Frauen sind in der Chefetage nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Eine neue EU-Richtlinie geht über die bisherigen österreichischen Vorgaben hinaus. Es bleibt aber Spielraum für Umgehungen.

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An hochqualifizierten Frauen mangelt es in Europa nicht: Rund 60 Prozent der Absolventinnen und Absolventen europäischer Hochschulen sind Frauen. In wirtschaftlichen Führungspositionen der größten Unternehmen der EU sind sie allerdings mit lediglich 31,5 Prozent unterrepräsentiert. Das soll sich nun ändern: Mit einer neuen EU-Richtlinie, die auf einen Kommissionsvorschlag aus dem Jahr 2012 zurückgeht, soll eine ausgewogenere Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften in der gesamten EU gefördert werden. Sie ist bis Mitte 2026 ins nationale Recht umzusetzen.

In Zukunft sind mindestens 40 Prozent der Aufsichtsratspositionen oder 33 Prozent der Aufsichtsrats- und Vorstandspositionen mit Frauen zu besetzen. Im Auswahlverfahren soll, sofern die Vorgaben der Richtlinie noch nicht erfüllt sind, die Person des unterrepräsentierten Geschlechts bevorzugt werden, wenn diese die "gleiche Qualifikation hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung hat wie der Kandidat des anderen Geschlechts".

Ausnahmen für kleine Unternehmen

Für kleine und mittlere Unternehmen sieht die Richtlinie eine Ausnahmeregelung vor. Mitgliedsstaaten können zudem vorsehen, dass Unternehmen, in denen das unterrepräsentierte Geschlecht weniger als zehn Prozent der Belegschaft ausmacht, von der Quotenregelung ausgenommen sind. Das betrifft vor allem große Industrieunternehmen. Aber selbst für jene Fälle, in denen ein Unternehmen – beispielsweise ein Industriebetrieb mit Technikvorstand – diese Zehn-Prozent-Regelung nicht in Anspruch nehmen kann und trotz redlicher Suche keine die Quote erfüllende Person für die vakante Position findet, wird es Ausnahmen geben müssen. Zu denken wäre hier etwa an besondere Begründungs-, Berichts- und Dokumentationspflichten.

Anders als etwa in Deutschland gibt es derzeit in Österreich eine Geschlechterquote nur bei Aufsichtsratspositionen. Die Richtlinie überlässt den Mitgliedsstaaten die Wahl: entweder eine Geschlechterquote von 40 Prozent nur auf Aufsichtsratsebene oder eine von 33 Prozent auf Aufsichtsrats- und Vorstandsebene. Zurzeit muss in Österreich der Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen zu 30 Prozent aus Frauen und zu 30 Prozent aus Männern bestehen. Die derzeitige Quote ist also unter den neuen EU-Vorschriften nicht hoch genug.

Strenge Sanktionen

Die Richtlinie verlangt wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen bei Verstößen gegen die Quotenregelung. Ein Blick auf das aktuelle Aufsichtsratsmodell zeigt, wie das erreicht werden könnte: Sofern eine Person quotenwidrig in den Aufsichtsrat bestellt wird, ist die Besetzung – der deutschen Lehre vom "leeren Stuhl" folgend – unwirksam, und die betreffende Person darf das Mandat nicht übernehmen. Werden in der Zwischenzeit vom Aufsichtsrat Beschlüsse gefasst, obwohl die erforderlichen Quoten nicht erreicht wurden, sind diese Beschlüsse nichtig. Außerdem hat das Unternehmen im Falle der Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Mitglied zu bestellen. Andernfalls kommt dem Gericht die Bestellkompetenz zu. Verstöße gegen die Quotenregelung werden also gesellschaftsrechtlich scharf sanktioniert.

Während der Aufsichtsrat als Überwachungs- und Kontrollorgan nur in Ausnahmefällen ins operative Geschäft eingreift, hat der Vorstand die Zügel in der Hand. Der österreichische Gesetzgeber könnte die Chance nutzen und die geschlossene Männergesellschaft auf Vorstandsebene mit einer Quotenregelung aufbrechen. Die Unterrepräsentation von Frauen auf diesen Positionen zeigt, dass die Quote beim Aufsichtsrat leider nicht auf den Vorstand ausstrahlt.

Umgehungen möglich

Selbst wenn sich Österreich für eine Geschlechterquote auf Vorstandsebene entscheidet, sind Schlupflöcher nicht ausgeschlossen. Für Unternehmen mit Einzelvorstand wird es Ausnahmeregelungen geben müssen. In Deutschland greift die Quotenregelung beispielsweise erst bei einem Vorstand mit mehr als drei Mitgliedern. In Zahlen bedeutet das Folgendes: Bei einem Vorstand aus ein bis zwei Personen greift die Quotenregelung nicht; bei einem Vorstand aus vier Personen müssten zwei Männer und zwei Frauen bestellt werden.

Österreichische Unternehmen könnten die Regelungen mit einem Einzelvorstand umgehen. Außerdem ist die Richtlinie erst bis Mitte 2026 vom österreichischen Gesetzgeber umzusetzen. Da Vorstandsmitglieder auf begrenzte Dauer von höchstens fünf Jahren zu bestellen sind und nur mit einer wichtigen Begründung vor Ablauf des Bestellzeitraums wieder abberufen werden können, ist davon auszugehen, dass in vielen Unternehmen der Frauenanteil auf Vorstandsebene bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht sein wird.

Das gleiche Problem gab es auch bei Einführung der Geschlechterquote beim Aufsichtsrat. Damals erfüllten drei von vier Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben nicht. Die Lösung sah wie folgt aus: Die bereits bestellten Mitglieder des Aufsichtsrats konnten ihr Mandat bis zum regulären Ende wahrnehmen, danach war die gesetzliche Quote bei der Bestellung zu beachten.

Dieser Weg bietet sich nun auch auf Vorstandsebene an. Das Modell ist jedoch nicht unproblematisch: Unternehmen könnten – wie das in der früheren Regelung schon beim Aufsichtsrat der Fall war – noch vor Inkrafttreten der Regelung quotenwidrige Vorstandsmitglieder (wieder)bestellen und so die Wirkung des Gesetzes weitere fünf Jahre aufschieben. (Adrian Zuschmann, Lukas Berghuber, 16.2.2023)