Stewart Bannister drückt den Deckel ganz auf die Wäschekiste. Der schmale Spalt, durch den ein wenig Licht, aber vor allem Luft ins Innere drang, ist geschlossen. José Mourinho gerät in Panik, als ihn Zeugwart Bannister in der Kiste durch die Katakomben der Londoner Stamford Bridge schiebt. Vorbei an den Mitarbeitern des europäischen Verbandes Uefa, die sich so sicher waren, Chelseas Startrainer trotz Sperre in der Kabine zu finden. Sie fanden ihn an diesem Abend im April 2005 nicht.

Jose Mourinhos AS Roma fordert Salzburg.
Foto: IMAGO/Andrea Staccioli / Insidefoto

Am Donnerstag muss sich der 60-Jährige nicht in einer Kiste zusammenrollen, um bei seinem Team zu sein. Mourinho ist aktuell Übungsleiter bei AS Roma. Die Italiener sind in der Europa League zu Gast bei Österreichs Meister Red Bull Salzburg. Und mit ihnen eine der schillernsten Trainerpersönlichkeiten, die der Fußball je gesehen hat.

Liebe und Verachtung

Mourinho wird geliebt für seine Erfolge, für seine Extravaganz, für sein Ausscheren. Und wird gleichzeitig verachtet für seine vermeintliche Arroganz, seinen Sturkopf, seine Egomanie. Mourinho ist vieles, aber egal ist er fast niemandem. Aber wer ist der Mann, der als nur einer von drei Trainern drei unterschiedliche Europacupbewerbe gewinnen konnte? Was macht der Coach des Jahres 2010 so gut, dass er in England, Spanien, Italien und Portugal zig Meistertitel und Cupsiege einfuhr? Wie tickt der immer adrett gekleidete Grauhaarige, der sich mit der unglaublichen Serie von 150 Ligaheimspielen en suite ohne Niederlage (23. Februar 2002 bis 2. April 2011) in die Geschichtsbücher eintrug?

José Mário dos Santos Félix Mourinho wurde am 26. Jänner 1963 in Setúbal geboren. Stopp, bevor Sie weiterlesen: José spricht man natürlich portugiesisch aus: Dschuhsé und nicht Chosé. Mourinho ist das wichtig, es passt zur Akribie des Portugiesen. Er wurde in einer Fußballerfamilie geboren, Vater José Manuel Mourinho Félix, genannt Félix Mourinho, war Torhüter und später Trainer. Der Sohn versuchte sich klarerweise auch selbst als Fußballer. Und scheiterte: "Ich war nicht gut genug."

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Alte Bescheidenheit

Mourinho studierte Sportwissenschaften in Lissabon, wurde nach ersten Stationen als Co-Trainer 1993 Assistent von Sir Bobby Robson bei Sporting Lissabon. Eigentlich sollte er vor allem übersetzen – es wurde mehr daraus. Er folgte Robson zum FC Porto und später zum FC Barcelona. Bald bekam Mourinho im Niederländer Louis van Gaal einen neuen Chef. Der war begeistert von Mourinho: "Sehr professionell – und bescheiden."

Die Zeiten ändern sich. Mourinhos Repertoire ist riesig, die Bescheidenheit blieb im Laufe seines kometenhaften Aufstiegs auf der Strecke. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Mourinho eckt immer wieder an, gibt sich bei Pressekonferenzen launisch und überheblich, fühlt sich von Schiedsrichtern und Institutionen benachteiligt, streitet öffentlich mit Spielern, Teamärztinnen und gegnerischen Trainern. Die Frage, die sich immer wieder stellt: Was ist Show, was ist echt? Im engsten privaten Umfeld wird der Portugiese als umgänglich, ja scheu beschrieben. Öffentlich will er fast schon fanatisch das Narrativ bestimmen. Nur er schreibt die Geschichte, bestimmt den Ton. Mourinho ist ein leidenschaftlicher Provokateur.

Aufmerksamkeit

Bei seinen Spielern provoziert er aber vor allem die Leidenschaft: "Nette Typen gewinnen nichts. Ihr müsst Bastarde sein." Der Portugiese ist ein Meister der Motivation, weiß, wo Ehre und Ego bei den Kickern sitzen und packt sie genau bei diesen. Seinen ersten großen Erfolg feierte er auf seiner dritten Station als Cheftrainer: Mit dem FC Porto gewann er 2004 die Champions League. Auf dem Weg zum wichtigsten europäischen Titel warf Porto als krasser Außenseiter Manchester United im Achtelfinale aus dem Bewerb. Das 1:1 im Rückspiel bezeichnet Mourinho später als vielleicht wichtigsten Meilenstein in seiner Karriere. Den Mantel, den er an diesem Abend trug, hat er noch immer., tragen will er ihn aber nicht mehr. Auf der Insel verliebte man sich in ihn.

