Es handelt sich um das wohl prominenteste kosmische Einzelereignis der letzten Jahre. Nur zwei Jahre nach dem sensationellen Nachweis, dass Gravitationswellen tatsächlich existieren, gelang den drei weltweit einzigartigen Gravitationswellenlaboren der Ligo-Virgo-Kollaboration 2017 die Beobachtung eines Signals, das sich auf die Kollision zweier Neutronensterne zurückführen ließ. Das Besondere daran: Nicht nur Gravitationswellen wurden empfangen, verschiedene Teleskope konnten den Effekt ebenfalls abbilden. Sie registrierten eine sogenannte Kilonova, einen Strahlungsausbruch, der etwas schwächer als eine Supernova ist und bei dem schwere Elemente wie Gold und Platin entstehen. Es war der erste Nachweis, dass Kilonovae von Neutronensternkollisionen verursacht werden.

Eine künstlerische Darstellung einer Neutronensternkollision.
Bild: APA/AFP/European Southern Observatory

Nun, etwa sechs Jahre später, liefert das entfernte kosmische Feuerwerk, das in erster Linie eine eindrucksvolle Bestätigung bisheriger Vermutungen gewesen war, eine Überraschung. Wie eine im Fachjournal "Nature" publizierte Studie zeigt, war die auf die Kollision folgende Explosion ungewöhnlich symmetrisch. Der mit schweren Elementen versehene Feuerball breitete sich annähernd kugelförmig im Raum aus.

Wolke sollte flach sein

Albert Sneppen, ein Doktorand vom Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen, und sein Kollege Darach Watson, die Teil einer "Heavymetal" genannten Kooperation sind, betonen, wie überraschend dieses Ergebnis ist. "Unsere Intuition und alle bisherigen Modelle besagen, dass die bei der Kollision entstehende Explosionswolke eine abgeflachte oder asymmetrische Form haben muss", sagt Sneppen. Doch eine nachträgliche Analyse der 2017 gewonnenen Daten, an der auch das deutsche Helmholtz-Zentrum für Schwerionenforschung, die Universität Turku in Finnland, die israelische Universität Tel Aviv und die Queens-Universität Belfast beteiligt waren, legt eine andere Form nahe.

Konkret wurde unter den vielen beobachteten Lichtfrequenzen auch eine definierte Frequenz entdeckt, die auf schnell expandierendes Plasma hindeutet. Aus dieser im Lichtspektrum sichtbaren "P-Cygni"-Linie ließ sich die Expansionsgeschwindigkeit jenes Teils der durch die Explosion entstandenen Gasfront herleiten, der genau in Richtung der Erde fliegt. Dank einer weiteren Analysemethode, die eine Abschätzung der Geschwindigkeit im rechten Winkel dazu erlaubte, und aufgrund der Tatsache, dass der Zeitpunkt der Explosion aufgrund des Gravitationswellensignals genau bekannt war, konnte auf die kugelförmige Ausdehnung der Wolke rückgeschlossen werden.

Eine Simulation einer Neutronensternkollision, bei der das auf der Erde registrierte Gravitationswellensignal hörbar gemacht wurde. Die gemessenen Signale stimmen außergewöhnlich gut mit den relativistischen Vorhersagen überein. Doch andere Aspekte der Kollision sind bislang rätselhaft.
NASA Goddard

"Das bedeutet wahrscheinlich, dass den Theorien und Simulationen von Kilonovae, die wir in den letzten 25 Jahren betrachtet haben, wichtige physikalische Aspekte fehlen", sagt Darach Watson.

Verschiedene Erklärungsversuche

Das Team diskutierte mehrere mögliche Erklärungen. Die wahrscheinlichste sei, "dass eine riesige Energiemenge aus dem Zentrum der Explosion herausschießt und eine Form glättet, die sonst asymmetrisch wäre. Die kugelförmige Form sagt uns also, dass sich im Kern der Kollision wahrscheinlich eine größere Menge Energie befindet als bekannt", sagt Sneppen. Bei der Kollision zweier Neutronensterne wie in diesem Fall entsteht zuerst ein deutlich massiverer Neutronenstern, der schließlich zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Dabei dürfte ein bisher unbekannter Effekt wirksam sein. Watson spekuliert, es könnte im Moment des Kollapses durch das Magnetfeld des Schwarzen Lochs zu einer "Magnetbombe" kommen, wie er es nennt.

