Im Hintergrund winken echte Bäume, aber auch die virtuellen können sich sehen lassen.

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Schnaufend klettere ich die bröckelige Felswand hoch. Kurz blicke ich mich um. Ein tiefer Abgrund liegt hinter mir – ein falscher Handgriff wäre wohl tödlich. Oder auch nicht, schließlich sind die Felswand, der Abgrund und meine Hände in der virtuellen Welt des neuen Playstation-Spiels "Horizon: Call of the Mountain" und damit nur minimal eine Gefahr für meine körperliche Gesundheit.

Der Herzeigetitel, der zeitgleich mit dem am 22. Februar 2023 erscheinenden VR-Headset PS VR2 erscheint, soll zeigen, was mit der neuen Hardware technisch möglich ist. Nachdem der japanische Tech-Konzern bereits 2016 mit dem Vorgänger ein Alleinstellungsmerkmal am umkämpften Konsolenmarkt geschaffen hat, will man nun mit dem modernen Nachfolger noch mehr Menschen für das Thema VR begeistern. Ob das gelingen wird?

Die mitgelieferten Ohrstöpsel sorgen für abgeschotteten Sound, wenn im selben Raum befindliche Menschen ihre Ruhe haben wollen.
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Lieferumfang

Wer sich schon mit dem Vorgänger herumgeplagt hat, der wird die Vorzüge der neuen Hardware schnell zu schätzen wissen. Im Lieferumfang befindet sich nämlich allein das Headset, das diesmal bequem direkt in die Playstation gesteckt werden kann, und die zwei Sense-Controller für das Navigieren durch virtuelle Welten. Eine separate am TV anzubringende Kamera oder ein Zwischenstück für das Sammeln zahlreicher Kabel fällt diesmal weg.

Der Lieferumfang auf einen Blick.
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Der Vorgänger von 2016 (rechts im Bild) wirkt im Vergleich klobiger und braucht auch wesentlich mehr Kabel als sein aktueller Nachfolger.
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Wie schon vor sieben Jahren liegen auch diesmal Stereokopfhörer bei, die komfortabel am Headset angebracht werden können. Drei unterschiedliche Ohrpolster sorgen dafür, dass die kabelgebundenen In-Ear-Kopfhörer für möglichst viele Menschen bequem zu tragen sind. Als letzte Komponente findet sich in der Verpackung ein USB-C-Kabel, mit dem die Controller geladen und mit der PS5 synchronisiert werden können.

Wer bisher aufmerksam mitgelesen hat, wird bemerkt haben, dass das PS-VR2-Headset via Kabel mit der PS5 verbunden ist. Im Gegensatz zu der aktuellen Oculus-Konkurrenz setzt Sony also weiterhin auf eine Nabelschnur zur Rechenpower. Das mag vielen nicht gefallen, aber dafür geht dem Headset auch nicht der Saft aus, wie das beim Mitbewerb meist nach zwei Stunden der Fall ist. Das mitgelieferte Kabel ist übrigens 4,5 Meter lang, also wohl ausreichend für die meisten Anwendungsfälle – Menschen mit Angst vor Schlangen werden aber wohl immer wieder zusammenzucken, wenn sie etwas Längliches an ihren Beinen verspüren. Keine Angst, zumeist sollte es das Kabel des Headsets sein.

Schnell eingerichtet

Wirklich spektakulär ist, wie schnell man das VR-Headset eingerichtet hat. Man legt fest, ob man sitzt oder steht, und scannt dann mit den Außenkameras die Umgebung. Per Sense-Controller kann sogar unkompliziert nachjustiert werden, falls Ecken nicht ausreichend gut erkannt wurden, was allerdings nur selten passiert. Ein kurzer Testlauf für das Eye-Tracking – und dann geht es eigentlich schon los.

Für jedes Spiel kann dann einzeln noch einmal festgelegt werden, in welcher Position man das Abenteuer bestreiten will. Während man Action-Adventures der Bewegung zuliebe also gern im Stehen ausprobiert, bieten sich Rennsimulationen oder andere Spiele, bei denen der Avatar sitzt, auf einem Stuhl hockend an.

Via Außenkameras scannt das Headset die Umgebung, um den verfügbaren Raum abzumessen.
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Hardware

Wer sich für technische Daten interessiert, der wird sich freuen zu hören, dass PS VR2 mit zwei OLED-Displays mit je 2.000 x 2.040 Pixeln eine feine 4K-Auflösung vor die Augen zaubert – also in etwa das Vierfache des Vorgängers. Hinzu kommen HDR-Support und bis zu 120 Frames pro Sekunde. Gut zur Geltung kommt auch die neue Blickerfassung, die nach einer kurzen Kalibrierung Menüs auch via Blickkontakt anwählbar macht. Technisch ist das deshalb sinnvoll, weil dank Foveated Rendering jene Bereiche im Blickfeld besonders detailliert dargestellt werden, die der Nutzer oder die Nutzerin direkt anschaut. Der Rest wird dafür etwas heruntergerechnet, was der gesamten Performance von Anwendungen zugutekommen soll.