Heute ist Mourinho mit Matilde "Tami" Faria verheiratet, mit ihr hat er zwei Kinder: Matilde und José Mário Jr..Er gilt als religiös (vor den Spielen sieht man ihn immer wieder, wie er sich bekreuzigt), er habe "aber keine Zeit ständig in die Kirche zu gehen". Politisch weiß man nicht viel über den Mann aus Setúbal, 2016 unterstützte er aber den Mitte-Rechts-Kandidaten und aktuellen Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa.

Mourinho und Frank Lampard brachten Chelsea Erfolg.
Foto: Action Images via Reuters

Familiär mit Arnautovic

Nach Porto war die nächste Station 2004 der FC Chelsea. Bei den Londonern saß der Russe Roman Abramowitsch am Geldhahn, die Ambitionen waren immens. 2005 und 2006 wurde man Meister, holte zudem drei Pokalsiege. Bei einer Pressekonferenz sagte Mourinho: "Bitte nennen Sie mich nicht arrogant, ich bin ein europäischer Champion. Ich denke, ich bin etwas Besonderes." The Special One. Der Spitzname blieb. Nach der Trennung von Chelsea heuerte Mourinho bei Inter Mailand an. Mit den Italienern wurde er zweimal Meister, 2010 sorgte er mit dem Champions-League-Titel für den größten Triumph der Vereinsgeschichte seit 50 Jahren, formte ein Team, das er noch Jahre später als Familie bezeichnet – der auch Marko Arnautovic angehört hatte.

Mourinhos Antrieb ist der Wettkampf: "Ich hasse Freundschaftsspiele", hat er einmal gesagt. Und er wirkt dabei fast wie ein Getriebener. Es wartet immer die nächste, die nächstgrößere Herausforderung. Mourinho sei ein akribischer Arbeiter, jedes Detail muss passen. Das klingt verkrampft. Denn gleichzeitig ist er jemand, der scheinbar dauernd mit einem Auge zwinkert, oft ein schelmisches Lächeln auf den Lippen hat. Mourinho ist eine Show.

Zenit und Zirkus

Mit Inter war der Portugiese im Zenit seines Schaffens, viele sahen in ihm den besten Trainer der Welt. Kritikern, die ihm schalen Defensivfußball vorwarfen, schleuderte er Statistiken um die Ohren, die beweisen sollten, dass er ein offensiver Trainer sei. Er ging zu Real, wurde spanischer Meister und Pokalsieger, ehe er zu Chelsea zurückkehrte und die Blues zum nächsten Titel führte (2015.). Sein anschließendes Engagement bei Manchester United entwickelte sich trotz des Titels in der Europa League zum Desaster. Die Show wurde zum Zirkus, auch dass Mourinho während seiner gesamten Zeit in einer Luxushotelsuite wohnte, war für viele nur ein Beweis dafür, dass er vor allem eines war: ein Gockel. Der Chefcoach scheiterte auch den Strukturen beim Traditionsverein. "Wenn Mourinho Erfolg hat, ist er dafür verantwortlich, wenn er scheitert, sind immer die anderen Schuld", sagte ein Kritiker.

In Rom verehren sie den Kulttrainer.
Foto: APA/AFP/ANDREAS SOLARO

Über Tottenham, wo er den Argentinier Mauricio Pochettino beerbte und die Spurs vorerst aus einem Katertief nach dem verpassten Champions-League-Titel führte, landete er in Rom. Zum Einstand brachte er quasi den Titel in der Conference League in die Ewige Stadt. Mourinho hat sich über die Jahre verändert: "Früher war ich immer nur auf mich selbst fokussiert, hier ist es anders. Ich merke, wie diese Stadt diesen Verein lebt. Ich möchte den Menschen etwas zurückgeben", sagte er in einem Podcast.

In Salzburg will man sich vor dem Duell vom Glanz nicht blenden lassen. Trainer Matthias Jaissle: "Wenn ein Kollege am Seitenrand steht, der einer der Weltbesten ist, ist es natürlich etwas Besonderes." Aber auch: "Wir wollen sehr, sehr mutig auftreten." (Andreas Hagenauer, 15.2.2023)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen:

Red Bull Salzburg – AS Roma (Red Bull Arena, 18.45 Uhr / live Servus TV und Sky, SR Nyberg / SWE)

Salzburg: Köhn – Dedic, Solet, Pavlovic, Ulmer – Gourna-Douath – Seiwald, Sucic, Kjaergaard – Fernando, Okafor

Es fehlen: Guindo (Knie-OP), Omoregie (Rückenprobleme), Tijani (Schien- und Wadenbeinbruch), Okoh (Trainingsrückstand nach Knieverletzung)

Roma: Rui Patricio – Mancini, Ibanez, Smalling – Zalewski, Matic, Cristante, El Shaarawy – Dybala, Pellegrini – Abraham

Es fehlt: Darboe (Kreuzbandriss), Solbakken (nicht im Uefa-Kader)

Fraglich: Spinazzola (nach Oberschenkelverletzung)

Rückspiel am 23. Februar (21.00 Uhr) im Stadio Olimpico in Rom

Weg in die Zwischenrunde:

  • Salzburg in Champions League Gruppendritter hinter Chelsea und AC Milan
  • AS Roma in Europa League Gruppenzweiter hinter Betis Sevilla