Zwischen Hawaii und Nordamerika treibt der größte Müllstrudel der Welt.
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Kunststoffe sind günstig in der Erzeugung, können auf vielfältigste Weise eingesetzt werden und sind extrem dauerhaft. Dieselben Eigenschaften jedoch, die ihren Siegeszug in allen Bereichen unseres Lebens begründet haben, machen sie zum Problem, wenn sie nicht mehr verwendet werden: Plastikabfall ist überall, und er verrottet nicht.

Sofern er nicht einer neuen Verwendung zugeführt oder thermisch verwertet wird, landet er früher oder später in irgendeinem Meer. Auch abgelegene Gebiete sind längst nicht mehr gefeit: Mittlerweile findet sich Plastikmüll sogar in der arktischen Tiefsee. Das Problem hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft: Zwischen 2003 und 2016 wurde so viel Kunststoff produziert wie in allen Jahren davor.

Flüsse als Zubringer

Rund 60 Prozent allen bisher erzeugten Plastiks ist mittlerweile Müll. Wie viel davon in die Meere gelangt ist, ist schwer zu sagen: Man rechnet mit 86 bis 150 Millionen Tonnen bisher, wobei jedes Jahr zwischen acht und zwölf Millionen Tonnen dazukommen – Tendenz steigend. Der größte Teil, rund 80 Prozent des Mülls, stammt vom Land: Teilweise direkt von den Stränden oder aus offenen Deponien, vor allem aber kommt er durch die Flüsse ins Meer.

So bringt allein die Donau täglich etwa vier Tonnen Plastik ins Schwarze Meer. In anderen Ländern sieht die Lage noch viel schlimmer aus: "In Südostasien sind viele Flüsse von Plastik bedeckt", weiß Meeresbiologe Gerhard Herndl vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Universität Wien. Einen großen Teil davon machen Gebinde aus, in denen Trinkwasser verkauft wird. Und alles, was auf dem Wasser treibt, endet früher oder später im Meer. Von Winden und Meeresströmungen getrieben, sammelt sich der Müll, sofern er nicht auf den Meeresboden sinkt, letztendlich im Inneren von fünf großen Strudeln: je zwei im Pazifik und im Atlantik und einer im Indischen Ozean.

Durch den Plastikstrudel

Die größte Ansammlung, der Great Pacific Garbage Patch (Großer Pazifischer Müllfleck), findet sich zwischen Hawaii und Nordamerika. Hier kreist ein guter Teil des globalen Plastikmülls unaufhörlich vor sich hin. Allerdings handelt es sich dabei in erster Linie um sehr kleine Kunststoffteile, weswegen der Müllfleck selbst bei einem Lokalaugenschein nicht unbedingt als solcher zu erkennen ist: "Das ist blaues Wasser, in dem hin und wieder ein Plastikstück schwimmt", erinnert sich Herndl, dessen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen den Great Pacific Garbage Patch 2017 an Bord eines deutschen Forschungsschiffs durchquerten.

Unterschiedliche Plastikteile richten unterschiedliche Schäden an. Tiere wie Wale, Robben und Schildkröten verheddern sich in sogenannten Geisternetzen, verlorengegangenen oder zurückgelassenen Fischernetzen und -leinen, können sich dabei Körperteile abschnüren oder so lange am Auftauchen gehindert werden, dass sie ertrinken. Außerdem sind viele Tiere nicht imstande, Plastik von Fressbarem zu unterscheiden.

Tödliche Kleinstteile

Lederschildkröten verwechseln im Wasser treibende Plastiksackerln häufig mit Quallen, die ihre Hauptnahrung darstellen, und verschlingen sie. Seevögel füttern ihre Jungen mit Plastikabfall. In der Folge fühlt sich ihr Magen fälschlicherweise voll an, wodurch die Tiere abmagern und im schlimmsten Fall verhungern können.

Dabei handelt es sich nicht um traurige Einzelfälle: Eine laufende Studie in Deutschland untersucht seit 20 Jahren tot angespülte Eissturmvögel als Indikator für die Plastikverschmutzung. Der Magen-Darm-Trakt fast aller Individuen enthält Kunststoffe – durchschnittlich 30 Teile. Zusätzlich bedecken absinkende Plastikfolien und andere Abfälle sesshafte Tiere wie Schwämme und Korallen und beeinträchtigen deren Licht-, Sauerstoff- und Nahrungsaufnahme.

