Direkt nach einer Corona-Infektion werden Menschen oft rasch wieder krank – zum Teil auch schwer. Ein Grund dafür sind sogenannte opportunistische Infektionen.

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Eine Corona-Infektion soll das Immunsystem nachhaltig schwächen, hört man zuletzt immer wieder. Und wenn man überlegt, wie viele Menschen in den vergangenen Wochen krank waren oder noch sind, wie ein Infekt den nächsten fast schon jagt, scheint diese Überlegung sehr plausibel. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprach sogar von einer dauerhaften Schädigung des Immunsystems, weil Corona es stark altern lasse – und ist dann rasch zurückgerudert. Die Frage bleibt, was eine Corona-Infektion nun tatsächlich mit dem Immunsystem macht und wie lange dieser Effekt anhält. Immerhin ist die Infektionsgefahr noch nicht vorbei, im Gegenteil. Abwasseranalysen zeigen aktuell wieder eine Zunahme der Infektionen.

"Die bisherige Datenlage zeigt recht deutlich, dass man sich, hat man eine erste Infektion gut überstanden, wenig Sorgen machen muss, dass das Immunsystem dadurch nachhaltig oder sogar irreparabel geschädigt sein könnte", sagt Sylvia Kerschbaum-Gruber. Sie ist Molekularbiologin an der Med-Uni Wien und beantwortet seit Pandemiebeginn auf Instagram unter dem Namen @molecular.sylvia Fragen rund um Sars-CoV-2. Aber: Je schwerer die Infektion verlaufen ist, desto länger braucht auch das Immunsystem, um wieder so effizient zu sein wie vor der Erkrankung. Und gerade bei Menschen, die deshalb ins Krankenhaus mussten, kann man nicht genau sagen, ob und wie gut es sich wieder vollständig erholt. "Das ist normal und erwartbar. Es ist auch keine Besonderheit von Corona. Man kennt das auch von Influenza, aber Covid gibt es einfach viel öfter", betont Kerschbaum-Gruber.

Immunsystem monatelang beschäftigt

Nichtsdestoweniger soll man eine Corona-Infektion nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn es steht außer Zweifel, dass diese das Immunsystem, auch wenn man sie gut überstanden hat, noch weit über die Genesung hinaus beschäftigt. Wie lange, das ist schwer zu sagen: "Comorbiditäten, also andere Krankheiten, spielen da eine große Rolle, das Alter und auch individuelle genetische Faktoren." Bei nicht kritisch Kranken zeigen Studien, dass sich das Immunsystem innerhalb von zwölf Monaten nach Erkrankung weitestgehend erholt hat, je schwerer die Infektion war, desto länger dauert es. Die Molekularbiologin weiß: "Es gibt aber auch Daten, die eine Normalisierung verschiedener Aspekte der Immunantwort bereits nach acht oder sogar sechs Monaten zeigen. Es kommt auf das Studiendesign an, das Immunsystem ist so komplex, dass keine Studie alles untersuchen kann."

Sie persönlich geht davon aus, dass das Immunsystem monatelang mit den Folgen beschäftigt ist, wenn die Infektion so schwer war, dass man sie zumindest bemerkt hat. "Es muss ja sozusagen auch die Aufräumarbeiten erledigen. Wir wissen ja, dass Covid verschiedene Organe infizieren kann. Die nachfolgenden Reparaturarbeiten werden auch von verschiedenen Immunzelltypen reguliert."

Doch das ist nur eine Seite der Medaille – diese "stillen" Arbeiten merken wir im täglichen Leben oft gar nicht. Was aber viele an sich selbst, bei Familie, Freundinnen und Arbeitskollegen festgestellt haben, ist die deutlich erhöhte Infektanfälligkeit. Dafür ist aber nicht per se ein geschädigtes Immunsystem verantwortlich. Es gibt dafür zwei Gründe.