An Tasten und Stellrädern mangelt es zudem nicht. Das Stirnband lässt sich an der Rückseite via Stellrad gut an die eigene Kopfgröße anpassen, vorne hat man einen Knopf, um die Brille näher oder weiter weg vom Gesicht zu bewegen. Außerdem findet sich noch ein Rad, das den Linsenabstand verändern kann, passend für die aktuelle Nutzerin oder den aktuellen Nutzer. An der Unterseite der Brille befinden sich zudem der Ein- und Ausschaltknopf sowie eine Taste, um den VR-Modus zu deaktivieren. So kann man den Raum um sich herum dank eingebauter Kameras jederzeit wahrnehmen.

Was ebenfalls auffällt, sind subtile Headset-Vibrationen, die man beim Spielen wahrnimmt. Laut Sony soll das nicht nur gegen Übelkeit für Menschen mit Motion-Sickness helfen, sondern lässt etwa den Flug eines Sauriers über unseren Köpfen spürbar werden.

So sitzt das Headset etwas schlanker und leichter als sein Vorgänger gut auf der Nase – auch wenn man eine Brille trägt. Der wohl größte Sprung in Sachen VR-Erlebbarkeit erreicht das neue Headset allerdings durch die mitgelieferten Sense-Controller. Musste man beim Vorgänger noch auf die nie für VR vorgesehenen Move-Controller ausweichen, bekommt man diesmal Hardware für genau diesen Zweck in beide Hände gedrückt.

Alle Tasten des PS5-Controllers finden sich aufgeteilt auf den beiden Steuergeräten, das heißt, man kann als geübter Playstation-Spieler nach kurzer Eingewöhnung schnell die richtigen Tasten drücken. Vor allem beeindrucken die adaptiven Trigger, die auch schon der Dualsense der PS5 mitbringt und die durch ihren dynamischen Widerstand den Rückstoß einer Waffe oder das Spannen eines Bogens spüren lassen. In der Praxis ist es aber vor allem die bessere Genauigkeit, die die Sense-Controller von ihren Vorgängern abheben. Es gelingt viel präziser, in der virtuellen Welt Dinge zu greifen oder Bewegungen auszuführen. Was mit den Move-Controllern immer wieder in eine Fuchtelei ausartete, gelingt mit der neuen Hardware weitaus verlässlicher.

Das Headset sitzt gut auf dem Kopf, die Controller schmiegen sich in die Hände. Auch das nicht mitgelieferte PS5-Headset von Sony kann man sich bequem über die Brille stülpen.
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Dank Durchblick-Modus kann man die Sense-Controller auch bequem nach dem Aufsetzen des Headsets greifen.
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Eindrücke

Nun ist bekanntermaßen Theorie vor allem grau, und wenn sich ein paar persönliche Eindrücke bereits in den Text geschlichen haben, so soll an dieser Stelle vor allem Klartext gesprochen werden, was die Usability und das Spielgefühl generell betrifft.

Eines vorweg: So groß, wie sich manche vielleicht den Sprung zum Start wünschen, ist dieser tatsächlich nicht, zumindest in meinen Augen. Das Beispiel "Horizon: Call of the Mountain" ist ein technisch sicher beeindruckendes Spiel, das allerdings spielerisch keine neue Dimension aufreißt. Kämpfe nur auf einer Schiene ausführen zu können und sehr lineare Levels durch- und überklettern zu dürfen ist optisch oftmals ein Hochgenuss, allerdings erschöpfen sich die spielerischen Neuheiten schnell. Mehr dazu aber im Test des Spiels.

Trotz der neuen Hardware kommt es zudem regelmäßig zu Tolpatschigkeiten, etwa wenn man unabsichtlich die Waffe fallen lässt oder bestimmte Dinge einfach nicht bei den ersten Versuchen zu greifen bekommt. Das ist nicht vergleichbar mit den ersten Gehversuchen des Unternehmens 2016, aber seitdem ist auch viel Zeit vergangen, und sieben Jahre später darf man sich neben einer optischen auch eine spielerische Weiterentwicklung einfach erwarten.

