Ob Mode, Möbel oder Mobiltelefon – vielen unserer Besitztümer ist keine sonderlich lange Verwendungsdauer beschieden. Etliches, das in den Mistkübel wandert, ist keineswegs kaputt, sondern einfach nicht mehr chic.
Illustration: Fatih Aydogdu

Das Angebot klingt zugegebenermaßen verlockend: Bei etlichen Onlinehändlern können Waren bestellt, daheim in Augenschein genommen und kostenlos zurückgeschickt werden, falls sie nicht gefallen sollten. Die Art, wie es nach dem Rückversand mit den georderten und retournierten Gütern weitergeht, kann einem die Lust am Interneteinkauf jedoch gehörig verderben. Denn oft landen die zurückgesandten Waren im Müll, und zwar ungeachtet dessen, dass sie ungenutzt und neuwertig sind.

Zunehmend versuchen Regierungen, diesem Vorgehen einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Indes zeichnet die Retourenvernichtung das Bild eines Systems, in dem es häufig günstiger ist, Neuwertiges zu vernichten, anstatt es für den Wiederverkauf aufzubereiten. Die Konsequenzen daraus sind ein steigender Ressourcenverbrauch ebenso wie das Anwachsen der weltweiten Müllberge. Obwohl nationale Trends sehr unterschiedlich ausfallen, erhöht sich die Abfallmenge pro Jahr und Kopf rund um den Globus.

Ära der Wegwerfmentalität

Nach Berechnungen der Weltbank wurden im Jahr 2020 weltweit 2,2 Milliarden Tonnen Abfall erzeugt. Bis zum Jahr 2050 wird eine Steigerung auf 3,8 Milliarden Tonnen erwartet. Erhebungen zufolge fällt der meiste Müll pro Einwohnerin und Einwohner in westlichen Industrienationen an, also in jenen Gesellschaften, die Kritikerinnen und Kritikern zufolge von einer Wegwerfmentalität geprägt sind. Mit einem Abfallaufkommen von 519 Kilo Haushaltsmüll pro Kopf liegt Österreich EU-weit im Spitzenfeld, wie die folgende Grafik zeigt. Das Gesamtmüllaufkommen liegt pro Kopf sogar bei 7729 Kilo.

Grafik: Oana Rotariu

Der Begriff der Wegwerfgesellschaft entstand übrigens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als sich in Europa ein beginnender Wirtschaftsboom abzeichnete. Die industrielle Produktion erlaubte kostengünstigere Herstellung, Güter konnten billiger abgesetzt werden. In weiterer Folge wurden Ausgangsressourcen durch die zunehmende Globalisierung leichter verfügbar, was der Produktion nochmals Aufwind verschaffte.

Frage nach dem Wert der Dinge

Bald wurde die Bezeichnung in wachstums- und konsumkritischen Debatten aufgegriffen und weiterverbreitet. Auch wenn mit dem Begriff vordergründig vor allem Gesellschafts- und auch Kapitalismuskritik verbunden werden, liegen den Debatten Fragen nach unserem Verhältnis zu den Dingen und der Bedeutung von Konsumobjekten in der Gesellschaft zugrunde, schreibt dazu die Nachhaltigkeitsforscherin Melanie Jaeger-Erben. Was als unbrauchbar und nicht mehr erhaltenswert angesehen wird, ist ihr zufolge auch Ergebnis einer sozialen Konstruktion.

Der technologische Fortschritt verkürzt die Lebensdauer vieler Elektrogeräte. Funktionsfähige Geräte wandern oft nur deshalb in den Müll, weil neuere Modelle verfügbar sind.
Foto: APA/DPA/Julian Stratenschulte

Der Prozess, in dem Wertvolles in wahnsinnigem Tempo zu Wertlosem wird, hat dabei viele Triebfedern. So hat etwa der schnelle technologische Fortschritt zur Folge, dass Produkte rascher ausgetauscht werden. In etlichen Bereichen lohnt sich zudem die Reparatur von Gütern kaum, da ein Neukauf vielfach billiger kommt.

Schnelllebige Trends

Dazu gesellen sich in enormer Geschwindigkeit wechselnde Trends, die dazu verleiten, Waren rasch auszutauschen. Ein plakatives Beispiel ist Fast Fashion – aber auch Einrichtungsgegenständen ist aufgrund schnell wechselnder Ästhetik oft eine kurze Verwendungsdauer beschieden.

Rasant wechselnde Trends, Werbung und Kleidung zu Spottpreisen: Die Modebranche ist der global zweitgrößte Umweltverschmutzer nach der Ölindustrie. Fast Fashion steht daher immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Zudem werden konstant neue Begehrlichkeiten erzeugt, erklärt die Wirtschafts- und Sozialpsychologin Katharina Gangl vom Institut für Höhere Studien. "Es wird sehr viel über die Erzählung verkauft, dass wir etwas brauchen", sagt die Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensökonomik, die sich in ihrer Arbeit stark mit Müll und Vermüllung auseinandersetzt.

Neues Image für Müll

"Der Müll ist der dreckige Spiegel unserer Konsumgesellschaft und gleichzeitig ein verdrängtes Problem, das wir aus dem Alltag löschen wollen", attestiert die Forscherin. Dabei ließen sich viele gesellschaftliche Herausforderungen – von der Umweltverschmutzung bis zur Ressourcenverschwendung – lösen, wenn sich Gesellschaften stärker mit ihrem Abfall konfrontieren würden.

Müll stellt eine wertvolle Ressource dar. Diese Erkenntnis muss Fachleuten zufolge stärker im Bewusstsein verankert werden.
Foto: Getty Images/iStockphoto

"Wir müssen Müll als eine wertvolle Ressource betrachten und nicht als etwas, das ich verscharre und womit ich im schlimmsten Fall noch das Grundwasser verseuche", spricht sie neben dem Umgang mit Ausrangiertem auch die Folgen des Exports von Müll in ärmere Weltregionen an.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Um das scheinbar Wertlose als kostbares Gut zu sehen, brauche es einen kulturellen Wandel. Um diesen in Gang zu setzen, dürfe die Geschichte des Abfalls nicht beim Mistkübel enden. In Experimenten hat sich gezeigt, dass Menschen motivierter waren, zu recyceln, wenn ihnen die Produkte gezeigt wurden, die aus den wiederverwerteten Ressourcen gefertigt werden.

"Man muss die Leute auf die Reise des Mülls mitnehmen und visualisieren, was damit passiert", sagt die Forscherin. Neben der Etablierung gewisser Regularien müsse vor allem eine Botschaft kommuniziert werden: "Müll ist etwas Wertvolles, um das man sich kümmern sollte." (Marlene Erhart, 27.2.2023)