Wien ist Tummelplatz russischer Spione; Manager Wolf hat engen Kontakt zu Oligarch Deripaska (Mi.).
Illustration: Fatih Aydogdu

Österreich sei nach wie vor "auf allen Ebenen von russischem Einfluss penetriert". Es ist ein hartes Fazit, das ein Experte, der sich beruflich jahrelang mit dem Thema befasst hat und anonym bleiben will, gegenüber dem STANDARD zieht. Ob im Umfeld der Regierung, in der Wirtschaft oder auch in den Sicherheitsbehörden: Man habe den Kontakt mit Russland nicht nur zugelassen, sondern aktiv gesucht. Das sei kein Geheimnis, das wisse ganz Europa – und das zeige sich etwa daran, dass die Raiffeisenbank International (RBI) eine von zwei ausländischen Bankinstituten, die für die russische Zentralbank systemrelevant sind. Jetzt drohen der RBI US-Sanktionen.

Aber zurück zur untersten Ebene der Einflussnahme, den einfachen Spionen: Anfang Februar veröffentlichte die DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst) den Verfassungsschutzbericht 2021. Anders als sonst ist dem Thema Spionage ein ausführlicher Teil gewidmet – und zeichnet das Bild von Wien als Tummelplatz für Geheimdienste. "Ich vermute, dass es in der Stadt mehr russische Agenten, Spitzel und Handlanger gibt als Polizisten", sagte auch der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev kürzlich der Wochenzeitung Falter. Wien, fast 20 Jahre lang seine Heimat, sei für ihn mittlerweile so gefährlich geworden, dass er zunächst nicht mehr hierher zurückkehren wird.

Durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die Abwehr der geheimdienstlichen Aktivitäten Russlands – 32 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs – wieder zu einer zentralen Aufgabe für die westlichen Nachrichtendienste geworden. Erst vor wenigen Wochen hat der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) einen Doppelagenten in seinen eigenen Reihen enttarnt.

Auch in Österreich flog zuletzt ein Grieche auf, der angeblich für die russischen Dienste spioniert haben soll. Bereits zuvor gab es mindestens einen Verdachtsfall im Verfassungsschutz, ermittelt wird da bis heute.

1. Die "echte" Spionage

Doch was ist ein Agent, was ist ein Handlanger? Was sind nachrichtendienstliche Maßnahmen, wo beginnt Spionage? Diese Trennlinien zu ziehen ist nicht immer einfach.

Das zeigt der Fall des österreichischen Ex-Spitzenmanagers Jan Marsalek, der nach dem Zusammenbruch des an den Börsen gehypten Finanzdienstleisters Wirecard mutmaßlich nach Russland geflohen ist. Bei der Aufarbeitung des Finanzskandals kamen nach und nach enge Kontakte zwischen Marsalek und dem russischen Konsul in München ans Tageslicht; ebenso soll der Geschäftsmann mit russischer Unterstützung in Libyen und Syrien unterwegs gewesen sein.

Ein klassischer Agent war Marsalek wohl kaum. So bezeichnet man jene Leute, die hauptsächlich einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit nachgehen, also etwa für den russischen Militärnachrichtendienst GRU oder den Auslandsgeheimdienst SWR spionieren. Diese Agenten finden sich meist im diplomatischen Korps von Botschaften, handeln also unter dem Schutz diplomatischer Immunität. Als schlimmste Konsequenz droht meist die Ausweisung. Zuletzt wurden vier russische Diplomaten, die rund um die in Wien ansässigen internationalen Organisationen spioniert haben, vom Außenministerium des Landes verwiesen.

Eine der wichtigsten Aufgaben von Agenten ist es, Quellen anzuwerben. Diese werden im Geheimdienstjargon als "Humint" (Human Intelligence) bezeichnet – im Gegensatz zu "Sigint" (Signal Intelligence, elektronische Überwachung).

Fast immer geht es dabei um Geheimnisverrat. Nachrichtendienste wollen über die Informanten erfahren, was in Sicherheitsbehörden, im Militär, in der Politik, der Wirtschaft und der Justiz passiert. Das dient als Vorwarnsystem für neue, für Geheimdienste relevante Entwicklungen. Das ist jedoch nur ein Teil der Einflussoperationen – und ein nicht ganz so entscheidender.

2. Auch Rubel stinken nicht

Wesentlich heikler ist es, wenn politische oder geschäftliche Interessen für eine enge Verflechtung mit Russland sorgen – wie in ganz Europa der Fall. Die britische Hauptstadt London etwa wird wegen der hohen Dichte an russischen Oligarchen mit beißendem Sarkasmus "Londongrad" genannt. Aber auch Deutschland und Österreich haben enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Das beeinflusst die heimische Außenpolitik. Höchst aktiv in Belarus und Russland sind beispielsweise Töchter der Raiffeisenbank International (RBI), die überwiegend im Besitz der acht Raiffeisen-Bundesländerbanken ist.

Der Raiffeisensektor ist traditionell eng mit der ÖVP verbunden. Teils sind Abgeordnete bei der Raiffeisenbank tätig, teils wechseln Altpolitiker in die Bankengruppe. Umgekehrt sponsern die Raiffeisenbanken die ÖVP, die bei der Bank auch hohe Kredite haben soll. Dies kann zu Interessenkonflikten führen. Als es etwa darum ging, ob das brutale Regime des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko mit Sanktionen belegt werden soll, habe vor allem die ÖVP-geführte österreichische Regierung auf EU-Ebene gebremst – und um Ausnahmen für den Bankensektor gekämpft. Das verriet ein hochrangiger Diplomat der amerikanischen Politzeitung Politico. Für Lukaschenko war das vermutlich ein größerer Erfolg als jede nachrichtendienstliche Operation.