Ein Grund ist eine Immunlücke. Diese ist dadurch entstanden, dass durch die Corona-Maßnahmen die typischen Tröpfeninfektionen sehr erfolgreich eliminiert wurden. Deren Erreger durchlaufen, ähnlich wie Corona, Veränderungen – aber wesentlich langsamer. Wenn jemand 2018 mit einem Erkältungsvirus infiziert war, dann war die Chance hoch, dass der Stamm 2019 jenem von 2018 noch so ähnlich war, dass die Person nicht noch einmal erkrankt ist. Die Stämme, die jetzt zirkulieren, haben sich aber über mehrere Jahre weiterentwickelt. Dadurch und vor allem auch durch die normale Abnahme der Antikörper, die wir gegen Erkältungsviren nach Infektion ausbilden, sind wir jetzt anfälliger.

Opportunistische Infektionen

Wird man dagegen sehr bald nach einer Corona-Infektion krank, handelt es sich dabei oft um sogenannte opportunistische Infektionen, wie sie diese Meta-Analyse beschreibt. Das sind Infektionen, die den Umstand ausnutzen, dass das Immunsystem infolge einer anderen Erkrankung angeschlagen ist. Es kann dann zu Infekten kommen, die man normalerweise abgewehrt hätte, oder harmlose Erkrankungen entwickeln sich viel schwerer, als das zu erwarten wäre. Kerschbaum-Gruber erklärt: "In unserem Körper patrouillieren unentwegt Zellen des Immunsystems auf der Suche nach Krankheitserregern. Findet eine Infektion statt, spezialisieren sich diese vormals naiven Immunzellen zu Effektorzellen und verlassen den Blutstrom Richtung Infektionsherd, um dort vor Ort den Krankheitserreger zu bekämpfen."

In der Folge zirkulieren aber weniger naive Immunzellen im Blut. Im Fall der oft in Zusammenhang mit Corona diskutierten T-Zellen werden diese zwar permanent von der Thymusdrüse nachproduziert, aber das dauert eine Weile – je schwerer die Infektion war und je älter man ist, desto länger. Denn bei Kindern ist die Thymusdrüse hochaktiv, je älter man wird, desto stärker nimmt ihre Aktivität ab. Das ist mit ein Grund, warum Kinder Infektionen und auch Sars-CoV-2 im Normalfall recht gut wegstecken und und vor allem Ältere viel stärker von schweren Verläufen betroffen sind.

Das ist ein ganz normaler Vorgang, der auch nach anderen schweren Virusinfektionen beobachtbar ist, etwa nach Influenza, wie diese und jene Studie zeigen. Er hat nichts mit einer Alterung des Immunsystems zu tun, wie man zuletzt öfter gelesen hat, also dass das Immunsystem durch die Infektion dauerhaft geschädigt sei. Kerschbaum-Gruber kennt keine Daten, die auf so eine Alterung hinweisen würden. Und sie stellt klar: "Wegen dieser opportunistischen Infektionen und wegen Studiendaten, die eine Aktivierung gewisser Teilbereiche des Immunsystems noch Monate nach überstandener Covid-Infektion zeigen, haben manche in Bezug auf Covid auch von 'air born AIDS' gesprochen, weil es angeblich das Immunsystem genau so stark schädige. Das ist aber komplett falsch und einfach nur Alarmismus. Es gibt keinerlei Daten, die das auch nur im Ansatz zeigen."

Denn das Charakteristikum von HIV ist, dass es seine Erbinformation in das Genom eines T-Zell-Subtyps, der T-Helferzellen, einschreibt. Dadurch entstehen ständig neue Viren, die die nachkommenden naiven T-Helferzellen infizieren und vernichten. Damit fehlt ein essenzieller Teil der Immunantwort, und die Betroffene können an an sich harmlosen Infektionen sterben. Diese Fähigkeit hat Sars-CoV-2 definitiv nicht.

Studien richtig interpretieren

Ein klarer Beweis dafür ist die Hybrid-Immunität, also aus Impfung und Infektion entstandene Immunität, die am besten vor einem schweren Verlauf schützt. "Würde Covid das Immunsystem zerstören, gäbe es keine Hybridimmunität." Das zeigt etwa eine aktuell in "The Lancet" erschiene Meta-Analyse, die Daten von elf Studien auswertet. Die Angst vor dem womöglich zerstörten Immunsystem erklärt die Expertin dadurch, dass Studienergebnisse häufig fehlinterpretiert oder verallgemeinert werden. "Für eine richtige Interpretation ist wichtig, wer untersucht wurde, wann nach der Infektion die Messungen durchgeführt wurden und wo man die Veränderungen gemessen hat."

