Prorussische Narrative sind auch unter serbischen Nationalisten weit verbreitet und im Land einflussreich ...

AP / Darko Vojinovic

... auch wenn es immer wieder auch zu Demonstrationen für die Ukraine kommt.

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Der Erklärungsbedarf wird größer. Die moldauische Präsidentin Maia Sandu erklärte kürzlich, auch Bürger aus Serbien und Montenegro hätten versucht, in die Republik Moldau einzureisen. Ihr Ziel sei gewesen, die proeuropäische Regierung gemeinsam mit russischen Akteuren gewaltsam zu stürzen und sie durch ein vom Kreml kontrolliertes Marionettenregime zu ersetzen.

Mehrere serbische Fußballfans, die nach Moldau geflogen waren, um sich ein Fußballspiel anzusehen, wurden jedenfalls abgewiesen. In Chișinău befürchtete man, das Saboteure ins Land eindringen könnten. Tatsächlich gibt es in den Staaten Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro zahlreiche prorussische Aktivisten, die den Kreml unterstützen. Es handelt sich um serbisch-nationalistische Kräfte, die ähnliche Ziele auf dem Balkan verfolgen wie die russischen Nationalisten in Osteuropa. Manche von ihnen kämpfen auch an der Seite Russlands gegen die Ukraine.

Fahnen mit "Z"

In Montenegro tauchen sie im öffentlichen Raum mit Fahnen mit einem "Z" auf, das für den Angriffskrieg gegen die Ukraine steht. Sie singen offen chauvinistische Lieder und drohen indirekt mit einem Angriff auf den Staat Kosovo. Russland hat auf dem Balkan auch zahlreiche Organisationen, die den Kreml unterstützen, errichtet. Dazu gehören in Serbien der Kreml-Sender RT und die "Nachrichtenagentur" Sputnik, aber auch die Biker-Gang Nachtwölfe. Im südserbischen Niš befindet sich ein sogenanntes "Humanitäres Zentrum", das von Russland betrieben wird, unweit der kosovarischen Grenze. Dort sind Abhöranlagen und russische Agenten stationiert.

Die serbisch-nationalistischen Akteure folgen einem ähnlichen imperialen und hegemonialen Konzept wie die russischen Nationalisten rund um Wladimir Putin, die einen Anspruch auf eine "Russische Welt" – Teile des Territoriums der ehemaligen Sowjetunion – stellen. Die Vertreter der "Serbischen Welt" erheben Anspruch auf Teile des ehemaligen jugoslawischen Territoriums. Bereits in den 1990er-Jahren akzeptierten die Vertreter dieser völkischen Ideologie die Grenzen der neuen Staaten nach dem Zerfall Jugoslawiens nicht und begannen einen Krieg gegen das unabhängige Kroatien und das unabhängige Bosnien-Herzegowina.

Nationalisten versus Bürger

Ziel dieser Nationalisten war es, Bosnien-Herzegowina zu zerstören und ein Großserbien zu schaffen. Die Ähnlichkeiten sind offensichtlich. Auch Putin will heute den unabhängigen Staat Ukraine zerstören und ein Großrussland schaffen.

Als Feindbild wurde in den 1990ern von der damaligen serbischen Staatsführung der westliche Liberalismus definiert. Und auch heute geht es auf dem Balkan wieder um die Auseinandersetzung zwischen einer transparenten, offenen Demokratie für Bürgerinnen und Bürger und einem ethnokratisch basierten, autoritär geführten Staat mit einem antiliberalen Mann an der Spitze, der Nationalismus als Herrschaftsinstrument anwendet. Die Nationalisten auf dem Balkan versuchen die politische Auseinandersetzung als Konflikt zwischen Volksgruppen darzustellen, doch eigentlich geht es um Ideologie und um Territorium. Denn es gibt auch viele Serben und Serbinnen, die kein Großserbien wollen und die antinationalistisch sind.

