Mit ihren Äußerungen hat Karoline Edtstadler ihrer früheren Ministerkollegin keinen Gefallen getan, findet Nikolaus Forgó, Professor für Technologierecht an der Universität Wien und Kommissionsmitglied der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität, im Gastkommentar.

Ministerin Karoline Edtstadler verteidigte in den sozialen Medien Christine Aschbacher: Die Doktorarbeit der Ministerin, die 2021 zurücktrat, sei kein Plagiat. Und was ist mit der wissenschaftlichen Qualität?
Foto: APA / Roland Schlager

Unter dem Titel "Sagen, was ist" postet Bundesministerin Karoline Edtstadler auf Instagram, ähnlich auch auf Twitter, ungewöhnlich ausführlich zum "Fall Aschbacher" und setzt die folgende (fett gedruckte) Überschrift: "Haben Sie schon mitbekommen, dass die Doktorarbeit von Christine Aschbacher kein Plagiat ist?"

Diese Überschrift ist Teil des Problems, von dem sie selbst handelt. Denn: Es sieht ganz so aus, als sei das, worauf Edtstadler sich bezieht – ja was denn eigentlich? Das Gutachten der Kommission der Universität Bratislava? Ein externes Gutachten (oder gleich mehrere)? Einen Bescheid der TU Bratislava? –, nicht öffentlich verfügbar, sondern als entspringe das Urteil "kein Plagiat" im Wesentlichen einigen nicht weiter hinterfragten Zeitungsberichten. Was in Bratislava von wem auf welcher Grundlage wirklich festgestellt und angeordnet wurde, weiß – zumindest – ich nicht und vermutlich auch sonst kaum wer, der hier gerade mitdiskutiert. Das hindert viele nicht daran, trotzdem ausgesprochen meinungsstark aufzutreten, obwohl bei jeder derartigen Behauptung, würde sie in einem Anfängerseminar an der Universität auch noch so bestimmt vorgetragen, daneben stehen müsste: Quelle fehlt, Beleg fehlt, methodisch unkorrekt.

Schlechte Reputation

Es kann in Bratislava eine ganze Menge festgestellt worden sein. Dem Autor wie der Öffentlichkeit ist allerdings nichts dazu bekannt, sodass dies alles rein hypothetisch bleiben muss. "Plagiat" ist nämlich, anders als man vielleicht meint, kein besonders klarer Begriff, und ein Plagiat ist auch nur ein Beispielfall dessen, worum es meistens im Rechtssinne eigentlich geht – um wissenschaftliches Fehlverhalten oder Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis. Darunter kann alles Mögliche fallen: Mobbing, Autorschaft eines Co-Autors verschweigen, Autorschaft ehrenhalber ohne eigenen Beitrag in Anspruch nehmen, Ghostwriting, Datenmanipulation oder eben auch unbelegtes, unzitiertes "Abschreiben".

Einfach nur eine schlechte Arbeit zu schreiben ist kein wissenschaftliches Fehlverhalten, deswegen sind auch die Konsequenzen andere. Wissenschaftliches Fehlverhalten kann sehr schwerwiegende Folgen haben, zum Titelentzug führen, zu Entlassungen, Schadenersatzansprüchen und so weiter. Schlechte Arbeiten führen meistens zu schlechten, manchmal aber auch zu guten Noten, je nach Ernsthaftigkeit und Reputation der Beurteilung und der Universität, an der sie geschrieben werden.

Viele Ungewissheiten

Wird wissenschaftliches Fehlverhalten untersucht, sind alle möglichen Ungewissheiten denkbar, die den Ausgang eines solchen Verfahrens schwer vorhersehbar machen: Welches Recht ist überhaupt anwendbar? Wer ist zuständig? Was kann gerichtsfest bewiesen werden? Sieht das anwendbare Recht den Entzug eines Titels wegen des vorliegenden wissenschaftlichen Fehlverhaltens überhaupt vor? Wie ist dort "Plagiat" definiert? Ist vielleicht Verjährung eingetreten? Gibt es mildere Sanktionen als einen Titelentzug? Wie schwerwiegend ist der Verstoß? Einmaliges oder systematisches Fehlverhalten? Sind Kulturen oder Spezialitäten eines bestimmten Fachs zu bedenken? Ist der Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis verschuldet, kann man also der Person vorwerfen und beweisen, vorsätzlich oder (grob) fahrlässig getäuscht zu haben? Wie verläuft das Zusammenspiel zwischen der untersuchenden Universität und unabhängigen Gutachtern? Kann von den Gutachten (begründet? unbegründet?) durch die Kommission oder das Rektorat abgewichen werden? Liegt vielleicht gar ein Fehlurteil vor, das man in zweiter Instanz überprüfen lassen müsste? Und so weiter.

Mehr Transparenz

Nichts von dem ist, trotz des markigen Spruchs vom "Sagen, was ist", dem Publikum bekannt. Damit bleibt zunächst zu sagen, was nicht ist: ein klares Bild der Situation. Und damit ein Anlass, darüber nachzudenken, ob es eine Verpflichtung geben sollte, solche Informationen über das Verfahren und dessen Ergebnisse zu veröffentlichen – womit man ganz schnell bei einer Diskussion eines Informationsfreiheitsgesetzes landet, für das Edtstadler mit zuständig ist und das bekanntlich seit langem versprochen, aber immer noch nicht da ist.

"Edtstadlers Intervention bietet Anlass, daran zu erinnern, dass Behauptungen belegt werden sollen, um nachvollzogen und diskutiert werden zu können."

Was damit nun stattdessen vorliegt, ist zweierlei: erstens eine öffentlich einsehbare Dissertation, von der sich wenige erklären können, wie sie an einer Universität als Doktorarbeit hat angenommen und positiv beurteilt werden können, und vor deren Hintergrund daher vor allem darüber zu diskutieren ist, wie in Europa ein einigermaßen ausreichendes und einigermaßen einheitliches Qualitätsniveau an Universitäten (endlich, nach Jahrzehnten des Herumprobierens auch hier) gesichert werden kann (und welche Motivlagen dazu führen, dass Menschen solche Arbeiten verfassen, um akademische Grade zu erlangen).

Zweitens bietet Edtstadlers Intervention Anlass, daran zu erinnern, dass Behauptungen belegt werden sollen, um nachvollzogen und diskutiert werden zu können. Mehr Fakten, weniger Spin. Das gilt für wissenschaftliche Aussagen in Dissertationen. Es gilt aber auch in der Tagespolitik – in den großen Dingen (Pandemie, Klimakatastrophe) wie in den kleinen. (Nikolaus Forgó, 13.2.2023)