Nicola Sturgeon – noch bis vor wenigen Monaten siegverwöhnt, zuletzt aber reichlich glücklos – hat sich am Dienstag als schottische Ministerpräsidentin verabschiedet.

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Nach turbulenten Wochen und Umfrage-Einbußen für ihre Nationalpartei SNP hat die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon ihren Rücktritt von Staats- und Parteiamt angekündigt. Gute politische Führung in einer Demokratie bestehe auch darin, sagte die 52-Jährige am Mittwoch in Edinburgh, "beinahe instinktiv zu wissen, wann es genug ist. Ich weiß mit Herz und Verstand, dass dieser Zeitpunkt gekommen ist." In ihrer 18-minütigen Ansprache beteuerte sie immer wieder, ihre Entscheidung habe nichts mit "kurzfristigen Problemen" zu tun – eine Anspielung auf ein neues Transgender-Gesetz, das seit Wochen kontrovers diskutiert wird.

Londoner Blockade

Die konservative Regierung in London hat erstmals seit Einführung der Regionaladministration 1999 eine Vorlage des Edinburgher Parlaments mit der Begründung blockiert, diese laufe gesamtbritischen Gleichheitsgesetzen zuwider. Was Sturgeon einen "Angriff auf Schottlands Demokratie" nennt, wird laut Umfragen von der Mehrheit der schottischen Bevölkerung gutgeheißen.

Zur Begründung des Rücktritts beschrieb Sturgeon unsentimental den großen Druck, der auf den handelnden Personen in einer Demokratie laste. "Es gibt praktisch keine Privatsphäre." Die Debatte sei oft brutal und zu sehr auf Personen anstatt auf Sachthemen bezogen. Nach gut acht Amtsjahren seien die Meinungen über sie selbst als Führungsfigur bei Freund und Feind fixiert. Dabei brauche es zur Erreichung der Unabhängigkeit jemanden, der über die bestehenden Fronten hinweg argumentieren könne: "Das schafft eine neue Führung besser."

Die Glasgower Anwältin kämpft seit ihrem 16. Lebensjahr für das Traumziel aller Nationalisten – zunächst als Aktivistin, ab 1999 im damals neu gegründeten Parlament von Edinburgh. Zehn Jahre lang diente sie als Vizechefin der Partei, sieben Jahre auch als Vizeregierungschefin, ehe sie nach dem verlorenen Unabhängigkeitsreferendum (45:55 Prozent) 2014 das Ruder von ihrem charismatischen Vorgänger Alex Salmond übernahm.

Siegverwöhnte Politikerin

Die Unterhaus-Kampagne im Jahr darauf machte sie schlagartig bekannt, zeitweise war Sturgeon die beliebteste Politikerin im Königreich, ein Sieg reihte sich an den anderen. Im Unterhaus halten die Nationalisten 45 von 59 schottischen Sitzen, bei der jüngsten Regionalwahl 2021 schrammten sie nur knapp an der Absoluten vorbei. In der Regierungsarbeit werden sie seither von den Grünen unterstützt. Sie hinterlasse ein verändertes Schottland, sagte Sturgeon und pries Fortschritte bei der Öffnung universitärer Bildung für sozial Schwache, mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt sowie eine familienfreundliche Politik.

Opponenten verwiesen hingegen zuletzt auf weniger positive Veränderungen. So stellt die Zahl der Drogentoten einen westeuropäischen Rekord dar; das einst hochgerühmte Schulsystem liefert schlechtere Resultate als früher; im Gesundheitssystem NHS knirscht es gewaltig.

Auch bei der zentralen Frage nach der Unabhängigkeit gab es zuletzt Rückschläge. Sie glaube "fest daran, dass es dafür eine Mehrheit gibt", beteuerte Sturgeon. Die Umfragen sind sich weniger sicher. Im November hatte der Londoner Supreme Court brüsk das Vorhaben der SNP-Regierung zurückgewiesen, ein neuerliches Unabhängigkeitsreferendum ohne die gesetzlich vorgeschriebene Zustimmung des Unterhauses durchzuführen. Fragen wie die zukünftige Währung eines unabhängigen Landes, die Folgen einer Zollgrenze zum viel größeren englischen Nachbarn und die angestrebte Einbindung in die EU bleiben ungeklärt.

Respekt, Anerkennung

Die politischen Gegner gaben sich am Mittwoch artig. Der konservative Premier Rishi Sunak dankte Sturgeon für deren "langen Dienst". Anders als zuvor Boris Johnson und Liz Truss hat Sunak stets sein Interesse an vernünftiger Kooperation mit den Regierungen aller Regionen des Vereinigten Königreichs betont. Anerkennend auch die Worte einer anderen gescheiterten Tory-Regierungschefin: Theresa May dankte für den "nimmermüden Einsatz".

Für die Nachfolge im Gespräch sind Sturgeons Vize John Swinney (58) wie auch Gesundheitsminister Humza Yousaf (37). Als Favoriten gelten die Finanzministerin Kate Forbes und der Ressortchef für Verfassungsfragen Angus Robertson. Forbes (32) kommt gerade erst aus der Elternzeit und gilt als größtes Nachwuchstalent. Der frühere Journalist Robertson (53) verfügt über große Erfahrung im Unterhaus, wo er zehn Jahre lang seine Fraktion leitete; dem Edinburgher Parlament gehört er seit 2021 an. In jedem Fall, analysiert der Sozialwissenschafter Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh, würden im Nachfolgekampf "die internen Gegensätze der SNP deutlicher nach außen treten".

Als sicher gilt auch, dass der SNP-Generalsekretär sein Amt räumt: Peter Murrell ist nämlich Sturgeons Ehemann. (Sebastian Borger aus London, 15.2.2023)