STANDARD: Gefragt, mit wem Sie am liebsten ein Glas Wein trinken würden, nennen Sie Regisseur Quentin Tarantino. Weil er ein Fußfetischist ist?

Muhr: Das wusste ich nicht, aber das macht ihn noch sympathischer.

STANDARD: Ich dachte, weil Sie einen Teil Ihrer Ernte mit den Füßen stampfen und er Füße seiner Lieblingsdarsteller gern in Großaufnahme zeigt.

Muhr: Ja, wir stampfen tatsächlich, aber ich mag einfach seine Filme, die sind irre. Und ich wüsste so gern, wie Tarantino denkt. Ich glaube, nach einem Gespräch mit ihm würde ich die Welt anders sehen.

"Wir brauchen Geld für Forschung, etwa für Reben, die dem Klimawandel trotzen können": Winzerin Dorli Muhr.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben 1991 Ihre Agentur Wine & Partner gegründet und machen seit 2002 Ihren eigenen Wein. Könnten Sie noch einmal beginnen: Würden Sie gleich Winzerin werden?

Muhr: Ich glaube nicht, denn die Agentur möchte ich nicht missen, das Ausarbeiten von Strategien, das Ideengeben und Mutmachen ist mir schon sehr wichtig. Manchmal frage ich mich auch, ob es verantwortbar war, dass ich ins Weingeschäft eingestiegen bin. Meine Tochter – sie ist jetzt 19 – hat ab und zu gefragt, ob wir nicht einen tollen Urlaub machen könnten, aber ich habe geantwortet: "Einmal gehen wir noch Zelteln am Weißensee, ist doch auch schön."

STANDARD: Wegen des Geldes? Die Agentur, die Ihnen zu 60 Prozent gehört und mit der Sie Winzer, Gastronomen und Kulinarikbetriebe beraten, setzt rund eine Million Euro im Jahr um, da muss doch genug übrigbleiben?

Muhr: Sicher kann ich gut leben und meinen Illy-Kaffee trinken. Aber alles, was ich in der Agentur in den letzten 20 Jahren verdient habe, habe ich ins Weingut gesteckt. Man sagt ja: Willst du in Wein ein kleines Vermögen machen, musst du mit einem großen Vermögen beginnen.

STANDARD: Wein vernichtet Vermögen?

Muhr: Ja, Wein vernichtet Vermögen, und man braucht einen Langzeitplan. Ich habe zwölf Hektar Weinberge, und die ältesten Reben, die über 70 Jahre alt sind, machen den besten Wein, wenn auch in der kleinsten Menge. Wenn ich heute etwas pflanze, sind wir damit im Jahr 2100 und bei der übernächsten Generation. Das sind die Zyklen, mit denen man im Weinbau rechnen muss. Bei uns geht es nicht um Quartale oder ein Wirtschaftsjahr.

STANDARD: Sie sagen, Sie seien beim Wein auf der Suche nach Perfektion und maximaler Finesse. Was machen Sie, wenn beides gefunden ist? Wenn etwas perfekt ist, ist es vorbei.

Muhr: Das stimmt, die Suche nach der Perfektion ist unendlich. Beim Wein ist zudem jeder Jahrgang anders, und wir müssen lernen, mit der kontinuierlichen Klimaveränderung umzugehen, und die Weingärten gut verstehen.

STANDARD: Muss man mit Reben reden?

Muhr: Reden nicht, aber spüren muss man sie.

Auch Reben brauchen Zuneigung.
Foto: Imago/Viennaslide

STANDARD: Sie haben mit 0,17 Hektar Anbaufläche hier am Spitzerberg begonnen, die Sie von Ihrer Großmutter geerbt haben. Kaufen Sie noch zu?

Muhr: Wachstum ist nicht das Wichtigste, ich muss jetzt einmal konsolidieren. Es geht um Anerkennung – mein Ziel ist ja, den Spitzerberg weltweit als Toplage bekannt zu machen – und Qualität. Meine Aufgabe ist jetzt nach 20 Jahren, meinen Wein zu einer fixen Größe auf den Weltmärkten zu machen, denn bei meinen Preisen brauche ich die, da kann man nicht ab Hof verkaufen. Außerdem muss ich meine neue Kellerei abzahlen.

STANDARD: Im Weingut haben Sie fünf fix Beschäftigte. Finden Sie für die Weinlese genug Leute?

Muhr: Ja. Ich beschäftige Ungarinnen und Ungarn, und die kommen nach wie vor, weil sie bei uns viel mehr verdienen als daheim. Sie nehmen sich zwei Wochen Urlaub und arbeiten in der Zeit für uns.

