Das siebenstöckige Wohnprojekt Wien ist das größte urbane Ökodorf Österreichs. In dem Wohnhaus im zweiten Bezirk gibt es Carsharing, eine Food-Coop, Urban Gardening und viel Platz für Fahrräder.
Foto: Regine Hendrich

Heinz Feldmann inspiziert die Hochbeete. Sie sehen ein bisschen kläglich aus, aber im Sommer sprießen hier der Salat und die Tomaten. Dann geht eine Mail an alle, und jeder, der will, kann mitgarteln. "Die Beete werden aufgeteilt", sagt Feldmann. Der Mann mit Hoodie und grünem Sakko führt durch das "Wohnprojekt Wien", das er mitgegründet hat – vorbei an den Beeten, in den Gemeinschaftsgarten mit der Rutsche, durch den großen Fahrradraum, der 100 Fahrräder beherbergt. Jeder Parkplatz ist versehen mit einem Namen: "Fanny" steht da und "Isa".

Feldmann zeigt die Gemeinschaftsküche, in der ein Mann Zwiebeln und Paprika für das gemeinsame Mittagessen schnippelt. Denn im Haus wird jeden Tag zu Mittag frisch für die Gemeinschaft gekocht. Die Bewohnerinnen und Bewohner helfen nicht nur beim Essen zusammen, sie teilen sich auch Waschmaschinen, Werkzeug, Bücher oder Autos – und das soll ihr Leben nachhaltiger machen.

Heinz Feldmann war früher Konzernmanager, stellte dann seinen Lebensentwurf infrage – und gründete mit anderen das Wohnprojekt Wien.
Foto: Regine Hendrich

Wie alles begann

Heinz Feldmann war früher Konzernmanager und hat "ungeniert CO2 emittiert", wie er erzählt. In einem Sabbatical, bei dem er um die Welt reiste, habe er schließlich so richtig begonnen, seine Art zu leben zu hinterfragen. Er müsse seinen ökologischen Fußabdruck dringend reduzieren, lautete sein Beschluss. "Mir war klar: Das kann ich nur machen, indem ich mich auf eine einsame Berghütte zurückziehe – oder nach Gleichgesinnten suche."

Er suchte nach Gleichgesinnten, nach Architekten, einem Grundstück und einer Baufirma. Die Gruppe wollte einen Neubau, aber in der Stadt wohnen, um gut an den öffentlichen Verkehr angebunden zu sein und jederzeit ins Kino oder in die Arbeit zu kommen. Seit rund zehn Jahren steht das Haus im Nordbahnviertel nun. Aktuell wohnen hier 100 Menschen, 70 Erwachsene und 30 Kinder. Wenn man da ist, spürt man nicht viel von der Hektik der Stadt und dem Verkehr. Rund um das Haus fahren keine Autos, sondern nur Kinder mit ihren Rollern.

Die Hochbeete des Wohnprojekts Wien im Sommer: Alle, die wollen, können mitgarteln.
Foto: Heinz Feldmann

Die Umwelt schonen

Ökodörfer wie das Wohnprojekt Wien sind kein Dorf im eigentlichen Sinn – sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die einen umweltschonenden Lebensstil versuchen. Sie reduzieren ihren Konsum, bauen häufig Obst und Gemüse selbst an, einige leben auch vegan. Rund 500 solcher Gemeinschaften gibt es in Europa. Für Österreich existieren keine genauen Zahlen – Schätzungen gehen von zehn bis 20 aus.

Die Vereinten Nationen listeten Ökodörfer unter ihren "100 Best Practices" für Nachhaltigkeit. Eine Studie in einem deutschen Projekt hat gezeigt, dass der ökologische Fußabdruck der Menschen dort ungefähr nur ein Drittel von dem in der Durchschnittsgesellschaft beträgt. Man könnte sagen: Ökodörfer sind der Versuch eines richtigen Lebens im falschen.

