Forbidden Stories führt Recherchen von inhaftierten oder ermordeten Journalistinnen und Journalisten fort, wie etwa von Daphne Caruana Galizia, die 2017 in Malta getötet wurde.

Foto: REUTERS/Darrin Zammit Lupi

Vom US-Präsidentschaftswahlkampf über die Corona-Pandemie bis hin zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Jedes globale Ereignis wird mittlerweile von einer Armada von Desinformationskriegern bearbeitet. Sie wollen die öffentliche Meinung manipulieren, bestimmten Kandidaten zum Sieg verhelfen oder Zwietracht säen.

Das Projekt "Storykillers" erlaubt erstmals tiefe Einblicke in die weltweite Desinformationsindustrie. Die Recherchen von mehr als hundert Journalisten wurden vom Investigativnetzwerk Forbidden Stories koordiniert. In Österreich erscheinen die Geschichten exklusiv im STANDARD, dessen Partner SPIEGEL und Paper Trail Media waren monatelang Fährten in die Welt der hybriden Kriegsführung nachgegangen.

Frage: Wie entstand "Storykillers"?

Antwort: Das Projekt wurde von Forbidden Stories aufgesetzt. Die Investigativredaktion mit Sitz in Paris recherchiert in internationalen Kollaborationen Geschichten jener Journalistinnen und Journalisten weiter, die von Mächtigen an ihrer Arbeit gestoppt wurden – durch Einschüchterungen, Drohungen oder gar Mord. Journalisten werden weltweit Ziel von Desinformationskampagnen, mit teils fatalen Auswirkungen. Das zeigt der Fall von Gauri Lankesh: Die indische Journalistin wurde im Jahr 2017 ermordet. Sie hatte sich zuvor mit Propagandakampagnen hinduistischer Nationalisten beschäftigt.

Frage: Worum geht es in dem Projekt?

Antwort: Mehr als hundert Journalisten haben sich unter der Koordination von Forbidden Stories zusammengetan, um zum Hauptthema von Lankeshs Arbeit zu recherchieren: zu Desinformation und Onlinekampagnen. Die Recherchen legen eine Schattenindustrie offen, auf deren Dienste Unternehmen, Regierungen und Politiker setzen. Dubiose Firmen hacken E-Mails von Politikern und deren Beratern; manipulieren Wahlkämpfe und attackieren kritische Journalistinnen. "Storykillers" wird einige dieser Machenschaften offenlegen und die Methoden der Cybermanipulateure rekonstruieren.

Frage: Wie gefährlich ist Desinformation tatsächlich?

Antwort: Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, sprach zuletzt von einer "Infodemie", also gewissermaßen einer Pandemie der Desinformation. Ob bei der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 oder bei der Brexit-Abstimmung im selben Jahr: Die parlamentarischen und nachrichtendienstlichen Berichte zu Trollarmeen, Manipulationskampagnen und Fake News füllen Bände. Wie stark derartige Mechanismen tatsächlich Wahlen beeinflussen können, lässt sich nur schwer messen – aber würden sie keine Rolle spielen, würde die globale Desinformationsindustrie nicht so stark wachsen und so viel Geld verdienen.

Frage: Wie ist die Rolle der Medien?

Antwort: Desinformationen stellen Medien vor mehrere Herausforderungen. Journalistinnen und Journalisten werden zum direkten Ziel von Hasskampagnen und beleidigt, bedroht und im schlimmsten Fall sogar Opfer von Gewalt. Gleichzeitig wird die Glaubwürdigkeit von klassischen Medien insgesamt angegriffen. Die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa ist investigative Journalistin aus den Philippinen. Die Technologien sozialer Medien seien "aufdringlich, manipulativ und heimtückisch", sagte sie zum SPIEGEL. Für Journalisten sei das "extrem gefährlich".

Frage: Wie kann man Desinformation stoppen?

Antwort: Zunächst liegt es an den großen Tech-Unternehmen, Falschnachrichten einzudämmen und die Konten von Manipulatoren zu sperren. Nach der US-Präsidentschaftswahl 2016 und dem Skandal um die britische Wahlkampffirma Cambridge Analytica geriet vor allem Facebook unter Zugzwang. Eine Reihe von Maßnahmen wurde umgesetzt, Kritik gibt es jedoch nach wie vor. Besonders problematisch wird von Politikern und Experten zurzeit Twitter gesehen, vor allem seit der Übernahme von Tech-Milliardär Elon Musk. Aber auch Tiktok wird zusehends für Desinformationskampagnen benutzt. Die Recherchen von "Storykillers" legen offen, wie einfach sich die Schutzmechanismen vieler Plattformen austricksen lassen.

Frage: Was ist Forbidden Stories, und wer hat diese Recherchen finanziert?

Antwort: Forbidden Stories wurde 2017 in Paris gegründet. Journalistinnen und Journalisten können ihre Recherchen bei der Organisation sicher aufbewahren. Können sie ihre Arbeit nicht selbst fortführen, übernimmt sie Forbidden Stories und bindet dafür internationale Partner ein. Die Investigativredaktion, in deren Vorstand seit Gründung der deutsche Journalist Bastian Obermayer (der auch für den STANDARD schreibt) sitzt, finanziert sich über Spenden. Wichtige Unterstützer sind die Stiftung Luminate von Ebay-Gründer Pierre Omidyar, die Unesco, die niederländische Veronika-Stiftung und die Open Society Foundation, die von US-Investor George Soros gegründet wurde. Spender haben keinen Einfluss auf die Arbeit von Forbidden Stories.

Frage: Wer ist beim Projekt "Storykillers" dabei?

Antwort: Im deutschsprachigen Raum erscheinen die Recherchen unter anderem beim STANDARD, beim SPIEGEL, beim ZDF und bei den Medien der Schweizer Tamedia-Gruppe, also bei den vier Exklusivpartnern von Paper Trail Media, der von Bastian Obermayer und Frederik Obermaier gegründeten Recherchefirma. Außerdem ist "Die Zeit" dabei. Internationale Partner sind etwa die "Washington Post", der "Guardian", "El País" (Spanien), "Le Soir" (Belgien) oder "Folha" (Brasilien). (Fabian Schmid, 14.2.2023)