Ein Junge schiebt in Antakya kostenloses Wasser an einer beschädigten Moschee vorbei.

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Gaziantep/Idlib – Nach den verheerenden Erdbeben ist in der Südosttürkei nach Angaben der örtlichen Ärztekammer der Zugang zu sauberem Trinkwasser gefährdet. Leitungswasser könne womöglich durch Vermischung mit der Kanalisation verseucht sein und sei deswegen zurzeit nicht zu genießen, sagte der Chef der Ärztekammer (TTB) im südtürkischen Adana, Selahattin Mentes, der Deutschen Presse-Agentur. Das Wasser werde derzeit untersucht.

In manchen Bezirken wie Nurdag in Gaziantep gebe es gar kein Wasser, weil alles zerstört worden sei. "Wir brauchen dringend Zugang zu sauberem Trinkwasser in der Region und müssen Hygiene herstellen. Außerdem muss der Müll entsorgt werden", sagte er. Andernfalls drohten Infektionskrankheiten wie Cholera.

Bedarf an Lebensmitteln aktuell gedeckt

Adana ist von der Erdbebenkatastrophe nicht so stark betroffen wie die benachbarten Provinzen. Die Ärztekammer hat Mediziner in die stark zerstörten Regionen geschickt und in ihrem Hauptgebäude in Adana ein Lager eingerichtet. Dort stapeln sich Kisten mit Medikamenten, Babywindeln und Binden zur Lieferung an die Betroffenen.

Auf die Frage, woran es mangele, sagte TTB-Vizechef Ali Ihsan Ökten: "Wir brauchen Chlortabletten, wir brauchen mobile Toiletten, Reinigungsmittel und Impfungen gegen Tetanus und Diphtherie." Der Bedarf an Lebensmitteln sei dagegen zurzeit gedeckt.

"Doppeltes Wunder"

Wasser ist auch für verschüttete Personen essenziell. Menschen können in der Regel etwa 72 Stunden ohne Wasser überleben. Die, die nun noch gerettet werden, müssen Medizinern zufolge also irgendeine Art von Wasserversorgung in den Trümmern gefunden haben.

Das dürfte auch bei den zwei Männern der Fall gewesen sein, die Rettungskräfte unlängst in der Türkei retten konnten. Nach eigenen Angaben konnten Einsatzkräfte zwei Männer aus den Trümmern in der Stadt Antakya retten. Die beiden seien in der 261. Stunde nach Beginn der Erdbebenkatastrophe befreit worden, berichtete der staatsnahe Sender CNN Türk am Freitag und bezeichnete die Rettung der 26 und 34 Jahre alten Männer als "doppeltes Wunder". Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Einer der Männer habe gleich danach darauf bestanden, mit einem Angehörigen zu telefonieren, twitterte der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca. Der Angerufene brach am Telefon in Tränen aus, als er von dem Geretteten hörte, wie auf einem Video zu sehen war. Dieser werde nach einer ersten Behandlung im Feldlazarett nun im Krankenhaus behandelt, so Koca auf Twitter.

Erstmals seit Beben wieder Gefechte im Nordwesten Syriens

Im ebenfalls schwer getroffenen Syrien haben sich indes Regierungstruppen und Rebellen in der Nacht zum Freitag erstmals seit dem Erdbeben wieder Gefechte im Nordwesten des Landes geliefert. Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, nahmen die Truppen von Präsident Bashar al-Assad Vororte der Stadt Atareb unter Beschuss, die von den Rebellen gehalten wird.

Demnach gab es auch Zusammenstöße in Saraqeb und in der Provinz Hama. Reuters konnte die Angaben unabhängig zunächst nicht überprüfen. Die Region ist mit am schwersten von dem Beben betroffen. Hilfsorganisationen beklagen, dass dort kaum Hilfen ankommen. In der Region waren bereits vor dem Beben mehr als vier Millionen Menschen von Hilfslieferungen abhängig.

Guterres bittet um Unterstützung

Syriens Präsident Bashar al-Assad ließ in einer zynischen Fernsehansprache verlauten, die Folgen des Krieges im Land hätten die Bevölkerung auf die Erdbeben vorbereitet. "Der Krieg, der Ressourcen erschöpfte und Fähigkeiten schwächte, hat der syrischen Gesellschaft die Erfahrung gegeben, um mit dem Erdbeben umzugehen." Syriens Machthaber geht in dem Konflikt brutal gegen die eigene Bevölkerung vor. Ihm werden etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet, darunter der Einsatz von Chemiewaffen. Der Krieg brach 2011 aus. Mehr als 350.000 Menschen starben bisher.

Um mehr Unterstützung für die Erdbebenopfer zu leisten, bitten die Vereinten Nationen die Mitgliedstaaten um umgerechnet 940 Millionen Euro. Das Geld soll Uno-Generalsekretär António Guterres zufolge "5,2 Millionen Menschen helfen".

Zerstörte Krankenhäuser und Schulen

Die Hilfe in den Erdbebengebieten der Türkei und vor allem in Syrien wird auch einen "langen Atem brauchen", sagte Andreas Knapp, Auslandshilfe-Generalsekretär der Caritas Österreich, nach seinem Besuch in Aleppo. "Das Bild, das sich mir offenbarte, ist schrecklich: Eingestürzte Gebäude, darunter Krankenhäuser und Schulen, teils zusammengebrochene Infrastruktur, Millionen Menschen sind obdachlos und verbringen bei Minusgraden die Nächte auf der Straße oder in Notunterkünften."

Vor über einer Woche hatte ein Beben der Stärke 7,7 die Südosttürkei erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6. Die Zahl der bestätigten Toten in der Türkei und Syrien steigt immer noch. Am Freitag lag sie bei fast 44.000. Zehntausende wurden zudem verletzt, Tausende gelten noch als vermisst. (APA, red, Reuters, 17.2.2023)