Im Wohnprojekt Wien gibt es einen großen Spieleraum – den die Erwachsenen von der Gemeinschaftsküche aus einsehen können.
Foto: Hertha Hurnaus

Beim Wohnprojekt Wien ist schon beim Bau Wert auf Nachhaltigkeit gelegt worden. Das Haus wurde mit Steinwolle gedämmt, die Fenster sind dreifachverglast, und die Fassade des siebenstöckigen Hauses ist aus Lärchenholz. Ein komplettes Holzhaus sei nicht möglich gewesen, weil das Haus als sozialer Wohnbau gewissen Kostengrenzen unterworfen ist, erklärt Feldmann. Beheizt werden die Wohnungen mit Fernwärme. Das galt vor zwölf Jahren als ökologisch, "seit Putins Einmarsch in der Ukraine wissen wir, dass das ein PR-Gag war und die Fernwärme zu einem Gutteil aus Gas gewonnen wird", sagt Feldmann. "Mittlerweile überlegen wir, wie wir die Wärme ökologischer gewinnen könnten."

Intelligentes Teilen

Den Unterschied mache jedoch vor allem das, was er die "soziale Architektur" nennt: "Wir sparen Ressourcen durch intelligentes Teilen." Die Wohnungen sind eher kleiner angelegt, ein guter Teil des Alltags findet in den Gemeinschaftsräumen statt, die etwa ein Fünftel der Gesamtfläche ausmachen. "Die Kinder brauchen keine riesigen Kinderzimmer, weil es im Haus einen großen Spielraum gibt." Auch große Bücherregale sparen sich die Bewohnerinnen und Bewohner dank der hauseigenen Bibliothek. Werkzeuge können sie in der Werkstatt ausborgen, Waschen können sie in einem Raum im Keller.

Außerdem hat das Projekt eine gemeinsame "Food-Coop": Lebensmittel, etwa Obst, Gemüse oder Getreide, werden in großen Mengen bei Bauern im Umfeld eingekauft und im Haus verteilt. So wird versucht, Verpackungsmüll zu sparen. Die acht Autos, die es im Haus gibt, teilen sich die Bewohnerinnen und Bewohner im Rahmen eines Carsharings. Eines davon fährt mit Elektroantrieb. Im Erdgeschoß des Gebäudes gibt es dafür einen großen Raum für Fahrräder. Jeder Bewohner, jede Bewohnerin hat einen eigenen Stellplatz.

Ein Raum voller Fahrräder: Jeder Bewohner und jede Bewohnerin hat einen eigenen Stellplatz.
Foto: Regine Hendrich

"Das ist der Versuch, in Fülle zu leben und trotzdem den Ressourcenverbrauch zu reduzieren", sagt Feldmann. Im Wohnprojekt gibt es vieles, das den Alltag komfortabel macht, sogar eine Sauna. Dadurch, dass sich viele Menschen diese Infrastruktur teilen, ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach umweltfreundlicher, als wenn sie von einem Haushalt allein genutzt wird.

Ein Vorbild für uns alle?

Sieht so das vielbeschworene Leben aus, in dem Klimaschutz nicht Verzicht bedeuten muss? Kann das, was in Ökodörfern umgesetzt wird, auch für die gesamte Gesellschaft funktionieren?

Beim gemeinschaftlichen Wohnen braucht es eine besonders gute Absprache mit anderen.
Foto: Rupert Pessl

Ein Vorbild können sie auf jeden Fall sein, ist Feldmann überzeugt. Regelmäßig führt er Besucherinnen und Besucher durchs Haus, und es gibt Infoabende für Interessierte. Wenn sie das Konzept kennenlernen, könne das Menschen "zum Nachdenken und zum Umdenken bringen". Und manches von dem, was dort versucht wird, könne auch anderswo umgesetzt werden. Das nachhaltige Bauen etwa, das Teilen oder das Carsharing.

Ein "massentaugliches Projekt" seien Ökodörfer trotzdem nicht, glaubt Feldmann, der auch ein Praxishandbuch zum Thema geschrieben hat. Es heißt "Leben in Gemeinschaft. Partizipativ planen, bauen und wohnen" und ist 2022 im Oekom-Verlag erschienen. Voraussetzung sei die Bereitschaft, sich wirklich darauf einzulassen. Wer gemeinschaftlich wohnen möchte, müsse kompromissfähig sein und nachsichtig mit kleinen Fehlern seiner Nachbarinnen und Nachbarn. "Wenn du der Einzige bist, der weiß, wie man einen Geschirrspüler richtig einräumt, dann zieh nicht in ein Ökodorf", zitiert Feldmann einen Bekannten. Genau hier würden auch mögliche Fallstricke liegen: Das Wohnprojekt sei "nicht nur schöner Wohnen – es ist auch Arbeit und Auseinandersetzung mit anderen." (Lisa Breit, 21.2.2023)