Licht und Schatten: Georg Hoffmann will das aus der Zeit gefallene Ausstellungskonzept im HGM rundum erneuern.

Heribert Corn

Es war eine der längsten Personal-Bestellungs-Chosen überhaupt: Im Oktober 2020 verkündete Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), der Direktorenposten im Heeresgeschichtlichen Museum (HGM), das beim Verteidigungsministerium BMLV ressortiert, werde neu ausgeschrieben. Erst Ende 2022 konnte man mit Georg Hoffmann schließlich einen neuen Chef präsentieren.

Dazwischen lagen zwei Jahre, in denen der seit 2005 amtierende Direktor M. Christian Ortner um seinen Posten kämpfte, obwohl der Rechnungshof schwere Mängel festgestellt hatte und zwei wissenschaftliche Kommissionen die inhaltliche Gestaltung des HGM als unzureichend bekrittelt hatten. Das älteste Museum Wiens, ein Prachtbau des Parlamentsarchitekten Theophil Hansen, war seit 2019 in der Kritik gestanden, u. a. weil es zu einem Anziehungspunkt für Rechtsextreme geworden war.

Dass Ortner dennoch bis zuletzt Aussichten auf eine Vertragsverlängerung gehabt haben soll, rief zwischenzeitlich Protest von Wissenschaftern sowie offene Briefe von Unterstützern wie Gegnern hervor. Tanner entschied sich letztlich doch für einen Neuanfang: Der Grazer Zeithistoriker Georg Hoffmann trat diese Woche das Amt an, ein Mann mit Museumserfahrung, der als Milizoffizier dennoch mit einem Bein im Bundesheer verankert ist. Er will das HGM öffnen und diskursiver gestalten – viel Arbeit wartet.

STANDARD: Wie überrascht waren Sie von Ihrer Kür zum HGM-Direktor?

Hoffmann: Es war definitiv eine Überraschung, weil der mehrstufige Bewerbungsprozess sehr gründlich war und daher lange gedauert hat. Und rechnen kann man damit prinzipiell nie.

STANDARD: Das Gerücht, Christian Ortner, der entsprechend dem Beamtendienstrecht innerhalb des BMLV versetzt wurde, werde in einer übergeordneten Struktur weiterhin Einfluss auf das HGM nehmen, hat Claudia Tanner als falsch zurückgewiesen. Dennoch hat Ortner im BMLV und HGM durchaus noch Unterstützer. Wie wollen Sie diese nun von Ihrer Person überzeugen?

Hoffmann: Ich will diesbezüglich grundsätzlich weniger in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft schauen. Es geht nicht darum, jemanden von meiner Person zu überzeugen, sondern damit zu überzeugen, was wir mit dem HGM vorhaben. Kontroversen, Diskussion und Reibung bringen das Haus in seiner Entwicklung nach vorne. Ich will mich nicht damit befassen, wer welche Unterstützergruppen auf sich vereinigt, sondern wie man die verschiedenen Stimmen besser konstruktiv einbinden kann.

STANDARD: Als letztes Museum in Staatsverwaltung eilt dem HGM der Ruf voraus, zu unbeweglich und anfällig für politische Einflussnahme zu sein. Wie wollen Sie sich dagegen wappnen?

Hoffmann: Als Reaktion auf die beiden Expertenkommissionen und den Rechnungshof-Bericht haben wir diesbezüglich klare Regeln festgelegt: Der eingesetzte wissenschaftliche Beirat mit Präsidium wird ein Garant dafür sein, dass es völlig freie Entfaltung gibt. Der Handlungsspielraum für eine Weiterentwicklung des HGM wird groß sein. Das war für mich auch Grundvoraussetzung, um das Amt anzutreten. Bei einem großen, gewachsenen Betrieb wie dem HGM bedürfen Richtungsänderungen Zeit. Da wird es wichtig sein, dem Team Sicherheit zu geben, damit es kreativ arbeiten kann.

"Der Handlungsspielraum zur Weiterentwicklung des HGM wird groß sein. Das war für mich die Grundvoraussetzung, um das Amt anzutreten."

STANDARD: Wird es auch personelle Erneuerung brauchen?

Hoffmann: Das muss passieren, ja. Das HGM ist seit Jahren an mehreren Stellen unterbesetzt. Museen haben abseits der Verwaltung und Zurschaustellung von Objekten heute noch viele weitere Aufgaben: Sie müssen diskutieren, gehen stark in den digitalen Raum, werden internationaler, haben viel mehr Wechselausstellungen …

STANDARD: … wofür im HGM aktuell die Räume fehlen. Wird die Errichtung von Sonderausstellungsräumen ein Kernelement der Neuaufstellung?

Hoffmann: Das ist ein Ziel. Wir brauchen Raum für Bewegung. Wir müssen auf gesellschaftliche Themen, die aktuell sind, reagieren. Nur mit Wechselausstellungen kann man einen diskursiven Charakter entwickeln.

STANDARD: Das HGM ist aber immer auch ein Repräsentationsort des Bundesheers gewesen. Kommissionschef Wolfgang Muchitsch hat es als "Firmenmuseum des Bundesheers" bezeichnet. Kann man ein Museum auf Höhe der Wissenschaft machen, wenn man zugleich repräsentieren muss?

Hoffmann: Ich glaube, dass das schon zusammengeht. Das geht auch in anderen Museen. Aber ich verstehe Repräsentation in der Hinsicht, dass das HGM auch für das Bundesheer ein Reflexionsort sein soll. Das Heer soll sich dort als Einsatzorganisation selbst befragen können.