Doch das erklärt nicht eine andere ungewöhnliche Entdeckung der Forschenden. Bei einer Kilonova entstehen schwere Elemente, doch laut den bisherigen Modellen sollten sich die besonders schweren Elemente wie Gold oder Uran in anderen Bereichen der Explosionswolke bilden als die etwas leichteren Elemente wie Strontium und auch in andere Richtungen ausgestoßen werden. Doch die beiden Forscher und ihr Team fanden nur eine gleichmäßige Verteilung der leichteren Elemente.

Eine Visualisierung der Explosionswolke, wie sie Erstautor Albert Sneppen sieht.
Foto: Albert Sneppen

Eine Erklärung könnten Neutrinos sein. Watson mutmaßt, dass der bei der Kollision entstandene riesige Neutronenstern in der kurzen Zeit seiner Existenz unzählige hochenergetische Neutrinos aussendet: "Neutrinos können bewirken, dass sich Neutronen in Protonen und Elektronen umwandeln und so insgesamt mehr leichtere Elemente entstehen." Auch diese Erklärung sei nicht perfekt, doch insgesamt sei man der Meinung, dass Neutrinos eine wichtigere Rolle spielen als bislang angenommen.

Kilonovae als Landmarken im All

Das sonderbare Ergebnis könnte sich als Glücksfall erweisen. Die Astronomie hat großes Interesse an kosmischen Ereignissen, die nach genauen Regeln ablaufen. So ermöglichte etwa die Entdeckung bestimmter Sterne mit immer gleichbleibender Pulsfrequenz, der Chepheiden, das All zu vermessen. Das Messen von Entfernungen im All kann schwierig sein, ist doch bei astronomischen Objekten in der Regel nicht klar, ob sie sehr leuchtstark und weit entfernt oder aber weniger leuchtstark und näher gelegen sind.

Objekte wie die Chepheiden gelten als "Standardkerzen", bei denen ein Faktor wie die tatsächliche Leuchtkraft aus anderen Beobachtungsdaten – hier etwa der Pulsfrequenz – hergeleitet werden kann. Ist die Leuchtkraft bekannt, lässt sich die Entfernung genau berechnen. Kilonovae könnten sich ähnlich verwenden lassen, erklärt Watson: "Wenn sie hell und größtenteils kugelförmig sind und wir wissen, wie weit sie entfernt sind, können wir Kilonovae als neue Methode zur unabhängigen Entfernungsmessung nutzen." Die Kenntnis der Form sei hier entscheidend, ein nicht kugelförmiges Objekt strahle je nach Blickwinkel anders. Erst die Kugelform mache die Verwendung analog zu den bereits bekannten Standardkerzen möglich.

Die Entfernungsbestimmung im All ist essenziell, um eines der größten Rätsel der Astronomie zu lösen. Verschiedene Methoden zur Messung der Expansion des Alls kommen zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen. "In der Astronomie gibt es viele Diskussionen darüber, wie schnell das Universum expandiert. Die Geschwindigkeit sagt uns unter anderem, wie alt das Universum ist. Und die beiden Methoden, die es zur Messung dieses Alters gibt, weichen um etwa eine Milliarde Jahre voneinander ab", sagt Sneppen. Nun gebe es vielleicht eine dritte Methode, um die anderen beiden zu ergänzen.

Damit würde die Gravitationswellenforschung der hohen Erwartungshaltung als "neues Fenster" zur Betrachtung der Geheimnisse des Kosmos bereits wenige Jahre nach dem ersten Nachweis gerecht werden. (Reinhard Kleindl, 16.2.2023)