Einmal in seinem Leben hat sich Hubert Fink eine Jeans gekauft. "Aber die zieh ich eigentlich nie an", sagt er und lacht. Lieber trägt er seine selbstgeschneiderten Hosen. Darüber die Arbeitsschürze, die sein Opa entworfen hat, damit er Utensilien wie Kreide und Nahttrenner immer griffbereit hat. Hubert Fink ist Schneidermeister in dritter Generation. Großvater, Vater, Onkel, Großmutter, Tante – sie alle waren im Schneiderhandwerk tätig. Dass er in die familiären Fußstapfen treten will, war Hubert Fink schon als Bub klar. "Ich war in jeder freien Minute in der Werkstatt."

Nach der Handelsschule ging der 1954 geborene Fink beim Vater in die Lehre, 1981 machte er seinen Meister im Herrenkleidermachergewerbe. Die Urkunde hängt im Vorraum seiner Werkstatt, daneben das "Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark". Sein Hauptgeschäft sind klassische Herrenanzüge. Seine große Leidenschaft aber ist die steirische Tracht: Weinbauernrock, Winzeranzug, Stutzfrack.

Hubert Fink Landestrachtenbeauftragter und Herrenschneider.
Foto: Verena Carola Mayer

Hubert Fink wohnt am Ortsrand von Gratkorn, wenige Kilometer vor Graz, in einem schlichten Landhaus am Hang. Unten hat er seine Werkstatt, oben wohnt er mit seiner Frau. Gerade wird ein Weinbauernrock anprobiert: ein Trachtenjanker aus leuchtend grünem Loden, um die Brusttaschen und am Revers rankt gestickter Wein. "Könnte man das vielleicht etwas enger machen?", fragt der Kunde. Hubert Fink steckt ein paar Nadeln ins Rückenteil. "Machen Sie einen Stadtbummel durch Graz. In vier Stunden wäre es fertig."

Gratkorn statt Savile Row

Maßgefertigte Trachtenanzüge – schon als er damals seine Ausbildung abgeschlossen hat, "habe es diese Art der Schneiderei kaum noch gegeben", erzählt Fink. Heute gilt das umso mehr. Sein Kundenstamm ist klein, aber treu. Manche kommen regelmäßig, andere sieht er seltener: "Es gibt auch den Bauern, der nach 30 Jahren kommt und sich eine neue Joppe machen lässt." Sein am weitesten entfernter Kunde kommt aus London – Gratkorner Traditionshandwerk statt vornehmer Savile Row. Der Großteil aber kommt aus der Gegend. Nicht nur Landwirte und Geschäftsmänner, auch Adelsfamilien schätzen seine handgemachten Stücke.

Erzherzog Johann beauftragte einen Hofmaler, die steirischen Trachten zu dokumentieren.
Foto: Verena Carola Mayer

Nur die "tragenden Nähte" – Rücken, Seiten, Ärmel – werden mit der Maschine genäht. "Innen wird alles von Hand genäht", erklärt Fink. Die einzelnen Stoffschichten werden nicht verklebt, wie es in der modernen Schneiderei üblich ist, sondern von Hand pikiert. Er nimmt eine der halbfertigen Jacken, die auf Schneiderpuppen im Vorraum hängen, und zeigt auf das Revers: tausende kleine, leicht versetzte Stiche, die die Stoffe zusammenhalten und sanft an die Körperform anschmiegen. "Durch das Heften per Hand bleibt der Stoff lebendig, er kann atmen." 27 Lehrlinge hat Fink ausgebildet. "Die zwei besten habe ich mir gehalten." Er lacht verschmitzt. In der Werkstatt mit Blick in den Garten ist eine seiner Mitarbeiterinnen gerade dabei, glänzendes Futter in einen Ärmel zu nähen. Zack, zack, zack – jeder Nadelstich sitzt. Rund 70 Arbeitsstunden stecken in einem zweiteiligen Anzug, fürs Gilet kommen weitere 25 hinzu. Mit einem schönen Stoff komme man da auf knapp 5.000 Euro. "Dafür hält er aber ein Leben lang."

