Die Erde mit einem Gürtel aus Weltraumschrott. Diese künstlerische Darstellung soll die Situation im All greifbar machen.
Illustration: ESA

Man stelle sich vor, dass alle Schiffe, die jemals auf See verunglückt sind, nicht untergegangen wären; dass alle Wracks und ihre Bestandteile weiterhin auf der Meeresoberfläche dahintreiben würden. Die Schifffahrt wäre ein äußerst gefährliches Geschäft. Jan Wörner, der frühere Generaldirektor der europäischen Raumfahrtagentur Esa, nutzte diesen Vergleich einmal, um die Gefahr des Weltraumschrotts im Erdorbit zu illustrieren. Seit dem Beginn der Raumfahrt mit Sputnik 1 im Jahr 1957 sammeln sich Wracks in der Erdumlaufbahn an. Dazu kommen abgesprengte Raketenstufen und militärische Tests zur Zerstörung von Satelliten, die die Kollisionsgefahr zwischen Objekten im Orbit erhöhen.

Das ist längst keine graue Theorie mehr. Bereits im Februar 2009 wurde der erste Zusammenprall von zwei Satelliten beobachtet. Iridium 33 mit mehr als 500 Kilogramm Masse und Kosmos 2251 – 900 Kilo – trafen mit enormer Geschwindigkeit aufeinander. Die Explosion erzeugte zumindest 100.000 potenziell gefährliche Bruchstücke. Die Internationale Raumstation (ISS) musste aufgrund dieser Schrottteile bereits mehrmals aufwendige Ausweichmanöver fliegen. Je mehr Kleinteile es gibt, desto mehr Kollisionen passieren, was wiederum zu mehr Kleinteilen führt – eine Entwicklung, die bereits der Astronom Donald Kessler in den 1970er-Jahren vorhersagte und die heute unter der Bezeichnung Kessler-Syndrom bekannt ist.

Müllabfuhr für Satelliten

Zudem kommt die private Weltraumindustrie gerade erst richtig in Fahrt. Die Zahl neuer Satelliten steigt rasant. Die Esa, zu deren Etat auch Österreichs Klimaschutzministerium beiträgt, hat sich des Themas angenommen und will Vorreiterin bei der Müllvermeidung und -entfernung im Orbit werden. Wörners Nachfolger, der Österreicher Josef Aschbacher, hat 2022 einen "Zero Debris Approach" präsentiert: "Bis 2030 wollen wir alle europäischen Satelliten konsequent und zuverlässig aus ihren Erdumlaufbahnen entfernen, und zwar unmittelbar nachdem sie ihren Betrieb eingestellt haben", erklärte der EsaDirektor, der hofft, dass andere Raumfahrtagenturen diesem Vorbild folgen.

Eine Entwicklung, die dabei helfen soll, ist Clear Space. Das Raumfahrzeug steuert ausgediente Satelliten im Orbit an, erfasst sie mit seinen vier Roboterarmen und steuert dann in die Atmosphäre, um zu verglühen. Die Forschung an notwendigen Technologien dafür startete schon vor mehr als zehn Jahren. Mittlerweile wurde das Start-up Clear Space, ein Spin-off der EPFL Lausanne, gegründet. Beim ersten Start, geplant für 2026, soll eine über 100 Kilo schwere Vega-Raketenstufe "eingefangen" werden. Bereits 2024 soll dagegen eine ähnliche Mission des in Japan beheimateten Start-ups Astroscale starten. Ihr "Elsa-M"-Service soll via magnetischen Andockmechanismus mehrere Kleinsatelliten – etwa von der One-Web-Konstellation – nacheinander aus dem Orbit entfernen können.