Denkmäler für gefallene Russen

Die Ideologie des völkischen Nationalismus auf dem Balkan wird von Russland unterstützt. In der bosnischen Stadt Višegrad wurden etwa in den 1990er-Jahren riesige Denkmäler für gefallene freiwillige russische Kämpfer erbaut, die damals an der Seite serbischer Nationalisten kämpften. Sie ermordeten, folterten, vergewaltigten und vertrieben hier an der Drina Menschen tausendfach nur deshalb, weil sie muslimische Namen hatten und dem Ziel eines Großserbien entgegenstanden.

Und umgekehrt unterstützen die serbischen völkischen Nationalisten ihre ideologischen Freunde im Kreml. Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, der seine Politik eng mit dem Kreml abstimmt, hat kürzlich den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit einem Orden ausgezeichnet. In Trebinje, nahe der serbische Grenze, soll ein Flughafen mit Geld aus dem Nachbarstaat Serbien gebaut werden, der offenbar keinen zivilen Zwecken dienen kann, weil es in der Region kaum Tourismus gibt und der Flughafen in Dubrovnik sehr nahe liegt.

Flughafen in Trebinje

Der Militärexperte Berko Zečević glaubt, dass auch Russland aufgrund seines geostrategischen Interesses am Bau des Flughafens in Trebinje interessiert sei, zumal man von Trebinje aus die Küste der Adria mit Radargeräten kontrollieren könnte. Die Küstenstaaten Kroatien, Montenegro und Albanien sind Mitglieder der Nato.

Eine der ökonomischen Grundlagen der Pro-Kreml-Politik auf dem Balkan ist die Abhängigkeit vom russischen Gas in Serbien und in Bosnien-Herzegowina. Der Kreml sorgt für billige Gaslieferungen. Die Gazprom ist auch mehrheitlich an der serbischen Ölgesellschaft NIS beteiligt. In Bosnien-Herzegowina wurde 2007 die russische Neftegazinkor 100-prozentiger Eigentümer der Ölraffinerie in Bosanski Brod. Serbien hat sich noch immer nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland angeschlossen, obwohl es als EU-Kandidatenstaat dazu verpflichtet wäre.

Kein Nebenschauplatz

Der Leiter des Zentrums für Südosteuropa-Studien an der Universität Graz, Florian Bieber, meint, dass es mittlerweile "eine große Herausforderung ist, den Einfluss Russlands auf dem Balkan zu reduzieren". Die Gewaltbereitschaft Russlands und der Antagonismus zum Westen hätten die Bedrohung deutlich aufgezeigt. Es gehe darum, dass Russland nicht in die Lage kommen solle, "auf dem Balkan einen Nebenschauplatz zum Krieg in der Ukraine zu eröffnen", so Bieber.

Die direkten Einflussmöglichkeiten Russlands seien zwar beschränkt, aber Russland könnte versuchen, noch stärker als in der Vergangenheit Unsicherheit und Konflikte in der Region anzuheizen. Deshalb sei es auch wichtig, eine sicherheitspolitische Alternative anzubieten. "Die Vernachlässigung der Region durch die EU hat Russland und China die Gelegenheit gegeben, in der Region stärker mitzumischen", erklärt der Historiker und Politikwissenschafter. "Somit bedarf es auch eines konkreteren Angebots für die Länder der Region, sie in der EU zu verankern."

Kosovo-Frage und Distanz zu Russland

Die EU und die USA haben in den vergangenen zwei Jahren deshalb in die Sicherheitsinfrastruktur investiert, etwa in die Friedenstruppen in Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. "Weiters haben die USA und die EU jetzt viel Gewicht auf die Lösung des Konflikts zwischen Serbien und Kosovo gelegt", so Bieber. "Das liegt daran, dass der russische Einfluss in Serbien teils mit Russlands Unterstützung für Serbien in der Kosovo-Frage zusammenhängt."