Baujuwel des Historismus: das 1869 im neo-byzantinischen Stil eröffnete Museum von Architekt Theophil Hansen.
Foto: Urban

STANDARD: Sie sind Milizoffizier. Welche gesellschaftliche Rolle hat das Bundesheer in Ihren Augen heute?

Hoffmann: Aufgabe ist zuvorderst die militärische Landesverteidigung und damit der Schutz von Staat und Bevölkerung, das ist klar. Damit trägt das Bundesheer gesamtgesellschaftlich gesehen zur Stärkung und zum Schutz demokratischer Werte bei. Das kann man auch als geistige Landesverteidigung bezeichnen. Gerade angesichts des Ukraine-Kriegs wird uns das wieder bewusst.

STANDARD: Im HGM dürfte sich das demokratische Selbstverständnis aber nicht widerspiegeln. Der Rechtsextreme Martin Sellner hat dort eines seiner Influencer-Videos gedreht, der Christchurch-Attentäter stattete dem Haus einen Besuch ab. Wie lässt es sich verhindern, dass ein militärhistorisches Museum Rechtsextremisten anzieht?

Hoffmann: Gegenüber Rechtsextremismus gibt es eine Null-Toleranz-Politik, das ist klar. Wie eine Ausstellung gestaltet sein muss, dass sie nicht für Extremisten attraktiv ist, wird eine wichtige Frage für uns sein. In der Forschung hat man Militärgeschichte lange als reine Fokussierung auf Militär und Schlachten begriffen. Das hat sich geändert. Man weitet den Blick. Was macht der Krieg mit den Menschen und der Gesellschaft?

STANDARD: Ein zeitgemäßes Museum der Militärgeschichte muss diese Frage ins Zentrum rücken?

Hoffmann: Ja, die Militärgeschichte muss heute eine Verknüpfung zu anderen Wissenschaftsdisziplinen herstellen. Der militärische Apparat muss als Sozialstruktur in sich und gleichzeitig als ein Teil der Gesellschaft begriffen werden, nicht als Ansammlung von Waffen.

Der Abschnitt "Republik und Diktatur" zur Zeit 1918 bis 1945 bedarf einer Neuaufstellung. Eine Kommission hatte ihn als unzureichend befunden.
Foto: APA

STANDARD: Die derzeitigen Probleme sind aber auch profaner Natur: Es gibt im HGM kaputte Fußböden, kaputte Lichttechnik und Vitrinen aus dem Jahre Schnee, die einzelnen Ausstellungsabschnitte sind Stückwerk aus verschiedenen Jahrzehnten, intern gab es offenbar die Regel, dass nur alle 15 Jahre ein Abschnitt erneuert werden darf. Braucht es eine Neuaufstellung aus einem Guss?

Hoffmann: Abseits von den Inhalten braucht das Haus dringend bauliche Erneuerungen, ja. Ob das bauliche Konzept aus einem Guss sein muss oder ob man das Haus schrittweise erneuern kann, werden wir im Team gemeinsam erarbeiten.

STANDARD: Das Wien-Museum wurde gerade aus einem Guss neu aufgestellt und wird heuer wiedereröffnen. Das hat aber auch 100 Millionen Euro gekostet. Sie haben aktuell vier Millionen zur Verfügung. Nicht gerade viel.

Hoffmann: Auch beim Wien-Museum hat es eine Vorlaufphase gegeben, bis ein Konzept aus einem Guss entstanden ist. Wir werden sicherlich zunächst mit kleinen Schritten beginnen. Ich will aber auch, dass bis zum Republikjubiläum 2025 Veränderungen erkennbar sind.

STANDARD: Darauf arbeitet auch das Haus der Geschichte in der Hofburg hin. Sie haben am Aufbau dieser Institution mitgewirkt. Ihr Vorgänger war sehr abwehrend einer vertiefenden Kooperation gegenüber, weil man fürchtete, Opfer einer Fusion zu werden. Wie wollen Sie das angehen?

Hoffmann: Offen, mit ausgestreckten Armen. Wir bleiben eigenständige Häuser, aber alle bestehenden Geschichtsmuseen müssen in gutem Austausch und in Kooperation miteinander agieren.

STANDARD: Die Initiative "HGM neu denken" wurde bisher vom Haus offiziell gemieden. Wollen Sie auf die Kritikerinnen und Kritiker zugehen?

Hoffmann: Im wissenschaftlichen Beirat ist die Initiative bereits jetzt repräsentiert. Natürlich möchte ich auf "HGM neu denken" zugehen und mit ihr gemeinsam an konstruktiven Lösungen arbeiten. Die Diskussion muss von vielen Seiten geführt werden.

STANDARD: Die Sammlung des HGM umfasst knapp 1,3 Millionen Objekte: Welches beeindruckt Sie am meisten?

Hoffmann: Es ist wenig überraschend das Auto von Thronfolger Franz Ferdinand, der in Sarajevo erschossen wurde. Es sagt sehr viel über den Ersten Weltkrieg aus und bietet noch viel mehr auch Ideen, wie man Geschichte vielschichtig museal darstellen kann. Mein zweites Lieblingsobjekt ist ein französischer Beobachtungsballon von 1796, eines der ersten Luftfahrzeuge, das militärisch verwendet wurde. Ein sehr aktuelles Objekt. INTERVIEW: Stefan Weiss, 18.2.2023)