Samantha Powers, die Chefin von USAID.

Foto: AFP / Attila Kisbenedek

Damaskus/Washington/Gaziantep – Neun Tage nach dem verheerenden Erdbeben in der Südosttürkei und Syrien gibt es Medienberichte über die Bergung einer lebenden Frau. Die 45-Jährige sei am Mittwochmorgen in der Provinz Kahramanmaras gerettet worden, berichtete der staatliche Sender TRT. Sie war demnach 222 Stunden lang verschüttet. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Gut eine Woche nach der Erdbeben-Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Toten bereits auf mehr als 40.000 gestiegen. Alleine in der Türkei liege die Zahl bei 35.418, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi zufolge. Aus Syrien wurden zuletzt 5.900 Tote gemeldet. Tausende Menschen werden weiter vermisst.

Die Hoffnungen, noch Überlebende zu finden, schwinden immer weiter. Dennoch werden die Such- und Rettungsarbeiten fortgesetzt. In der stark betroffenen Provinz Hatay begannen unterdessen auch Aufräumarbeiten, wie eine Reporterin des Staatssenders TRT berichtete.

USAID fordert mehr Hilfen

Samantha Power, die Chefin der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe (USAID), sah indes in Syrien noch dringenden Hilfsbedarf für die Erdbebenopfer. "Trotz der Ankunft von 90 Hilfstransportern sinkt die Menge der humanitären Mittel in Lagerhäusern in Syrien auf ein kritisch niedriges Niveau", schrieb Power am Mittwoch auf Twitter. 350.000 Menschen seien jüngsten Schätzungen zufolge durch die Katastrophe vertrieben worden, schrieb die USAID-Chefin.

Die USA wollen für Syrien und die Türkei 85 Millionen Dollar (etwa 79 Millionen Euro) bereitstellen – unter anderem für Lebensmittel, Unterkünfte, Medizin und Versorgung von Familien. Unabhängig vom Erdbeben sind die USA der größte Geberstaat für Syrien mit humanitären Hilfen in Höhe von 15,7 Milliarden Dollar (14,6 Milliarden Euro) seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011.

Zwei weitere Grenzübergänge freigegeben

Die Freigabe zweier weiterer Grenzübergänge zur Türkei zur Verbesserung der humanitären Hilfe im Nordwesten des Landes sei eine gute Nachricht, schrieb Power. "Aber eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats bleibt der beste Weg, um sicherzustellen, dass Hilfe auf verlässliche Weise weiterhin fließen kann, selbst nachdem die Kameras nicht mehr da sind." Es brauche besseren Zugang zum Nordwesten, wo der Hilfsbedarf durch die "entsetzliche Zerstörung" schon vor den Beben enorm gewesen sei. Die Menschen bräuchten dringend Lebensmittel, Arzneimittel und Zelte als Unterkünfte.

Syriens Präsident Bashar al-Assad hatte zwei weitere Grenzübergänge zur Türkei freigegeben. Bab al-Salam und Al-Ra'ee sollten für drei Monate geöffnet bleiben. Bisher war nur die Öffnung des Übergangs Bab al-Hawa von Damaskus autorisiert worden. Die Grenzübergänge liegen in Gebieten unter Kontrolle von Rebellen.

Suche nach Erinnerungsstücken

Mit der zunehmend schwindenden Hoffnung, in den Erdbebengebieten noch Überlebende zu finden, wenden sich die Menschen inzwischen auch einer anderen Aufgabe zu: der Suche nach ein paar Andenken und Erinnerungsstücken. In der syrischen Provinz Latakia suchten etwa Dutzende nach persönlichem Besitz unter den Trümmern. "Wir suchen nach Erinnerungsstücken, die wir in 30 Sekunden verloren haben beim kompletten Einsturz des Hauses", sagte Ahmed Ragab. Er und weitere Anrainer standen vor dem Trümmerberg ihres vierstöckigen Wohnhauses und eilten voran, sobald ein Räumfahrzeug wieder einen Zementbrocken hob.

"Unsere Wohnung lag im zweiten Stock. Von den Möbeln, die wir über 30 Jahre angesammelt haben, möchte ich nichts. Ich will nur die Fotoalben", sagte Sainab Ali an der Seite ihres 15 Jahre alten Sohnes. "Seit ich Kind war, liebte ich es, Fotos zu machen. Ich habe hunderte Fotos meiner Kinder, von mir als Kind, Andenken an die Schule und Universität, meine Hochzeitsfotos", sagte sie unter Tränen. "Ich hoffe, ich kann ein paar dieser Alben finden", sagte Ali. "Nach diesem Erdbeben haben wir unsere Vergangenheit verloren." (APA, 15.2.2023)