In Washington und Brüssel glaubt man offenbar, dass eine Lösung der Kosovo-Frage dazu führen könnte, dass sich Serbien von Russland distanziert. "Damit wären die russischen Einflussmöglichkeiten auf dem Balkan dramatisch reduziert, da die wichtigsten Kontakte über Serbien oder serbische Parteien in den Nachbarstaaten laufen, die wiederum – so die Logik der Westmächte – von Belgrad kontrolliert werden könnten." Dieser Zugang berge allerdings zwei Risiken. "Erstens ist nun die Bereitschaft, auf serbische Forderungen einzugehen, größer als auf kosovarische, weil die EU und die USA Serbien letztlich von einem Deal überzeugen wollen. Dies erhöht die Gefahr eines unausgewogenen Abkommens."

Autoritäre Strukturen verstärken

Zweitens aber ignoriere der Ansatz der westlichen Mächte das Faktum, dass Serbien autokratisch regiert werde und sich hierdurch das Problem für Serbien und die Region eher erhöhen könnte, weil autoritäre Strukturen verstärkt werden. "Letztlich ist in der Region das größte sicherheitspolitische Problem nicht Russland, sondern ein zunehmend autoritäres, nationalistisches und revisionistisches Serbien", resümiert Bieber.

Diplomaten aus den USA und der EU unterstützen damit anderen Experten zufolge auch indirekt die hegemonialen Vorstellungen von einer "Serbischen Welt", weil sie den starken Mann in Belgrad in die Politik der Nachbarländer einbinden, was wiederum deren Souveränität untergräbt.

"In-Schach-Halten"

Offensichtlich ist, dass US-Vertreter, die nun stärker als zuvor auf dem Balkan engagiert sind, auf ein Abkommen zum Kosovo drängten – für den Kosovo schaut dabei wenig heraus. Aber es geht auch gar nicht so sehr um die Beziehung zwischen den beiden Staaten, sondern um ein vorübergehendes "In-Schach-Halten", wie Diplomaten erklären.

Im prowestlichen Nachbarstaat Kosovo wird die Vorgangsweise der Amerikaner und Europäer mit Misstrauen betrachtet. Während Vučić beteuert, dass Serbien zur EU wolle und Serben, die sich dem Kreml-Krieg anschlössen, bestraft würden, meinte der kosovarische Premierminister Albin Kurti kürzlich im Interview mit dem STANDARD, dass Serbiens Neutralität nur vorgetäuscht sei. "Was mich aber mehr beunruhigt, ist die Neutralität des demokratischen Westens gegenüber der vorgetäuschten Neutralität Serbiens", so Kurti.

48 Operationsbasen rund um den Kosovo

Er erinnerte daran, dass die serbische Regierung vergangenes Jahr die billige Versorgung mit russischem Gas und die Koordinierung der gemeinsamen Außenpolitik mit dem Kreml vereinbart hat. Im Jahr 2021 hätten Russland und Serbien 91 gemeinsame militärische Aktivitäten geplant, aber sogar 104 durchgeführt, so Kurti. Serbien habe seit 2001 rund um den Kosovo 48 Operationsbasen errichtet. Die Biker-Gang Nachtwölfe und Verbündete der Wagner-Söldner seien dort zu sehen. Serbien habe zudem 14 MiG-29-Kampfjets, davon seien acht von Belarus und sechs von Russland gespendet worden.

Serbien selbst spielt nach Auffassung von Kurti "die Rolle Russlands auf dem Balkan". Serbien sehe den bosnischen Landesteil Republika Srpska so ähnlich, wie Russland seinen Nachbarn Belarus sieht – also als Region, die unter der eigenen Kontrolle steht. Und es gebe noch weitere Parallelen: Serbien sehe Montenegro so, wie Russland die Ukraine sieht, und den Kosovo so, wie Russland die Republik Moldau sieht. Der Norden des Kosovo spiele in diesem Bild die Rolle der abgespaltenen Region Transnistrien, die unter der Kontrolle Russlands steht. (Adelheid Wölfl, 27.2.2023)