Vollständiges Verglühen

Die massenhafte Entsorgung von ausgedienten Satelliten in der Atmosphäre birgt allerdings auch wesentliche Konsequenzen für Entwicklung und Bau der künstlichen Trabanten. Immerhin sollten keine Teile auf der Erdoberfläche einschlagen und Menschen gefährden. Kontrollierte Abstürze ins Meer sind teuer, eigene "Abschleppaktionen" sowieso. Entwickler tragen der Problematik mit neuen Designkonzepten Rechnung, die eine schnelle Auflösung durch die Hitze beim Wiedereintritt zum Ziel hat. Gleichzeitig darf dieses "Design for Demise" nicht die Widerstandsfähigkeit in der aktiven Zeit verringern. Laut Esa-Richtlinie darf die Chance, dass man auf der Erde von Weltraumschrott getroffen wird, nicht größer als eins zu 10.000 sein.

"Wir gehen davon aus, dass Design for Demise in den nächsten Jahren zu einer Muss-Anforderung für Produkte bei Satellitenkonstellationen wird", sagt Robert Greinecker vom Unternehmen Peak Technology in Oberösterreich. Hier werden seit drei Jahren in einem Projekt mit der Space Debris Office der Esa und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) spezielle Treibstofftanks entwickelt, die beim Wiedereintritt in die Atmosphäre vollständig verglühen. Auch beim Elsa-M-Programm von Astroscale ist das Unternehmen mit an Bord. Bisherige Komponenten von Peak Technology, die etwa für das Satellitennavigationssystem Galileo eingesetzt werden, bestehen aus sehr dünnen Aluminiumhüllen, die von Karbonfaserstrukturen umgeben sind. Die Fertigung erfolgt mittels spezieller Wickelungstechniken. Die Karbonfasern werden so angeordnet, dass eine möglichst hohe Festigkeit entsteht.

Spezielle Fertigungsmethode

Der Plan, diese gewichtssparende Bauweise auch auf das Verglühen in der Atmosphäre hin zu optimieren, stellt das Entwicklerteam vor einige Herausforderungen. "Das Problem ist, dass sich die Kohlefaserstrukturen wie ein Hitzeschild verhalten", sagt Greinecker. "Beim Wiedereintritt benötigen wir aber genau gegenteilige Eigenschaften."

Der Ansatz von Peak Technology sieht eine Unterteilung der Kohlefaserstruktur in einzelne Segmente vor, die sich in der Atmosphäre ablösen und die Hitze besser eindringen lassen. Die Wickelungstechnik wurde angepasst, sodass die Struktur besser zerfallen kann. "Durch die spezielle Fertigungsmethode löst sich die Außenhülle Schritt für Schritt auf", sagt Greinecker. Gleichzeitig wird nach den besten Kandidaten für die Harzsysteme im Verbundwerkstoff gesucht.

Plasmawindkanal

Forschende wie jene bei Peak Technology müssen die Bedingungen des Wiedereintritts sehr genau auf der Erde reproduzieren können. Hilfreich dabei ist ein Plasmawindkanal, wie er beim DLR in Köln vorhanden ist. Dabei wird in eine Vakuumkammer einströmendes Gas mit enormer Energie – man könnte damit eine kleinere Stadt versorgen – in tausende Grad heißes Plasma verwandelt. Objekte, die mit einer Geschwindigkeit von 20.000 Kilometern pro Stunde in die Erdatmosphäre rasen, treffen auf ein ähnliches Umfeld wie die Materialproben im Plasmastrahl.

2022 sorgte Chinas Weltraumbehörde für weltweite Kritik, weil sie eine Raketenstufe unkontrolliert abstürzen ließ. Das Objekt war nicht für den Zerfall in der Atmosphäre gebaut und groß genug, um in bewohnten Gebieten große Schäden anzurichten. Bereits 2020 gingen ähnliche Raketentrümmer in der Elfenbeinküste nieder. Bewohner meldeten damals, dass ein zehn Meter langes Objekt in ihrem Dorf einschlug – offenbar ohne Menschen zu verletzen. Der Einschlag von 2022 landete schließlich vor der Küste der Philippinen im Meer. Die Raumfahrtindustrie muss den Müll, der sich im Erdorbit ansammelt, entsorgen. Die Teile sollten dabei aber nicht zum Problem für die Erdbevölkerung werden. (Alois Pumhösel, 19.2.2023)