Im Gastblog schreibt Kata Tóth über einen Grenzstreit und zeigt, wie dieser Einblick in die damaligen Machtverhältnisse gibt.

Das Rodnaer Gebirge befindet sich im inneren Bogen der rumänischen Ostkarpaten in der historischen Region Siebenbürgen. Heutzutage ist es ein Nationalpark, der Touristinnen und Touristen mit seinen Gletscherseen sowie abenteuerlichen Wanderwegen anlockt. Seine üppigen Wälder sind wichtige Ressourcen für Bauholz, und im Sommer begegnet man heute noch Schafherden auf den ausgedehnten Hochweiden.

Aus dem Jahre 1639 blieb ein Brief über einen Berg dieses Massivs namens Putred (wörtlich: verfaulter Berg) erhalten. Der Adressat war die siebenbürgische Stadt Bistritz (Bistrița), südwestlich von diesem Berg; der Verfasser war Mitrofan, Abt (egumen) des Klosters Moldovița im benachbarten Fürstentum Moldau. Die Sprache des Briefs war Rumänisch, geschrieben mit kyrillischen Buchstaben, wie es im 17. Jahrhundert immer häufiger in der Kommunikation zwischen den Fürstentümern Moldau und Siebenbürgen vorkam.

Mitrofan wies darauf hin, dass dieses Schreiben eine Antwort auf den Brief der Bistritzer über die "Maramurescher Berge" war. Er bot nun an, zu bezeugen, dass der Berg Putred zum Distrikt der Stadt Bistritz gehörte. Dies könne er genau sagen, da er nämlich selber aus diesem Distrikt stamme, und zwar aus dem Dorf Sankt Georgen (rumänisch Sângeorz-Băi), wo er als Knabe auf dem Putred Schafe gehütet habe. Er und die anderen Mönche würden sich allerdings nicht wagen, ohne die Kenntnis ihres Woiwoden (Fürsten), Vasile Lupu (1634-1653), "dahin auf den Berg" zu gehen, da Lupu ein "heikler Mensch" sei, weswegen der Abt die Bistritzer bat, zuerst eine Erlaubnis für die Ausstellung einer Bestätigung vom Woiwoden einzuholen.¹

Fürstentümer und ihre Städte

Der Staat Rumänien, wie wir ihn heute kennen, entstand erst nach dem Ersten Weltkrieg. Auf seinem heutigen Gebiet befanden sich die Fürstentümer, welche in unserem Brief vorkommen. Siebenbürgen lag innerhalb des Karpatenbogens. Vor der Schlacht bei Mohács 1526 war es Teil des Königreichs Ungarn, wonach es sich als eigenständiges Fürstentum etablierte. Es bezahlte dem Osmanischen Reich den jährlichen Tribut, blieb aber dennoch ein wichtiger politischer Akteur in Ostmitteleuropa. Für den internationalen sowie regionalen Handel waren insbesondere die Städte der Siebenbürger Sachsen von Bedeutung. Diese hatten sich im Laufe des Hochmittelalters vornehmlich aus dem Mosel- und Rheingebiet angesiedelt und von der ungarischen Krone weitreichende Privilegien erhalten.

Der Gletschersee "Lala Mare" neben dem Berg Lala, welchen ebenfalls sowohl die Bistritzer als auch die Maramurescher beanspruchten.
Foto: Public Domain

Bistritz war eine dieser sächsischen Städte. Ihr gehörte der südliche Teil des Rodnaer Gebirges. Genutzt wurden diese Berge von den umliegenden rumänischen Dörfern, welche ihre Abgaben zugunsten der Stadt entrichten mussten. Der nördliche Teil des Rodnaer Gebirges gehörte dem Komitat Maramuresch, einer heute noch stark landwirtschaftlich entwickelten Region im nördlichen Rumänien. Die Grenze zwischen dem Distrikt der Stadt Bistritz und Maramuresch war einige Wochen vor der Abfassung von Mitrofans Brief neu festgelegt worden. Aus der Grenzbeschreibung geht allerdings nicht hervor, ob die Frage der Zugehörigkeit von Putred gelöst werden konnte.²