Schädliche Kunststoffpartikel

Damit nicht genug, enthalten Kunststoffe diverse Zugaben, die giftig sind oder wie Hormone wirken. Beim langsamen Zerfall des Plastiks gelangen diese Stoffe ins Meer, die Folgen sind derzeit nicht abschätzbar. Schwimmende Abfälle bergen außerdem das Risiko, dass sie tierische blinde Passagiere in neue Gegenden bringen, in denen sie Schaden anrichten können. Die größte Gefahr dürfte jedoch von Kunststoffpartikeln mit einer Größe von weniger als fünf Millimetern ausgehen.

Der Niederländer Boyan Slat gründete 2014 das Unternehmen The Ocean Cleanup mit dem Ziel, den in den Meeren treibenden Müll bis zum Jahr 2040 um 90 Prozent zu reduzieren.
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Dieses Mikroplastik entsteht bei der Zersetzung größerer Teile oder ist bereits in ihnen enthalten, etwa in manchen Kosmetikprodukten oder Textilien. Auch über den Abrieb von Autoreifen gelangt Mikroplastik in die Ozeane. Man findet die winzigen Teilchen in allen Meeresbewohnern, von der Alge bis zum Zebrahai, ebenso wie im Meeresboden – auch sehr nah an unserem Zuhause: "Im Mittelmeer etwa ist der Sand in ein bis zwei Metern Tiefe mit schwarzen Partikeln durchsetzt", erzählt Herndl. Auch hier sind die Konsequenzen noch in keiner Weise absehbar.

Abbau von Kunststoffen

Im Zuge eines Forschungsprojekts, das der Wissenschafter seit 2018 leitet, wird auch der Abbau von Kunststoffen durch Mikroorganismen untersucht. Tatsächlich gibt es Bakterien, die Plastik besiedeln und sich davon ernähren. Das braucht allerdings seine Zeit: Der Abbau eines Mikroplastikpartikels dauert laut Herndl ein bis zwei Jahre. Währenddessen kommen jedes Jahr Millionen Tonnen neuen Mülls dazu.

Das 2014 von dem Niederländer Boyan Slat gegründete Unternehmen The Ocean Cleanup hat es sich zum Ziel gesetzt, den in den Meeren treibenden Müll bis zum Jahr 2040 um 90 Prozent zu reduzieren. Gelingen soll das mithilfe von Schlauchsystemen, die den Abfall einsammeln. Nach anfänglichen technischen Problemen fischte das sogenannte System 002 im vergangenen Jahr 153 Tonnen Plastik aus dem Great Pacific Garbage Patch. Es wird zu Sonnenbrillen verarbeitet.

Müllsammler auf See

In diesem Jahr soll das verbesserte System 003 an den Start gehen, das die Vorlage für eine ganze Sammelflotte bilden soll. Seit 2019 ist The Ocean Cleanup auch auf Flüssen aktiv. Solarbetriebene Katamarane fangen den Müll zwischen ihren Schwimmkörpern ein. Vor allem Letzteres hält Herndl, der zum wissenschaftlichen Beirat des Unternehmens gehört, für eine ausgezeichnete Idee: "Das Meer ist riesengroß. Aus den Flüssen lässt sich der Abfall leichter entfernen."

Ein unerlässlicher erster Schritt zur Reduzierung weiteren Plastikmülls in den Meeren wäre Herndl zufolge ein effizienteres Recyclingsystem, vor allem in den Ländern des Globalen Südens. Bislang würden die vorwiegend in Europa und den USA beheimateten Konzerne dort mit dem Verkauf von Trinkwasser zwar große Gewinne einfahren, aber die Entsorgung der dortigen Bevölkerung überlassen.

Letztendlich dürfte jedoch kein Weg daran vorbeiführen, Erzeugung und Verbrauch von Kunststoffen weltweit herunterzufahren. Herndl formuliert es knapp: "Wir sollten Plastik nur noch dort einsetzen, wo es wirklich sein muss." (Susanne Strnadl, 16.2.2023)