STANDARD: Sie sagen, Weinbau sei nichts für Eilige. Bis zu einem guten Wein dauere es 20 Jahre …

Muhr: 30 Jahre. In meine Agentur kommen oft Investoren, die sagen: "Ich habe mir ein Weingut gekauft, macht mir die Pressearbeit dazu." Meine erste Frage ist immer, wer die Kunden sind, wer den Wein verkaufen soll. Die antworten dann: "Finden wir, ich habe viele Freunde." Aber die Freunde sind schnell weg, wenn sie etwas zahlen sollen. Ein Weingut ist mit ein bissl Geld in zwei Stunden gekauft – aber insgesamt ist das Weinbaugeschäft irrsinnig langsam.

STANDARD: Ist der Wein Ihr Ausgleich zur Hektik des Agenturgeschäfts oder ist das eher das Singen im Bach-Chor?

Muhr: Die Arbeit im Weingarten ist für mich tatsächlich die schönste, sie ist meditativ und erdet. Aber ich komme nur bei der Ernte dazu, weil ich ja Geld verdienen muss, damit ich das alles tun kann. Und ich singe auch gern, Musik ist mir enorm wichtig – ich komme ja auch aus Joseph Haydns Geburtsort Rohrau.

STANDARD: Verdienen Sie jetzt noch immer nicht mit dem Weinbau?

Muhr: Ich schreibe eine schwarze Null, muss in den nächsten 20 Jahren aber den Kellerei-Kredit abzahlen. Super, dass mir die Bank den noch gegeben hat. Aber ich will eh hundert Jahre alt werden. Damit ich sehe, wie die Reben geworden sind, die ich gepflanzt habe.

STANDARD: Österreichs Weinwirtschaft ist nach dem Weinskandal 1985 wie der Phönix aus der Asche gestiegen, Wein ist hip. Vor hundert Jahren war der Spitzberg ein bekanntes Weinanbaugebiet, dann verschwand er in der Versenkung. Wein und Weingegenden: eine Modeerscheinung?

Der Weinskandal hat 1985 die Republik erschüttert und Österreichs Weinwirtschaft verändert. Hier eine Krisensitzung unter Kanzler Fred Sinowatz (SPÖ).
Foto: Votava 1110 Wien Grillgasse 18 www.votava.at

Muhr: Ja, es gibt Moden beim Wein, die kommen und gehen. Einmal trinkt man mehr Rotwein, dann mehr Weißwein, einmal leichten, dann schweren Wein. Aber dass bestimmte Anbaugebiete mehr im Vordergrund stehen als andere, das hängt an den Menschen. Ich habe mir das in historischen Büchern angeschaut: Anfang des 20. Jahrhunderts gab es drei Seiten über die Wachau, aber 35 Seiten über Retz. Und darin geht es vor allem um die Männer, die dort Wein gemacht und Gas gegeben haben. Auch dass Österreich nach dem Weinskandal weg war vom Fenster und jetzt wieder da ist: Das hat mit den Leuten zu tun, die damals im Weingeschäft aktiv waren und es heute sind.

STANDARD: Und das Weingesetz?

Muhr: Das Gesetz macht keinen guten Wein. Nach dem Skandal hat die Weinmarketing Österreich die besten Winzer in die Welt geschickt, und die haben Österreichs Image geformt. Vor dem Skandal hat niemand gewusst, dass in Österreich Wein wächst, heute sind wir weltweit vertreten. Damals hat man mit coolem Marketing guten Wein zum Identifikationsprodukt für die New Rich gemacht, für Leute, die sich neben schnellen Autos und Markenkleidung auch guten Wein als Statussymbole leisten konnten.

STANDARD: Das Schick-Sein hat dann auch die Winzer selbst ergriffen: Glaspaläste im Weinberg und Designerkleidung im Weingarten.

Muhr: Das ist vorbei. Die Generation der Zukunft interessiert das alles gar nicht. Die wollen nachhaltige Produkte, sind uninteressiert an großen Marken, und sie wollen nicht betrunken werden. Wobei Erlebnisse auf dem Weingut auch gefragt sein werden. Ich selbst werde das hier anbieten: Wein, mit Picknick und Musik unter freiem Himmel.

STANDARD: Was würde zu Ihrem 2017er "Spitzerberg Erste Lage" passen?

Muhr: Mahler wäre schon nicht schlecht.

Gustav Mahlers Musik passt in den Augen der Winzerin gut zu ihrem 2017er-Wein.
Foto: akg-images/picturedesk

STANDARD: Mahler ist nie schlecht.

Muhr: Aber auch Bach passt gut: vielschichtige, hochkomplexe und hochintelligente Musik.

STANDARD: Heute kaufen pensionierte Ex-Manager gern Weingüter, früher haben sie Bücher geschrieben. Ein Trend?