Politisch begründete Relevanz von Weiden

Das Fürstentum Moldau wiederum entstand nach dem Abzug der Goldenen Horde im 14. Jahrhundert und erstreckte sich – im Gegensatz zur heutigen Republik Moldau – vom Ostabhang der Karpaten bis zur Steppengrenzen am Nistru (Djnestr). Die Osmanen verheerten das Land in mehreren Feldzügen, bis es im Jahre 1538 endgültig zu ihrem Vasallen wurde. Ähnlich wie Siebenbürgen kam die Moldau auch nie unter direkte osmanische Verwaltung. Einen erheblichen Einfluss hatte der Sultan jedoch auf die Wirtschaft des kleinen Landes: Neben dem jährlichen Tribut musste die Moldau Schafe in großer Zahl zu einem besonders günstigen Preis nach Istanbul für die Versorgung der Stadt liefern, da die Sultane kaum etwas mehr fürchteten als Hungerunruhen.

Die großflächigen Weiden der Karpaten gewannen daher ab der Mitte des 16. Jahrhunderts an Bedeutung. Die meisten Almen befanden sich im Besitz von orthodoxen Klöstern im Nordwesten des Fürstentums. Viele dieser Klöster, wie Moldovița, Humor und Sucevița zählen heute zum Unesco-Weltkulturerbe und sind aufgrund ihrer prächtigen Außenmalereien eine beliebte Destination für Kunstliebhaber. Ihre Bannwälder (braniști) von damals grenzten in vielen Fällen unmittelbar an Siebenbürgen, und die Schafe wurden nicht selten – gegen einen gewissen Pachtzins – jenseits der Grenze auf Weiden der siebenbürgischen Stadt Bistritz gehütet.

Frage der Zeugenschaft

Aufgrund der geografischen Nähe, doch auch wegen der wirtschaftlichen Beziehungen werden die Bistritzer die benachbarten moldauischen Klöster darum gebeten haben, ihre Ansprüche für den Berg Putred zu unterstützen. Auch aus dem Jahre 1638 blieben Schreiben der Klöster Putna, Moldovița, Humor und Sucevița erhalten, welche die Zugehörigkeit der Berge Lala, Ineu, Tomnatec, Putred und Piciorul Ungului zur Stadt Bistritz bezeugen.³ Mit der Grenzziehung zur Maramuresch werden die Bistritzer unzufrieden gewesen sein, sodass sie die Mönche wieder um Hilfe baten. Offenbar sahen sie vor, die Grenze des beanspruchten Besitzes gemeinsam mit Zeugen zu begehen, weswegen sich Mitrofan und andere Mönche persönlich "dahin auf den Berg" hätten begeben müssen.

Der "heikle" Mensch, Vasile Lupu, vor welchem Mitrofan offenbar Angst hatte, stammte aus einer aromunischen Familie aus dem heutigen Bulgarien. Er bekleidete verschiedene Ämter, zuerst in der Walachei, später in der Moldau, ehe er dank seiner Beziehungen an der Hohen Pforte vom Sultan zum moldauischen Woiwoden ernannt wurde.

Die siebenbürgisch-moldauischen Beziehungen wurden in dieser Zeit von häufigen niederschwelligen Konflikten an der Grenze geprägt. Diebstähle, illegale Nutzung der Weiden, Verletzung von Besitzrechten sind wiederkehrende Themen in der Korrespondenz zwischen Vasile Lupu sowie der Stadt Bistritz, welche eine Vermittlerrolle zwischen dem siebenbürgischen Fürsten und der Moldau innehatte. Der siebenbürgische Berg Suhard war der Hauptgrund für die Streitigkeiten: Laut einer Urkunde aus dem Jahre 1410 soll das Kloster Moldovița diesen Berg als Schenkung erhalten haben. Ende der 1630er Jahre häuften sich die Beschwerden von beiden Seiten, sodass die beiden Fürsten, Georg Rákóczi I. und Vasile Lupu beschlossen, die Grenze zwischen den zwei Ländern in der Gegend des Bergs Suhard festzulegen. Das Kloster Moldovița musste dabei die Ansprüche des moldauischen Woiwoden mit seiner Urkunde unterstützen, welche allerdings eine Fälschung aus dem 16. Jahrhundert war.⁴