Geheimtipp Essig

Viele Kunden kommen mit 20 Jahre alten Anzügen, um Kleinigkeiten ausbessern oder sie mit Hubert Finks bewährter Apfelessig-Reinigung behandeln zu lassen. Er holt eine zerbeulte Plastikflasche hervor (selbstgemachter Essig aus den eigenen Gartenäpfeln) und gibt einen Spritzer ins Wasser. "Kurz aufbügeln, und der Anzug ist wie neu." Und was ist, wenn er nach all den Jahrzehnten plötzlich zwickt und spannt? Kein Problem, sagt Fink. Handgenähte Nähte könne man problemlos auftrennen, um Stoff zuzugeben. Die Schnitte, die alle Kunden beim ersten Besuch bekommen, altern und wachsen mit ihren Trägern mit.

Nur die tragenden Nähte werden mit der Maschine genäht.
Foto: Verena Carola Mayer

Die mit Zahlen und Notizen beschrifteten Papierbögen hängen an Wandhaken in der Werkstatt. Auf den umliegenden Tischen stehen bis zum Anschlag gefüllte Kisten mit bunten Garnen, auf den Tischen stapeln sich Schachteln mit Knöpfen und Stoffballen. "Dieser hier ist über 100 Jahre alt." Ein altes Bauernleinen. Viele Jahre lang lag es verborgen auf dem Dachboden eines Bauernhofes. Bis der Enkel das Anwesen erbte, die Kiste entdeckte und Hubert Fink zum Kauf anbot. "Das hat eine ganz andere Struktur und auch kleine Fehler. Es erzählt eine Geschichte."

Anfang der 1980er-Jahre fragte ihn die steirische Trachtenexpertin und Mitarbeiterin des steirischen Volkskundemuseums Gundl Holaubek, ob er als Berater an ihrem Buch zur steirischen Tracht mitwirken wolle. 2002, nach Jahren der intensiven Zusammenarbeit, bat ihn das Land Steiermark, die Rolle des Trachtenberaters für die steirischen Männertrachten zu übernehmen – eine österreichweit einmalige Funktion.

Die Werkstatt von Hubert Fink.
Foto: Verena Carola Mayer

Seitdem hilft Hubert Fink bei der behutsamen Erneuerung der Tracht, präsentiert sie auf Trachtenschauen und erstellt Gutachten für steirische Trachtenvereine. Sie bekommen finanzielle Unterstützung für ihre Gewänder, aber: "Wenn’s nicht original ist, gibt’s keine Förderung." Immer mehr Trachtenanbieter lassen über Subunternehmer im Ausland fertigen, erklärt Fink. Die häufige Folge: schlechte Stoffe, falsche Stickereien, fehlerhaft angeordnete Knopflöcher. Mehr als einmal hat er Vereinen das Gutachten verweigert. "Ich bin da streng", gibt er zu, "weil’s Steuergelder sind und weil es unsere Tradition und Geschichte ist."

Ein Steirer-Schatz

Die steirische Tracht sei ein einmaliger Schatz, den es nirgends sonst gibt. Populär wurde sie durch den volksverbundenen Erzherzog Johann, der vor Napoleon in die Steiermark floh, sich in Kultur und Leute verliebte und fortan häufig in grau-grünem Steirerrock auftrat. Er beauftragte einen Hofmaler, sämtliche Trachten zu dokumentieren. "Das ist unser Grundstock", sagt Fink.

2015 brachte er das Buch Lampas, Gams und Schneiderfliege heraus, in dem er die steirische Männertracht bis zum letzten Knopfloch dokumentiert hat. Es ist eine Hommage an fast vergessene Handwerksberufe: Schneider, Säckler, Gerber, Hut- und Knopfmacher. Fink erzählt, wie das Buch über einen Lodenerzeuger bei einem großen französischen Modelabel landete. "Die haben es sogar in ihrer Werkstatt verwendet", sagt er stolz.

Der fehlende Nachwuchs und das schwindende Interesse aber machen die Bewahrung zur echten Herausforderung. "Die Strickerinnen gehen uns auch schon langsam aus." Zum grünen Weinrock trägt man traditionell schwarze Kniebundhose und naturweiße Stutzen. Der Kunde probiert und nickt zufrieden. Feines Muster, fester Sitz. Nachdem die vorherige Strickerin mit 90 aufgehört hat, hat Hubert Fink zwar eine Nachfolgerin aufgetrieben. Nur: Die jetzige Dame ist auch schon 83. Vorsichtshalber hat sich der Kunde daher gleich ein paar mehr Exemplare stricken lassen. Hubert Fink selbst will noch ein paar Jahre machen. "Ich sag immer: Mein Vater hat bis 87 gemacht, mein Großvater bis 92. Also, schau ma mal."
(Verena Carola Mayer, 18.2.2023)