Muhr: Monetär betrachtet kann ein Weingut ein gelungenes Spekulationsobjekt sein. Als ich 2002 begonnen habe, habe ich den Quadratmeter Weingarten um 1,50 Euro gekauft, jetzt sind wir bei 9,50 Euro, und in meinen Augen sind die besten Parzellen am Spitzerberg 30 Euro je Quadratmeter wert. In 20 Jahren hat sich der Wert mehr als versechsfacht – in anderen Gegenden ist er gesunken: Weil die Winzer kein Produkt daraus gemacht haben, das der Markt schätzt. Eine ganz wesentliche Bewertungsgrundlage für die Frage, ob man als Unternehmerin etwas Wertvolles geschaffen hat, ist ja, ob die Kinder einen Sinn darin finden, das Unternehmen weiterzuführen. Das werden sie nur dann tun, wenn sie finden: Es ist ein gutes Leben, es macht Sinn für die Gesellschaft, und es wird niemand ausgebeutet. Faires Wirtschaften wird für künftige Generationen noch viel wichtiger werden.

STANDARD: Und ist Wein ein spezielles Produkt, oder kann man ihn vermarkten wie jedes andere auch?

Muhr: Nein, kann man nicht. Wein ist ein sehr emotionales Produkt. Und es gibt keine einzige Weinmarke auf der Welt, die alle kennen, die annähernd so bekannt wäre wie Red Bull oder BMW oder Adidas. Es gibt keine einzige Weltmarke, weil der Markt so zersplittert ist. Viele wissen nicht einmal, was Bordeaux ist.

STANDARD: Ihr Gut bekommt 800 Euro im Jahr an Förderung für "benachteiligte Gegenden", warum?

Muhr: Wusste ich gar nicht. Aber ich halte nichts von Förderungen in der Landwirtschaft, weil sie nicht visionär, sondern für den Moment gestaltet sind, und es geht dabei um politische Macht, darum, dass man jemanden bei der Stange hält, etwa die Bauern. Wir brauchen aber Geld für Forschung – etwa für Reben, die dem Klimawandel trotzen können.

STANDARD: Ist der Klimawandel die größte Herausforderung für Winzer?

Muhr: Der eklatante Klimawandel und die Veränderung des Konsumverhaltens sind unsere größten Herausforderungen. Der Alkoholkonsum sinkt. Die Babyboomer trinken viel und geben viel Geld dafür aus, die 30-Jährigen trinken viel Schaumwein, und die Generation danach trinkt Cocktails und sucht faire und biologische Getränke. In meiner Generation ist man zweimal in der Woche betrunken mit dem Auto gefahren – wobei ich das überhaupt nicht gutheiße. Aber das machen die Jungen heute nicht, der Alkoholkonsum sinkt.

STANDARD: Noch zum Klimawandel: Die Temperaturen steigen, die Niederschläge gehen zurück. Wann ernten Sie am Spitzerberg?

Muhr: Ab Mitte September, früher war es ab 26. Oktober.

STANDARD: Kann Wein ein politisches Statement sein? Es gab da einst die Toskana- und Barolo-Fraktion der Sozialdemokraten, der Wiener Ex-Bürgermeister Michael Häupl sagte damals sogar: "Ich bin die Toskana-Fraktion!"

Foto: Heribert Corn

Muhr: Ich möchte es umgekehrt sagen: Wir im Weingeschäft sind total von der Politik abhängig, davon, wie ein Land in der öffentlichen Meinung dasteht. Ungarn hat tolle Produzenten, aber tut sich total schwer beim Exportieren: Man kann nicht groß werben, weil die Führung unsympathisch ist. Vor der Bundespräsidenten-Stichwahl zwischen Blau und Grün hat sich einer unserer Wein-Interessenvertreter für Blau geoutet – da habe ich mich sehr aufgeregt. Denn wir sind im Weingeschäft von internationalen Sympathien abhängig, und wenn wir einen blauen Bundespräsidenten haben, verlieren wir Marktanteile.

STANDARD: Van der Bellen ist gut für den Weinexport?

Muhr: Wenn wir sagen, wir haben einen grünen Präsidenten, schlagen uns die Herzen entgegen.

STANDARD: Sagt die Vorliebe für bestimmte Weine eigentlich etwas über die Person aus?

Muhr: Es sagt etwas darüber aus, wann jemand begonnen hat, Prioritäten zu setzen. Es gibt Leute, die leben auf kleinstem Raum und ohne Auto, haben aber eine exquisite Weinsammlung.

STANDARD: Arm wie eine Kirchenmaus, aber einen Weinkeller wie Alfred Gusenbauer?

Muhr: Alles eine Frage der Prioritäten. (Renate Graber, 19.2.2023)