Vor Jahren machte Smith den Kampf mit dem eigenen Körper öffentlich, erzählte von Mobbing und einer daraus resultierenden Fettabsaugung mit nur zwölf Jahren.

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"I'm Not Here to Make Friends": So lautet nicht nur der Titel von Sam Smiths aktueller Single, sondern allem Anschein nach auch das Motto, unter dem die Karriere des Superstars aktuell steht. Smith ist nicht gekommen, um allen zu gefallen, es der Welt recht zu machen. Sondern um ihr die eigenen Unzulänglichkeiten vor Augen zu führen.

Sam Smiths Karriere dauert nun bereits über zehn Jahre an – bekannt wurde Smith durch die Mitarbeit an der Disclosure-Single "Latch", es folgten Hits wie "Money on My Mind" oder "Stay with Me" und zahlreiche Awards, im Jahr 2016 konnte Smith den Oscar für den "James Bond"-Song "Writing's on the Wall" gewinnen. Stilistisch reihte sich Smith selbst zum Beispiel neben Adele ein. Große Stimme, große Balladen, die Auftritte eher zugeknöpft.

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2014 outete sich Smith als homosexuell, in der Dankesrede für den 2015er-Grammy für "Stay with Me" sagte Smith: "Ich möchte dem Mann danken, um den es auf dieser Platte geht und in den ich mich letztes Jahr verliebt habe. Danke, dass du mein Herz gebrochen hast, denn das hat mir vier Grammys eingebracht!" 2017 erklärte Smith in einem Interview, genderqueer zu sein und sich genauso sehr als Frau zu fühlen wie als Mann, 2019 folgte das Coming-out als nicht-binär. Im Englischen identifiziert sich Smith mit den Pronomen "they/them" – ein deutsches Äquivalent gibt es dafür nicht. "Nach einem lebenslangen Krieg gegen meine Gender-Identität habe ich beschlossen, mich selbst zu akzeptieren, innerlich und äußerlich", so Smith. Ein Statement, unter dessen Stern das neue Album "Gloria" steht.

Wer darf sexy sein?

Schon mit der Single "Unholy" schlug Smith im Duett mit Sängerin Kim Petras eine neue Richtung ein, die sich auch schon 2019 in einem Interview ankündigte: "Ich kann jetzt das machen, wovon ich immer geträumt habe, wovor ich aber auch immer Angst hatte, nämlich Popmusik." Im Video zeigt sich Smith lasziv, in Harness oder Glitzer-Onesie tanzend vor einer Burlesque-Kulisse. Ein Bild, das bis heute vorwiegend von durchtrainierten, sehr schlanken und heterosexuellen Stars zu sehen ist.

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Im Video zu "I’m Not Here to Make Friends" legte Smith in Sachen Extravaganz noch eins drauf und zeigte sich im Korsett – die Brustwarzen bedeckt von glitzernden Nippel-Pasties.

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Daraufhin überschlugen sich die Hasskommentare im Netz: Smith wurde als "widerlich" bezeichnet, als "Beispiel dafür, was die degenerierte Hollywood-Kultur aus Menschen macht".

Smith zeige, dass Celebritys heutzutage hypersexualisiert seien und ihre Sexualität jedem und jeder unter die Nase reiben müssten. "Ich habe es satt, dabei zuzusehen, wie diese Leute sich allen aufdrängen. Andrew Tate ist im Gefängnis, und Smith läuft frei herum?", schrieb ein User auf Twitter.

Die Welle an Hass hat eine Diskussion über die Frage ausgelöst, für wen "Sexyness" im herkömmlichen Sinne, so, wie sie etwa Madonna in "Justify My Love" oder Britney Spears in "I'm a Slave 4U" darstellen, okay ist – und wer dafür bestraft wird. Auch Crossdressing, also das Tragen von Mode, die nicht der zugeschriebenen Geschlechterrolle der Person entspricht, scheint an Schönheitsnormen und Genderidentität geknüpft zu sein. Der britische Sänger und Schauspieler Harry Styles wird regelmäßig dafür gefeiert, dass er sich bei Auftritten oder in der "Vogue" in Kleidern zeigt, die Gendernormen aufweichen. Ein Applaus, der für Sam Smith über weite Strecken ausbleibt.

Toxische Körperstandards

Die queer- und dickenfeindlichen Kommentare kommen aber nicht nur von heterosexuellen Konservativen. Teilweise stammen die Übergriffe auch aus der LGBTQ+-Community selbst. "Wenn Sam Smith die stereotypen Körperstandards erfüllen würde, die die Gay Community erwartet, würdet ihr alle klatschen, bis euch die Finger abfallen", so ein Tweet. Auch abseits von sozialen Medien wird Smith mit Queerfeeindlichkeit konfrontiert: Im Interview mit Zane Lowe berichtete Smith über Vorfälle, die sich seit dem Coming-out als nicht-binär häufen würden: "Das Schlimmste war für mich, zu Hause in UK zu sein und von Menschen auf der Straße angeschrien zu werden. Jemand hat mich auf der Straße angespuckt."

Dass Sam Smith den eigenen Körper unverblümt und mit viel Selbstbewusstsein zeigt, war für den Star nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Vor Jahren machte Smith den Kampf mit dem eigenen Körper öffentlich, erzählte von Mobbing und einer daraus resultierenden Fettabsaugung mit zwölf Jahren. Im Gespräch mit Jameela Jamil erklärte Smith, damals vor dem Coming-out als nicht-binär, dass Männer viel mehr über Körperbilder sprechen sollten, da auch sie ständig von unrealistischen Idealen und toxischen Vorbildern umgeben seien. Smith schlägt damit in eine ähnliche Kerbe wie Sängerin Lizzo, eine schwarze, dicke Frau, die sich das Recht herausgenommen hat, sich ihren Platz in der Öffentlichkeit zu nehmen.

Sam Smith könnte ein zeitgemäßes Vorbild sein. Für all jene, die mit ihren Körpern kämpfen, und jene, die sich entscheiden, Frieden damit zu schließen. (Verena Bogner, 21.2.2023)