zahlte 4000 Dollar Prämie für werdende Eltern ("Baby Cash"), Airbnb gewährte seinen Mitarbeitern ein generöses Reisestipendium in Höhe von 2.000 Dollar im Jahr. Allein, die fetten Jahre sind vorbei.

Nun gibt es in jeder Branche Boom-and-Bust-Zyklen, doch die Schrumpfkur ist insbesondere für Studierende ein Problem, die sich in Mint-Fächer eingeschrieben haben, in der Hoffnung, irgendwann bei einem großen Tech-Konzern zu landen. Denn im Zuge der Sparmaßnahmen werden auch bezahlte Praktikumsplätze gestrichen – sie sind häufig die Eintrittskarte in eine Firma und dementsprechend begehrt. Aber in Krisenzeiten sind auch Hospitationen ein Kostenfaktor. Laut der Computing Research Association drängen in den USA jährlich 136.000 Absolventen mit Hauptfach Informatik auf den Jobmarkt. Einige von ihnen werden auf Anhieb keinen Job finden – und sich umorientieren müssen. An den Hochschulen ist Ernüchterung eingekehrt.

Neue Technologie

Zur allgemeinen Verunsicherung trägt auch eine Erfindung bei, die auf den sperrigen Namen ChatGPT hört. Die Sprach-KI schreibt nämlich nicht nur Reden und Drehbücher, sondern auch Codes. Und zwar so gut, dass es selbst die mit der Angst zu tun bekommen, die das Tool entwickelt haben. Zwar wird die KI einstweilen keine Programmierer ersetzen, wohl aber den Arbeitsmarkt verändern. Denn für selbstlernende Systeme braucht es nur wenige hochqualifizierte Entwickler, dafür aber umso mehr Fabrikarbeiter. So wurde bekannt, dass die Entwicklerorganisation OpenAI in Kenia, Uganda und Indien Clickworker anheuerte, die für weniger als zwei Dollar die Stunde gewaltverherrlichende Texte labeln mussten.

KI bedeutet jede Menge Handarbeit. In Venezuela arbeiten hunderttausende Klickarbeiter im Auftrag großer Automobilfirmen, um in Videoaufnahmen Fußgänger, Fahrbahnmarkierungen und Verkehrsschilder zu kennzeichnen. Wo im Globalen Norden tausende Stellen für Hochqualifizierte gestrichen werden, entsteht im Globalen Süden eine neue industrielle Reservearmee. Der Mensch ist noch immer die billigere Sortiermaschine. (Adrian Lobe, 15.2.2023)