"Wir haben alle Forderungen erfüllt", sagt Ex-Minister Corlățean.
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Das österreichische Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens am 8. Dezember war für die Regierung in Bukarest ein riesiger Schock. Viele Rumänen fühlen sich seither von Österreich verraten. Der Botschafter wurde zeitweise aus Wien abgezogen, österreichische Produkte und Firmen in Rumänien boykottiert. Kommende Woche kommt eine Delegation rumänischer Parlamentarier von mehreren Parteien nach Wien, um Wege aus dem Schengen-Boykott Österreichs zu finden. Der ehemalige rumänische Außenminister Titus Corlățean leitet die Delegation, DER STANDARD traf ihn zum Interview.

STANDARD: In welcher Situation befindet sich Rumänien nach dem überraschenden Veto Österreichs gegen den Beitritt zur Schengen-Zone?

Corlățean: Rumänien kam in eine paradoxe Situation. Wir wurden von Österreich abgelehnt, obwohl wir alles erfüllt hatten. Natürlich können wir nun irgendein Pilotprojekt machen, das den Interessen der führenden österreichischen Regierungspartei entgegenkommt. Aber ich möchte betonen, dass die illegalen Migranten nicht über Rumänien kommen. Und wenn jemand weiterhin die ukrainischen Flüchtlinge mit illegaler Migration in Zusammenhang bringt, dann ist diese Person entweder unprofessionell oder unehrenhaft. Zudem braucht man nur die Landkarte anzusehen: Es ist einfach dumm zu denken, dass ein Migrant, der aus Serbien oder Kroatien kommt, danach Richtung Osten geht und dann noch hinauf in den Norden nach Rumänien klettert. Weshalb sollte er herumspazieren, statt direkt über Ungarn in den Westen zu gehen? Dennoch suchen wir nun in Wien nach einer Zusammenarbeit auf partnerschaftlicher Ebene, um einen Fahrplan für den Schengen-Beitritt zu definieren, vielleicht auch in zwei Schritten in diesem Jahr.

STANDARD: Welche zwei Schritte meinen Sie?

Corlățean: Man könnte den Schengen-Beitritt mit einem Teil der Grenzen beginnen, etwa mit den Flughäfen und mit den Meeresgrenzen. Danach geht es um eine klare Perspektive für die Landgrenzen, besonders wegen der österreichischen Einwände bezüglich der bulgarischen Grenze. Es wäre aber ein Fehler für uns alle, wenn wir jetzt mit parallelen Monologen fortfahren, wenn etwa der österreichische Kanzler und Innenminister weiter mit irgendwelchen Zahlen argumentieren. Denn wir wissen, basierend auf objektiven Kriterien, dass wir ihre Einschätzung nicht teilen können. Unsere Zahlen sind durch Frontex-Berichte und Sicherheitsdienste belegt. Wir wissen, was die Realität ist, die aus politischen Gründen von der österreichischen Regierung nicht akzeptiert wird. Wir brauchen nun aber das gemeinsame Verständnis, dass wir das Problem lösen und Brücken bauen müssen.

STANDARD: Hat die österreichische Regierung Brücken gebaut? Werden Sie einen Regierungsvertreter treffen, wenn Sie nach Wien kommen?

Corlățean: Nein, ich habe zwar Kontakte zu Parlamentariern, aber wir können niemanden von der Regierung treffen. Die betroffenen Ministerien sind für unsere Delegation nicht verfügbar, mit unterschiedlichen Begründungen, etwa anderweitigen Verpflichtungen. Ich bin eine solche Zurückhaltung nicht gewöhnt. Österreich müsste Interesse haben, gute Beziehungen zu einem Land zu haben, wo viel österreichisches Kapital investiert wurde und Gewinne erwirtschaftet werden.

STANDARD: Welchen Schaden hat das österreichische Schengen-Veto angerichtet?

