Durch Nahrungskarenz ist die Zelle nicht mit Energieaufbau beschäftigt, gleichzeitig muss sie aber Energie generieren. Das schafft sie, indem sie diese aus altem Zellmaterial wieder aufbereitet – und das tut langfristig der Gesundheit gut.

Illustration: Fatih Aydogdu

Abfallprodukte sind im menschlichen Organismus allgegenwärtig. Nicht wenige Organe sind damit beschäftigt, diese wieder loszuwerden. Über die Lunge wird verbrauchte Atemluft ausgeschieden, die Leber baut Zellgifte wie Alkohol ab, Darm und Nieren scheiden unverdauliche Nahrungsbestandteile und chemische Substanzen aus. Und auch im Körper selbst entstehen Abfallstoffe, etwa wenn Zellen altern. Deshalb verfügt unser Organismus über ein extrem effektives Recyclingprogramm, mit dem er sogar Energie gewinnen kann: Er baut alte oder kaputte Zellbestandteile ab und verwertet sie wieder. Dieser Prozess heißt Autophagie, und seit der japanische Zellbiologe Yoshinori Ōsumi im Jahr 2016 für diese Entdeckung den Medizinnobelpreis bekommen hat, ist sie in aller Munde.

Der Begriff Autophagie stammt aus dem Griechischen und bedeutet "sich selbst essend". Nicht mehr benötigte oder defekte Zellbestandteile wie Proteine, Fette oder ganze Zellorganellen werden in ihre Einzelbausteine zerlegt und wieder dem zelleigenen Stoffwechsel zugeführt. "Das stärkt den Versorgungsstatus der Zelle und gewährleistet, dass der Energiebedarf auch unter schwierigen Bedingungen, etwa bei einer Nährstoffknappheit, gedeckt wird", erklären die Molekularbiologen Tobias Eisenberg und Didac Carmona-Gutierrez, die an der Grazer Karl-Franzens-Universität den Prozess der Autophagie erforschen.

Weg zum gesunden Altern?

So werden vor allem defekte und potenziell für die Gesundheit schädliche Zellbestandteile entsorgt – die mit dem Älterwerden zunehmen. Das können verklumpte Proteine sein, die womöglich zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz führen, oder geschädigte Mitochondrien, die Krebs mitverursachen können. Die zu verwertenden Zellbestandteile werden in sogenannte Autophagosomen verpackt. Das sind kleine, membranumschlossene Pakete in der Zelle – eine Art molekularer Müllsack –, die dann mit Zellorganellen verschmelzen und mit spezialisierten Enzymen verdaut werden. Am Ende dieses Prozesses funktioniert die Zelle besser als davor. "Man vermutet deshalb, dass die Autophagie unter anderem ein Schlüsselprozess für gesundes Altern ist", erklären Eisenberg und Carmona-Gutierrez.

Grundsätzlich läuft Autophagie in nahezu allen Körperzellen kontinuierlich auf basalem Niveau ab. Doch in Studien in unterschiedlichen Organismen konnte gezeigt werden, dass die autophagische Aktivität sinkt, je älter man wird. Das passiert auch in den menschlichen Immunzellen und könnte eine Erklärung für das Auftreten altersbedingter Krankheiten sein. Deshalb sucht man Wege, um diesen körpereigenen Prozess zu aktivieren und stärken. Und ist dabei auf eine simple Methode gestoßen: Fasten.

"Kalorische Restriktion, egal ob man dauerhaft weniger isst oder über längere Phasen auf Nahrung verzichtet, ist der stärkste physiologische Stimulus, da sind sich die Forschenden einig", erklärt Andreas Michalsen, der das Fasten an der Berliner Charité erforscht und Chefarzt im Immanuel-Krankenhaus Berlin ist. Denn ist die Zelle damit beschäftigt, von außen zugeführte Energie zu verarbeiten, hat sie keine Kapazitäten zum Abbau alter Bestandteile.

Eine Frage der Zeit

"Durch Nahrungskarenz ist die Zelle nicht mit Energieaufbau beschäftigt, gleichzeitig muss sie Energie generieren. Das schafft sie, indem sie diese aus altem Zellmaterial wieder aufbereitet", sagt der Forscher. Dass das funktioniert, ist so weit klar. Doch welche Voraussetzungen für einen idealen Ablauf sorgen, ist noch nicht ganz entschlüsselt. Aus Zell- und Tiermodellen weiß man, dass schon nach wenigen Stunden Fasten, etwa über Nacht, die Autophagie-Rate in verschiedensten Organen deutlich gesteigert wird. Für den Menschen seien jedoch noch mehr Studien und bessere Methoden nötig, um fundierte Aussagen treffen zu können, sind sich Eisenberg, Carmona-Gutierez und Michalsen einig. Möglich sei auch, dass das individuell verschieden ist.

In diesem Zusammenhang wird häufig das intermittierende Fasten propagiert: Man isst acht Stunden, dann folgt eine Kalorienpause über 16 Stunden. Michalsen erklärt: "Die meisten Forschenden vermuten, dass die Autophagie nach zwölf oder 14 Stunden so richtig losgeht. Bei 16 Stunden hätte man demnach bereits einen guten Effekt." Dieser lässt sich natürlich verlängern – zwei oder drei Tage seien da wohl die maximale Zeit, dann sei der Höhepunkt des Effekts überschritten. Wichtiger, als möglichst lange zu fasten, sei dabei die Regelmäßigkeit. Halte man mit einer gewissen Regelmäßigkeit 14 bis 16-stündige Fastenperioden ein, könne man langfristig eine gute Gesundheitsprophylaxe etablieren.

Simuliertes Fasten

Doch Fasten ist nicht für alle geeignet. Eine solche Einschränkung über längere Zeiträume ist schwierig, viele Menschen brechen nach einiger Zeit ab. Und manche Personengruppen sollten aus gesundheitlichen Gründen nicht fasten, wie etwa Minderjährige, sehr alte Menschen, Schwangere oder stillende Mütter. Ebenso wenig geeignet ist es für Menschen mit Knochendichteverlust, bei speziellen Krankheitsbildern oder für sehr dünne Personen.

Deshalb sucht man nach Wirkstoffen, die die molekularen Effekte des Fastens simulieren, indem sie jene molekulare Antwort auslösen, die beim Fasten passiert – zumindest zum Teil, völlig ersetzen kann man die Nahrungskarenz nicht. Fündig geworden ist man bei verschiedenen Früchten und Pflanzen, berichten Eisenberg und Carmona-Gutierrez. Resveratrol etwa, das sich in der Schale von Weintrauben befindet, stößt die Autophagie an. Ein anderer Stoff ist Spermidin, das die Zellen konstant selbst produzieren, das aber auch in Lebensmitteln wie Weizenkeimen, gereiftem Käse, Pilzen oder Hülsenfrüchten enthalten ist. In Tiermodellen führen diese Substanzen zu einer verlängerten Lebensspanne und verbesserter Gesundheit im Alter. Ob diese gesundheitsfördernden Effekte im Menschen genau so nachgewiesen werden können, muss nun in weiteren kontrollierten klinischen Studien untersucht werden.

Wie gut das regelmäßige Anstoßen der Autophagie tatsächlich gesundheitlich wirkt, ist noch unklar – aber man setzt große Hoffnungen darin, etwa zur Vorbeugung neurodegenerativer und kardiovaskulärer Erkrankungen. Und die Vorstellung, dass der Körper seinen eigenen "Abfall" so smart verwertet, dass davon die Gesundheit sogar profitiert, ist auf jeden Fall erfreulich. (Pia Kruckenhauser, 20.2.2023)