Die meisten Daten, die länger andauernde Veränderungen von Immunparametern zeigen, seien von schwer Erkrankten oder Long-Covid-Betroffenen. Darüber hinaus könne die Erholung von Gewebsschäden, vor allem bei einem Virus, das potenziell mehrere Organe gleichzeitig befällt, wie es für Sars-CoV-2 auch nachgewiesen ist, Monate dauern. Diese und diese Studie setzen sich damit auseinander. Die Betroffenen sind zwar bei diesen "Aufräumarbeiten" des Immunsystems symptomfrei, diese Phase kann aber monatelang dauern und zeigt sich natürlich auch in Blutproben.

Autoimmunerkrankungen nach Corona

Während sich das Immunsystem von diesen Folgen in aller Regel wieder erholt, gibt es aber auch eine andere Folge einer Infektion, die nicht reversibel ist: Autoimmunerkrankungen. Man weiß, dass solche auch nach milden Verläufen auftreten und unmittelbar mit einer Sars-CoV-2-Infektion in Zusammenhang stehen. "Ein nachgewiesener Zusammenhang besteht zwischen dem erstmaligen Auftreten von Diabetes Typ 1 nach einer Covid-Infektion. Weitere Autoimmunerkrankungen werden diesbezüglich noch untersucht", sagt Kerschbaum-Gruber.

Und auch bei Long Covid ist der autoimmune Faktor sehr wahrscheinlich relevant. Eine der Theorien lautet, dass es durch die Persistenz des Sars-CoV-2 Virus ausgelöst wird oder durch die Reaktivierung eines anderen, persistenten Virus, etwa Herpes oder das Epstein-Barr-Virus (EBV), wie diese in "Nature Microbiology" erschiene Review zeigt. Die Expertin erklärt: "Diese Reaktivierung oder Persistenz löst eine andauernde Aktivierung des Immunsystems aus. Aber auch das ist per se keine Schädigung des Immunsystems, sondern eine normale Immunreaktion."

Ärztlicher Check-up

In diesem Zusammenhang kann es aber zu sogenannten erschöpften Immunzellen kommen – ein Begriff, der auch im Zusammenhang mit Covid-Folgen herumgeistert. Allerdings ist ein erschöpftes Immunsystem, anders als kommuniziert, nicht der Grund für die vermehrten, opportunistischen Infektionen. Das passiert vielmehr, wenn ein Virus im Körper persistiert – wie es bei Long Covid der Fall sein dürfte – und das Immunsystem erkennt, dass es die daraus resultierende Infektion nicht in den Griff bekommen kann. Konkret handelt es sich dabei um cytotoxische T-Zellen, die CD 8-Immunzellen, die dann den Infekt nicht mehr bekämpfen. "Das ist eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung des Immunsystems. Weil es merkt, eine Infektion ist nicht in den Griff zu bekommen, stellen diese Immunzellen ihre Arbeit ein, um Schäden in den Organen zu minimieren", weiß Kerschbaum-Gruber. Aber auch das ist eine normale Reaktion des Immunsystems und keine Störung. Gleichzeitig ist dieses Wissen ein wichtiger Ansatz für die Erforschung von Long Covid und dem Chronischen Fatigue-Syndrom ME/CFS.

Was bedeuten all diese Informationen nun für Corona-Genesene? Ist besondere Vorsicht nötig oder sollte man bestimmte Untersuchungen machen? Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls oder von Herz-Kreislauf-Problemen mehrere Monate nach einer Infektion erhöht. Vor allem ältere Menschen, nach einem schweren Verlauf, sollten deshalb hier aufmerksam sein und idealerweise einen ärztlichen Check vereinbaren. Eine mögliche Myokarditis, eine Herzmuskelentzündung, kann auch bei jüngeren Personen auftreten. Deshalb ist es ratsam, nach einer Infektion ausreichend Zeit zur Genesung einzuhalten. (Pia Kruckenhauser, 16.2.2023)