Der Verbreitungsraum vieler Spezies in den Ozeanen wird sich bis Ende des Jahrhunderts stark verkleinern.
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Klimawandel hat es schon immer gegeben – doch wurde er in der fernen Vergangenheit nicht maßgeblich von Mensch und Industrie getrieben. Die aktuelle Klimakrise sorgt für eine enorm schnelle Erwärmung, die global innerhalb weniger Jahrzehnte mehrere Grad an Plus bewirken könnte. Das stellt nicht nur acht Milliarden Menschen vor eine gigantische Herausforderung und in politische Verantwortung, sondern belastet auch zahllose andere Lebewesen auf der Erde, die sich nicht rasch genug anpassen können und langfristig betroffen sind.

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DER STANDARD

Um derartige Folgen abzuschätzen, blicken Wissenschafterinnen und Wissenschafter auch Millionen von Jahre zurück. Sie vergleichen die Lage mit anderen Zeiten, in denen bestimmte Parameter ähnlich aussahen. Interessant ist etwa das Temperaturmaximum am Übergang von Paläozän zu Eozän (PETM) vor 56 Millionen Jahren. Damals dürften die Temperaturen um fünf bis acht Grad im globalen Durchschnitt gestiegen sein, und das innerhalb von 5.000 Jahren.

Saisonal starker Regen

Diese Erwärmung war eine der bisher stärksten und schnellsten der Geschichte. Sie hielt sich rund 200.000 Jahre und führte zum Aussterben zahlreicher Lebewesen im Meer und an Land. Ein Forschungsteam der Universität Genf befasste sich genauer mit Sedimenten aus dieser Zeit und zeigte, dass die Ozeane für einige Arten unbewohnbar wurden. Wie die Gruppe im Fachjournal "Geology" schreibt, dürften immer stärkere Niederschläge dazu beigetragen haben.

Analysiert wurde ein 543 Meter langer Bohrkern aus dem Golf von Mexiko. Er enthält eine 180 Meter dicke PETM-Sedimentschicht und ist damit das weltweit vollständigste geologische ''Archiv'' dieses Zeitraums. Aus dem Bohrkern lasen die Fachleute ab, dass es in diesem Zeitraum nicht zu einem Anstieg der jährlichen Niederschlagsmenge kam, sondern zu einer Zunahme der Saisonalität und der Intensität der Niederschläge.

Gefährlich trübes Wasser

"Dies hatte zur Folge, dass die Mobilität der Flussrinnen – also der tiefsten Bereiche eines Flusses – intensiviert wurde, wodurch große Mengen an Flusston, der in den angrenzenden Schwemmebenen abgelagert wurde, bis in die Tiefen des Ozeans transportiert wurden", sagte Umweltwissenschafter Lucas Vimpere in der Mitteilung der Universität Genf.

Weshalb hatte der Flusston so tödliche Folgen? Den Expertinnen und Experten zufolge habe zu einer erhöhten Trübung der Ozeane geführt. Dies ist für Meereslebewesen, insbesondere Korallen, schädlich. Ein solches Szenario könnte sich heute wiederholen, schreiben die Fachleute.

Stressfaktoren

Damit rücken sie einen weiteren Stressfaktor ins Rampenlicht, der als Folge der globalen Erwärmung Korallen und anderen Lebensformen der Ozeane unter Druck setzt – neben den höheren Temperaturen selbst und dem CO2-bedingt immer saurer werdenden Wasser. Entsprechend wichtig wäre es, die Emissionen stark zurückzufahren und die Klimaveränderungen einzudämmen.

In welchem Ausmaß die Klimakrise die Artenvielfalt in den Ozeanen bedroht, zeigt derweil eine zweite aktuelle Studie. Ein internationales Team um Dorothee Hodapp und Irene Roca vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und der Universität Oldenburg beschreibt im Fachblatt "Global Change Biology", dass die Hälfte der Meereslebewesen bis 2100 weite Teile ihrer Verbreitungsgebiete einbüßen könnte.

Kleinere Habitate

Ihr Modell berücksichtigt mehr als 33.000 Arten und diverse Umweltfaktoren, zu denen etwa Wassertemperatur, Tiefe und Sauerstoffkonzentration gehören. Drei Szenarien mit unterschiedlichen CO2-Emissionen, die auch aus den Weltklimareports des IPCC bekannt sind, demonstrieren, wie sich die Arten entwickeln dürften.

Die Grafik zeigt die Prognosen für drei Szenarien bei gesenkten (oben), mittleren und sehr hohen (unten) CO2-Emissionen am Ende des 21. Jahrhunderts. Ist ein Bereich blau, bleibt die Zusammensetzung der Arten sehr ähnlich – je röter, desto stärker verändert sie sich: Arten wandern beispielsweise ab, zu oder sterben aus. Die Grafen rechts zeigen je nach Breitengrad, wie viele Spezies dort verschwinden (rot) oder hinzukommen (blau) werden.
Bild: Hodapp et al. 2023, Global Change Biology

Bleiben die Emissionen unvermindert hoch, dann verlagern sich die Hauptverbreitungsgebiete tendenziell weg vom Äquator und hin zu Nord- und Südpol. "Unsere Modellprojektionen zeigen vor allem entlang des Äquators Gebiete, die für viele der derzeit vorkommenden Meeresorganismen nur noch bedingt bewohnbar wären, etwa aufgrund zu hoher Temperaturen", sagt Roca.

Dies sorgt für kleinere Habitate. Außerdem werden sie stärker fragmentiert – das Risiko, dass eine Population ausstirbt, steigt damit. Langfristig ist teils die Entwicklung neuer Arten möglich. Klar ist aber, dass sich nicht alle Spezies gleich gut an die Veränderungen anpassen und mit ihnen umgehen können. Dies bedeutet wahrscheinlich, dass sich Nahrungsnetze verändern.

Treibhausgase vor Millionen Jahren

Modelle helfen, die Folgen abzuschätzen. Doch vor allem aus dem Grund, dass noch so vieles über die Lebensumstände zahlreicher Spezies kaum erforscht ist, sind hochpräzise Vorhersagen, wie schlimm die Klimakrise die Meeresbewohner treffen wird, unmöglich.

Vor 56 Millionen Jahren dürfte derzeitigen Einschätzungen zufolge übrigens ebenfalls ein starker Anstieg der Treibhausgase CO2 und Methan für die massive Erwärmung verantwortlich gewesen sein. Der Ursprung dieser Prozesse ist jedoch noch umstritten. Sie könnten etwa aus einem Meteoriteneinschlag oder intensiven vulkanischen Aktivitäten in den Tiefen des Nordatlantiks resultiert sein. (sic, APA, 17.2.2023)