Auch die Geschäfte in Russland sind für Raiffeisen enorm wichtig. Am Freitagabend sorgte dann die Nachricht für Schockwelle, dass die Raiffeisen Bank International (RBI) laut der Nachrichtenagentur Reuters ins Visier der US-Sanktionsbehörde OFAC geraten war. Man habe einen Fragenkatalog erhalten und kooperiere vollumfänglich, hieß es vonseiten der RBI. Eine US-Sanktionierung der Bank würde diese vermutlich in schwere Turbulenzen bringen.

Ähnlich brisant ist die enge Verzahnung des heimischen Energiekonzerns OMV mit der russischen Gazprom. Die energiepolitische Abhängigkeit Österreichs von Russland war vor allem zu Beginn des Ukraine-Krieges ein großes Thema. Schon zuvor sollen westliche Nachrichtendienste das Gerücht in Umlauf gebracht haben, der frühere OMV-Chef Rainer Seele sei ein russischer Handlanger. Beweise dafür fehlen.

Im Frühjahr 2022 publik gewordene Chats zwischen einem OMV-Manager und dem ehemaligen Magna-Manager Siegfried Wolf zeigen, wie aufgeregt Teile der österreichischen Wirtschaftsprominenz waren, wenn es um Geschäftsreisen nach Moskau ging. Dort werde man im Kreis des "großen Chefs", also Putin, sein, schrieb man einander im Jahr 2018. Wolf, der seit Jahren mit dem russischen Diktator sympathisiert, gilt als einer der ersten Unterstützer von Sebastian Kurz, der in seiner Zeit als Kanzler immer wieder den Rat des Managers suchte.

Der zum damaligen Zeitpunkt mächtigste heimische Politiker hörte also auf einen Mann, der seine Geschäfte überwiegend in Russland macht und von Wladimir Putin den "Orden der Freundschaft" erhalten hat. Besser könnte es der Auslandsgeheimdienst nicht hinkriegen. Die erste Reise außerhalb der EU führte Kanzler Kurz übrigens nach Moskau.

Auf dem Militärstützpunkt Swietoszow im Westen Polens bildet die polnische Armee ukrainische Soldaten an deutschen Leopard-2-Panzern aus. Die Ausbildung dauert rund einen Monat.
DER STANDARD

3. Mächtige Putin-Freunde

Enge Verbindungen hat Manager Wolf auch zum russischen Oligarchen Oleg Deripaska, dessen Unternehmen der US-Senat als "Erfüllungsgehilfen des Kreml" bezeichnete. Der Oligarch soll ein Bindeglied zwischen Moskau und der Präsidentschaftskampagne von Donald Trump im Jahr 2016 gewesen sein.

In Österreich hat Deripaska einige Geschäftsinteressen: Er hält etwa über Umwege Anteile am Baukonzern Strabag, der vor allem der Familie Haselsteiner und in weiterer Folge auch der Raiffeisenbank Niederösterreich-Wien und der Versicherung Uniqa gehört. Vor allem die Haselsteiners wollen Deripaska als Quasimiteigentümer loswerden.

Als Deripaskas Name am 10. März 2022 in einem Entwurf der neuen EU-Sanktionsliste auftauchte und dann wieder gestrichen wurde, hieß es , vor allem Österreich habe sich für Deripaska engagiert – das Außenministerium dementierte heftig. Aber die Episode zeigt, welch schiefe Optik die enge Verzahnung zwischen Politik, Wirtschaft und russischen Oligarchen erzeugt.

4. Schwierige Entflechtung

Der Ukraine-Krieg hat die engen Beziehungen zwischen Österreich und Russland ins Brennlicht gerückt. Verbündete EU-Partner fordern eine rasche Entflechtung, harte Sanktionen und scharfe Worte. Doch in Kanzleramt und Außenministerium tut man sich damit schwer. Zu groß war kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs etwa die Angst, man würde bald ohne das dringend benötigte Gas aus Russland dastehen.

Und auch wirtschaftlich ist eine Loslösung von Banken und Unternehmen aus dem russischen Markt schwierig bis unmöglich.

Die vielfach kritisierte ehemalige Außenministerin Karin Kneissl, die eng mit Russland verbunden ist und Putin einst zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte, sprach zuletzt vor russischen Studenten von einem "opportunistischen Mindset" in Österreich. Man nehme gern russisches Geld, wende sich aber ebenso schnell ab, erklärte sie – nicht ohne darauf zu verweisen, dass Putin im Jahr 2020 noch Ehrengast bei den Salzburger Festspielen gewesen sei. Bei der diesjährigen Eröffnungsrede mahnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen hingegen, wer Sanktionen kritisiere, sei "ein Kollaborateur des russischen Regimes".

Ob diese Botschaft auch in der Wirtschaft ankommt, ist fraglich. Zuletzt waren in Unternehmerkreisen erste Forderungen zu hören, dass die Sanktionen aufgeweicht werden sollten. Ein Ausscheren aus der EU-Linie ist realpolitisch aber unmöglich. Russland hat Österreich viele Rubel gebracht – jetzt zahlt das Land aber einen hohen Preis für den guten Draht nach Moskau. (Fabian Schmid, Jan Michael Marchart, 23.2.2023)