Praktisch ist in jedem Fall, dass man sich nicht mehr Hardware dazukaufen muss – eine PS5 vorausgesetzt, versteht sich. Die in dem Headset verbauten Außenkameras sind ein Traum, weil man damit per Knopfdruck die reale Welt einblenden kann, um sich etwa ein Glas Wasser zu genehmigen oder sich einen Stuhl zurechtzuschieben. Dennoch kommt es bei schwachem Licht weiterhin zu Problemen, weil die Kameras die Umgebung nicht ausreichend gut analysieren können, um den Spielerbereich festzulegen. Die Meldung "Can't track surroundings" nervt dann schnell einmal.

Motion-Sickness

Schwache Mägen, die auch das Lesen auf der Rückbank eines Autos oder Hochschaubahnen mit starker Übelkeit quittieren, werden auch mit PS VR2 nicht glücklich. Speziell bewegungsintensive Spiele wie etwa "Horizon" bringen solchen Naturen eine noble Blässe rund um die Nase. Die Einnahme von Travel Gum, wie es ihn in der Apotheke gibt, hilft allerdings spürbar. Wer also auf Biegen und Brechen in die VR-Welt eintauchen will, auch wenn die Natur das für diese Person eigentlich nicht vorgesehen hat, kann es trotzdem versuchen.

Die Sense-Controller sind sicher der spürbarste Schritt nach vorn im Vergleich zum Vorgänger. Die präzisierte Steuerung macht eindeutig mehr Spaß.
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Fazit

An dieser Stelle soll nicht diskutiert werden, ob der Preis von knapp 600 Euro für diese Hardware gerechtfertigt ist oder nicht. VR-Enthusiasten, die in den nächsten Jahren regelmäßig in diese virtuellen Welten eintauchen wollen, werden die Höhe für sich rechtfertigen können – und ich werde an dieser Stelle diesen Menschen kein Stoppschild vor ihren fest entschlossenen Kopf halten. Vor allem deshalb, weil bei den wenigen Händlern, die die Hardware zuletzt angeboten haben, bereits große "Ausverkauft"-Schriftzüge prangen.

Wirklich Bahnbrechendes gibt es zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht zu vermelden. "Horizon" ist eine tolle Erfahrung, keine Frage, aber ansonsten finden sich zum Start und in den Wochen darauf vor allem Umsetzungen alter PS-VR1- oder Oculus-Spiele. Auch damit kann man großen Spaß haben. In "Star Wars: Tales from the Galaxy's Edge" mit dem Blaster aus der Deckung feuern, in "What the Bat" mit dem Baseballschläger Pokale umschießen oder in "Moss" erleben, wie man ein klassisches Puzzle-Action-Game virtuell noch intensiver erleben kann, zeigt, wie viel Potenzial VR auch im Konsolenbereich hat. Hätte man zudem für dieses Embargo schon die VR-Modi von "Gran Turismo 7" oder "Resident Evil: Village" freigeschaltet, würde das Fazit vielleicht noch positiver ausfallen. Beide sollen sehr gelungen sein, wie man hört.

Die Frontkameras erlauben es, "durch die Brille" zu sehen, um jederzeit die eigenen vier Wände begutachten zu können, ohne das Headset vom Kopf nehmen zu müssen.
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So fällt meine Conclusio zweischneidig aus. Wie immer bei Hardware – die ohne Frage sehr gelungen ist – hängt das Gros der Nerd-Euphorie von den verfügbaren Spielen ab, und da gibt es zu diesem Zeitpunkt nur eine knappe Handvoll, die man spielen sollte – aber nicht einmal muss. Warum kein aktueller Ableger des grandiosen "Astro Bot"? Warum keine VR-Missionen von "God of War", wo man die Axt einmal richtig in der Hand spüren kann? Andererseits habe ich keine Angst, dass sich VR-Fans mit der neuen Hardware langweilen werden. Die noch nicht zum Test verfügbaren und bereits angeführten Titel "GT 7" und "Village" sind sicher Highlights, "Zenith" soll ein ambitioniertes Onlinerollenspiel sein, und Umsetzungen des Teamshooters "Pavlov" oder das angekündigte "The Walking Dead: Saints & Sinners – Chapter 2" werden dafür sorgen, dass regelmäßig Spielenachschub im Store zu finden sein wird.

Meiner Meinung nach fehlt aktuell noch der System-Seller, der die Hardware zum Selbstläufer werden lässt – aber vielleicht wird dieser ja nach ein paar Wochen oder Monaten noch angekündigt. Bis dahin können geduldige Naturen ruhig abwarten. Alle anderen haben wohl ohnehin schon vorbestellt und werden den Kauf wohl nicht bereuen. (Alexander Amon, 16.2.2023)