Hirten als Experten des Berges

Nachdem wir all das wissen, ist Mitrofans Angst vor seinem Woiwoden nicht mehr verwunderlich. Was hatte ihn aber dennoch bewogen, trotz dieser offenen Konflikte der Stadt Bistritz zu helfen? Fühlte er sich dazu lediglich wegen des ähnlichen Zeugnisses seines Vorgängers im Amt des Abts verpflichtet? Oder spielte seine persönliche Bindung zum Berg als Hirtenjunge eine Rolle?

Hirten kommen in den frühneuzeitlichen Quellen selten zum Wort. Da die Mehrheit von ihnen weder lesen noch schreiben konnte, hinterließen sie keine schriftlichen Zeugnisse. Bei Gerichtsverhandlungen sagten meistens ältere, angesehene Männer aus: am häufigsten Dorfpriester oder eben Mönche. Wurden auch Hirten befragt, zählte man diese erst am Ende der Zeugenliste auf, da sie im Rang tiefer standen. Doch gerade die Hirten bildeten jene Personengruppe, welche in den Bergen am häufigsten unterwegs war und sich da am besten auskannte. Händler, Boten oder eben auch Mönche überquerten zwar die Berge über den kürzesten Pass, doch die Almen gehörten zur Welt der Hirten und ihrer Herden. Um mit den Schafen kein fremdes Grundstück zu betreten, mussten sie sich auch mit den Besitzgrenzen gut auskennen: Im Gegensatz zu den Ratsherren oder den Kanzleischreibern von Bistritz wussten sie sehr wohl, wo genau der Grenzbach floß oder sich der Grenzstein befand. Ihre Karrieremöglichkeiten waren allerdings nicht nur auf die Welt des Hochgebirges beschränkt: Immerhin schaffte es Mitrofan zum Vorsteher eines der wichtigsten Klöster in der Moldau.

Ansehen wichtiger als Erfahrung

Unabhängig davon, ob Mitrofan wegen seiner persönlichen Bindung, oder aus nachbarschaftlicher Solidarität diesen Brief verfasste, ist sein Zeugnis für die Regelung des Rechtsstreits aus zwei Gründen wertvoll: Einerseits kannte er als ehemaliger Hirtenjunge aus Siebenbürgen die Besitzverhältnisse in der Gegend. Andererseits besaß seine Aussage als Abt des Klosters Moldovița auch ein machtpolitisches Gewicht und wog naturgemäß viel schwerer als jene eines einfachen Hirten.

Inwiefern dieses Zeugnis für Bistritz hilfreich war, wurde nicht überliefert: Über weitere Spannungen bezüglich der Zugehörigkeit des Bergs Putred schweigen die Quellen. Es ist vorstellbar, dass die Bistritzer den Woiwoden Vasile Lupu nicht um die Teilnahme von Mitrofan an der geplanten Grenzbegehung baten, da sie sich der Problematik seiner Einbeziehung bewusst wurden.

Diese Episode bezeugt nicht nur die Verflochtenheit und Komplexität der Beziehungen zwischen den Fürstentümern Siebenbürgen und Moldau, sondern auch die Art und Weise, wie die Zeitgenossen Kenntnis von der territorialen Zugehörigkeit einzelner Berge erlangten: Sie achteten eher auf Ansehen, weniger auf Erfahrung. Dies ist einer der Gründe, warum wir heute so wenig über die Weidewirtschaft in den Ostkarpaten vor dem 17. Jahrhundert wissen. Der Abt Mitrofan war einer der wenigen wichtigen Mitspieler der Region, welcher auf die Alm nicht nur einen Blick von unten hatte, sondern sie auch hautnah erlebte. (Kata Tóth, 27.2.2023)