Harri Stojka mit dem Buch, das sein Vater über seine traumatischen Erfahrungen im Konzentrationslager geschrieben hat.

Foto: Valerie Stojka

Aufgewachsen in Wien-Floridsdorf, hat Harri Stojka "immer viel gelesen, weil der Vater uns dazu angehalten hat". An Wochenenden sind sie mit ihm in die Stadt gefahren und haben Museen besucht, der Vater kaufte Kunstbücher, Harri und seine Schwestern haben sie verschlungen. "Der Vater hat immer gesagt: Bildung ist alles, Wissen ist Macht." An ein Lieblingsbuch in der Kindheit kann er sich auch erinnern: Karies & Baktus vom Norweger Thorbjørn Egner, das Kinder zum Zähneputzen anhalten soll. "Da geht’s darum, dass die Bakterien Löcher in die Zähne bohren, sich darin Wohnungen bauen, Balkone anbringen und alles mit Blumen ausschmücken. Das war irre lustig. Kennt heute keiner mehr, aber das hab ich zehn-, zwanzigmal hintereinander gelesen."

Gang durch die Hölle

Nun zu Papierene Kinder, das sein Vater Mongo Stojka geschrieben hat: "Er ist ja in Auschwitz-Birkenau durch die Hölle gegangen", erzählt der Sohn. "Davon hat er manchmal erzählt, aber nicht oft. Ich habe gemerkt, dass er den Drang hat, zu reden, aber er wollte uns Kinder auch nicht damit belasten, sondern uns mit einem positiven Feeling ins Leben entlassen. Manchmal ist es ihn überkommen, dass er was sagen musste, aber dann hat er wieder monate- oder jahrelang geschwiegen. Wenn man als Dreizehnjähriger sieht, wie andere Kinder lebendig ins Feuer geworfen werden; wie Menschen nackt durchs Lager zu den Erschießungskommandos getrieben werden; wie Menschen angestellt vor der Gaskammer stehen und als Rauch beim Schornstein herauskommen – das ist so monströs." Eines Tages sagte Harri zu ihm: "Papa, warum schreibst du es nicht auf?" Das tat er dann mit diesem Buch, und so konnten auch die Kinder endlich Dinge erfahren, die der Vater ihnen nie erzählt hatte.

Und doch: "Für ihn gab es keine Kollektivschuld. Er hatte genug beste Freunde in der Wiener Nicht-Roma-Community. Man soll die Leute zur Rechenschaft ziehen, die sich schuldig gemacht haben, so sind wir erzogen worden. Und wachsam bleiben." So wie Mongo Stojka, der "ein offener, liberaler Mensch blieb", trotz alles Monströsen, das er erlebt hatte. (Manfred Rebhandl, 18.2.2023)