Aufräumarbeiten nach der Entgleisung eines Güterzuges.

Foto: AP/Gene J. Puskar

Seit mehr als zehn Tagen beschäftigt eine potenzielle Umweltkatastrophe mehrere Ortschaften im Grenzgebiet der beiden US-Bundesstaaten Ohio und Pennsylvania: Nach der Entgleisung eines mit teils gefährlichen Chemikalien beladenen Zuges wurden diese kontrolliert abgefackelt, um zu verhindern, dass sie ins Grundwasser und in der Folge in den nahegelegenen Ohio River gelangen. Doch der betont betuliche Umgang der Behörden mit dem Unfall wirft Fragen auf und trägt in der lokalen Bevölkerung nicht gerade dazu bei, das Vertrauen in die Institutionen zu erhöhen.

Foto: AP/Gene J. Puskar

Am Abend des 3. Februars kam in der Ortschaft East Palestine ein mit giftigen Chemikalien beladener Zug von den Gleisen ab. Nach Angaben des Betreibers Norfolk Southern Railway entgleisten etwa 50 der insgesamt 150 Waggons – darunter zehn mit Gefahrstoffen beladene. Nach dem Unfall dürfte bereits ein Feuer ausgebrochen sein. Dichter Rauch war tagelang über dem Dorf zu sehen.

Aus Angst vor einer Explosion und vor dem Austreten von gefährlichen Gasen wurde eine – zunächst auf engem lokalem Raum begrenzte – Evakuierung angeordnet. Der Bürgermeister von East Palestine, Trent Conaway, rief den Notstand in der 4.700 Einwohner und Einwohnerinnen zählenden Gemeinde aus.

Kontrolliertes Abbrennen

Anfangs war noch unklar, welche Substanzen sich in den Waggons befanden – und somit auch, welche Gefahr für Mensch und Umwelt bestehen könnte. Erst am 10. Februar – eine Woche nach dem Unglück – bestätigte die Environmental Protection Agency (EPA), dass die Wagen mit Chemikalien und brennbaren Materialien beladen waren, wie etwa dem krebserregenden Gas Vinylchlorid sowie mit explosiven Flüssigkeiten wie Butylacrylat und Ethylhexylacrylat. Laut Behörden wurden diese in Luft, Boden und Gewässer freigesetzt.

Um die Ladung in den betroffenen Wagen zu kontrollieren und eine mögliche Explosion zu vermeiden, wurden giftige Dämpfe des krebserregenden Vinylchlorids kontrolliert abgelassen und "neutralisiert", so die offiziellen Informationen. Dabei sei der Inhalt in einen Graben umgeleitet und verbrannt worden. Die Maßnahmen hätten jedoch die Freisetzung von giftigen und möglicherweise tödlichen Stoffen nicht ausgeschlossen.

Behörde: Keine Schadstoffe in der Luft

Sechs Tage nach dem Zugunglück und der kontrollierten Freisetzung seien anhand von Luftqualitätsproben keine besorgniserregenden Schadstoffe gemessen worden, versicherte die Behörde. Die Bewohner konnten laut Ohios Gouverneur Richard Michael DeWine wieder sicher nach Hause zurückkehren. In dem Schreiben des Gouverneurs wurde jedoch empfohlen, kein Wasser aus eigenen Brunnen, sondern ausschließlich solches aus Flaschen zu trinken.

Verunsicherte Bewohner der Region klagten jedoch über chemische Gerüche in der Stadt, und Fotos von toten Fischen und Fröschen kursieren seit Tagen in den sozialen Medien. Befürchtungen darüber, dass Schadstoffe auch in den nahegelegenen Ohio River gelangten, sind groß. Der Ohio verbindet sich zuerst mit dem Tennessee River und mündet dann in den Oberen Mississippi. Am 12. Februar konnten laut dem Wasserversorgungsunternehmen American Water keine Veränderungen bei den Entnahmestellen des Wassers festgestellt werden. Viele Bewohner und Bewohnerinnen wollen dennoch nicht zurück in ihre Wohnhäuser, da die Sorgen über längerfristige Risiken zu groß sind.

Unfallursache noch unklar

Die Ursache für die Entgleisung und Erkenntnisse, in welchem Ausmaß die Umwelt nachhaltig geschädigt wurde, sind noch unklar. Die Säuberung, Bewertung und Überwachung könnten noch Jahre dauern, sagte Kurt Kohler von der EPA in einem CNN-Bericht.

Bis zum momentanen Zeitpunkt sind noch keine gesundheitlichen Auswirkungen der Zurückgekehrten bekannt. Die Festnahme eines Reporters, der während einer Pressekonferenz des Gouverneurs versucht haben soll, live über den Vorfall zu berichten, führte aber zu Bedenken gegenüber den amerikanischen Behörden. Auch die Tatsache, dass bisher größere US-Medien nur zögerlich über den Vorfall berichtet haben, wirft Fragen auf.

Marjorie Taylor-Greene, eine rechtsextreme Republikanerin im Abgeordnetenhaus, stellte auf Twitter die provokante Frage, "was zur Hölle" in Ohio los sei und warum stattdessen so ausführlich über abgeschossene chinesische Ballons berichtet werde – sie insinuierte damit offenbar, dass die Behörden versuchen würden, den Unfall und dessen Folgen medial zu vertuschen. (Tabea Hahn, 14.2.2023)