Rumänische Grenzschutzpolizistin auf der Brücke über der Donau beim Eisernen Tor an der rumänisch-serbischen Grenze.
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Corlățean: Die große österreichische Regierungspartei nutzte unmoralischerweise Rumänien für ihr internes politisches Spiel vor der niederösterreichischen Landtagswahl, aber sie erreichte dadurch nicht einmal ihr Ziel. Sie hat die Mehrheit verloren, gleichzeitig die extreme Rechte in Österreich angeheizt und eine, auch wirtschaftliche, Partnerschaft mit einem wesentlichen Land in Gefahr gebracht. Wir haben das Vertrauen in die Partnerschaft mit Österreich verloren. Jenseits vom Schaden innerhalb des politischen Establishments, ist aber das Schlimmste das Gefühl der Demütigung für die rumänische Gesellschaft. Rumänien ist ein lateinisches Land. Wir haben nicht so eine Konzentration wie die Deutschen und die Österreicher beim Management unserer Gefühle. Rumänen, die in Italien und Spanien leben und mindestens zweimal pro Jahr die Grenzen überqueren, müssen außerdem weiterhin viele Stunden und Transporter sogar tagelang warten.

STANDARD: Welche Folgen hat das für die Beziehungen zwischen Österreich und Rumänien?

Corlățean: In einer bilateralen Beziehung gibt es zwei wichtige Bedingungen: Berechenbarkeit und Ehrlichkeit. Österreich bestätigte im letzten Jahr die Unterstützung für den rumänischen Schengen-Beitritt mehr als 20 Mal, etwa am 16. November beim Salzburg-Forum in Bukarest. Doch am nächsten Tag war dann alles grundlegend anders. Das ist das Gegenteil von Vorhersagbarkeit, sondern ein Mangel an Ehrbarkeit. Ich bin Politiker, ich kann verstehen, dass Umfragewerte und Wahlen wichtig sind, aber man könnte wenigstens den Partner anrufen, um zu sagen: Schau, mein Freund, wir haben ein Problem.

STANDARD: Wie hat das Rumänien verändert?

Corlățean: Bisher hatten wir keine nennenswerten antieuropäischen Bewegungen, aber nun wachsen sie stark. Es gibt auch ein Risiko, dass Firmen und Investitionen in beiden Ländern geschädigt werden. Im derzeitigen geostrategischen Umfeld mit diesem schrecklichen Krieg und seinen Folgen brauchen wir keinen zusätzlichen Schaden. Die österreichischen Unternehmen in Rumänien haben einstimmig gesagt, dass sie nicht mit dem Schengen-Veto in Verbindung gebracht werden wollen. Sie werden aber nun mit weniger Offenheit gesehen, die Leute fangen an, Fragen zu stellen wie: Hat ein wichtiges Unternehmen alle Verpflichtungen erfüllt, als die Privatisierung des rumänischen Öl- und Gasunternehmens stattfand? Zahlt es vollständig Abgaben?

Kroatien kann dem Schengen-Raum ohne Passkontrollen zum 1. Januar beitreten. Dem stimmten die Innenminister der Mitgliedsländer zu. Bulgarien und Rumänien gehen dagegen leer aus. Österreich hatte sein Veto gegen die Aufnahme dieser beiden Länder eingelegt.
DER STANDARD

STANDARD: In Rumänien wird das Veto mit einer Kreml-Nähe Österreichs erklärt.

Corlățean: Viele Rumänen nehmen Österreich als russisches Drehkreuz wahr. Aber es geht darum, was Rumänien für Österreich ist. Man muss wieder nur auf die Karte schauen. Rumänien hat 3,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und verwaltet den Export von Getreide aus der Ukraine. Zwölf Millionen Tonnen wurden durch den Hafen in Konstanza verschifft. Es geht um die Sicherheit der Menschen in der Region, die wir mit den Nato-Alliierten schützen. Ein verantwortungsvoller Politiker sollte verstehen, dass es keinen Sinn macht, ein solches Land zu schädigen. Von einer Branche habe ich gehört, dass sie 200 Millionen Euro pro Monat verliert, weil wir nicht der Schengen-Zone beitreten konnten.

STANDARD: Hat man in Wien zu wenig außenpolitische Kompetenz?

Corlățean: Es ist nicht seriös zu sagen, dass man den Schengen-Beitritt für immer blockiert, falls man nicht dies oder das von der EU bekommt. Ich weiß nicht, ob wir heute in Wien noch einen Partner haben. Das ist die Hauptfrage, die ich in Wien stellen werde. (Adelheid Wölfl, 17.2.2023)