Christian Schmidt agiert nicht nur glücklich.

Foto: EPA / Fehim Demir

Die Satiriker-Truppe rund um Jan Böhmermann hat von dem biederen fränkischen CSU-Politiker sogar eine Superhelden-Puppe angefertigt, die Böhermann durch die Luft fliegen lässt. In der jüngsten Ausgabe des ZDF-Magazin Royale geht es nicht nur um die Vorlieben Christian Schmidts, des ehemaligen deutschen Landwirtschaftsministers, für Bier und Schweinefleisch und seine umstrittene Zustimmung zum Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat – sondern vor allem um seine Handlungen als Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, ein Amt, das er seit Sommer 2021 innehat.

ZDF MAGAZIN ROYALE

Das Comedy-Format mit journalistischem Anspruch beweist, dass es möglich ist, komplexe politische Sachverhalte – noch dazu in einem anderen Land – mit Schmäh zu verpacken und an ein breiteres Publikum zu vermitteln. Die Bonner Vollmachten des Hohen Repräsentanten – Schmidt kann etwa Gesetze erlassen – werden bei Böhmermann zu Superheldenkräften, allerdings ist der Amtsinhaber diesen nicht gewachsen.

Wünsche der HDZ

Seit vergangenen Juli, als geleaked wurde, dass Schmidt das Wahlgesetz ändern will, gibt es in Bosnien-Herzegowina konstante Kritik an seinen Entscheidungen. Das hat vor allem damit zu tun, dass er auf die Wünsche der kroatisch-nationalistischen Partei HDZ einging. Die HDZ, die mit Schmidts Partei CSU verbündet ist, lobbyiiert seit vielen Jahren für die Änderung des Wahlgesetzes, um ihre Macht in ihren Hochburgen auszudehnen, was allerdings zu noch mehr ethnischer Segregation des Landes mit seiner Jahrhunderte alten Tradition des multireligiösen Miteinanders führt.

Böhmermann vermag nachzuzeichnen, dass es die Idee der Abspaltung und Trennung, die Idee von Großserbien und Großkroatien war, die zum Krieg gegen Bosnien-Herzegowina (1992-1995) und zu Hunderttausend Toten und dem Genozid gegen Menschen mit muslimischen Namen führte. Neben den historischen Erklärungen taucht bei Böhmermann auch immer wieder ein amüsant-schauderhafter deutscher "Hybrid-Musiker" auf, der den gleichen Namen wie der Hohe Repräsentant trägt. Auch greift die Comedy-Sendung genüsslich auf die Ausraster von Schmidt vergangenen Sommer zurück, als ihn eine Journalistin nach dem Wahlgesetz fragte. "Rubbish, full of rubbish", sagte Schmidt damals zu der Kritik.

Super-Helden-Geister

Diese hielt ihn nicht davon ab, noch am Wahltag, den 2. Oktober vergangenen Jahres das Wahlgesetz rückwirkend zu ändern. Die HDZ jubelte. Sie war – und das muss man gerechterweise erwähnen – zuvor schon in ihren Ansinnen von den USA und der EU unterstützt worden, nur wollte die EU die Änderung des Wahlgesetzes auf demokratischem Wege erreichen. Schmidt nutzte dann seine Bonner Vollmachten, die Superhelden-Geister, die er nun nicht mehr los wird.

Von Experten wie dem Grazer Bosnien- und Verfassungsexperten Joseph Marko wird ein Teil der Schmidt'schen Gesetzesänderungen mit dem amerikanischen Gerrymandering verglichen, der Manipulation von Wahlkreisgrenzen, um die eigenen Erfolgsaussichten zu erhöhen. Tatsächlich geht Schmidt`s Erhöhung der Anzahl der Vertreter im Haus der Völker im Landesteil Föderation zugunsten der Mandate für die großen ehtnonationalistischen Parteien, die bosniakische SDA und die kroatische HDZ. Diese großen monoethnischen Parteien können nun die Klubs bestimmen und die Regierung bilden.

Verliere sind die multiethnischen Europäer

Verlierer sind die multiethnischen, wirklich europäisch ausgerichteten Parteien. Viele Bosnier und Bosnierinnen wandern seit Jahren aus, unter anderem weil ihnen das enge ethnonationale System wenig Spielraum lässt. Wenn nun durch Schmidts Wahlgesetzänderungen die liberalen und nicht-nationalistischen Kräfte weiter geschwächt werden, erscheint es noch unglaubwürdiger, wenn westliche Diplomaten in Bosnien-Herzegowina behaupten, sie wollten das Land in die EU führen.

Die volle Wirkung von Schmidts Entscheidungen wird erst bei den nächsten Wahlen 2026 sichtbar werden, analysierte kürzlich der Journalist Semir Hambo. "Im Wesentlichen werden alle Parteien gezwungen werden, in nationale Lager zu gehen." Das neue Gesetz gehe auf Kosten der Multiethnizität innerhalb der kleineren Parteien, auch sie würden künftig viel mehr auf die nationale Karte setzen, meint Hambo. "Denn warum sollten diese Parteien zum Beispiel Kroaten nominieren, wenn sie wissen, dass HDZ die volle Kontrolle haben wird?" Am stärksten geschwächt würden durch Schmidts Entscheidungen die multiethnischen Sozialdemokraten.

Kritik von Bosnien-Expertinnen

Ein paar Tage vor dem Magazin Royale meldeten sich auch vier deutsche Bosnien-Experten und Expertinnen in einem offenen Brief an die an den Auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestages zu Wort. Sie werfen Schmidt vor, dem Friedensprozess in Bosnien und dem Ansehen Deutschlands »nachhaltigen Schaden« zuzufügen. "Schmidt hat viele Male demonstriert, dass er nicht über die Voraussetzungen verfügt, sein Amt neutral und verantwortungsvoll auszuüben", so das Schreiben.

Kritisiert wird, dass Schmidt den Regierungen in Belgrad und Zagreb immer wieder einen angeblich "mäßigenden und beruhigenden Einfluss" auf den Friedensprozess in Bosnien attestierte, "obwohl sie sich als ehemalige Kriegsparteien immer wieder in die inneren Verhältnisse des Landes einmischen". Schmidt werde von Zagreb und Belgrad instrumentalisiert. "Ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, sei dahingestellt. Das Ergebnis ist in jedem Falle verheerend: Anstatt die Integrität und Souveränität Bosniens zu verteidigen und den Staat zu stärken, so wie es sein Amt vorschreibt, nimmt er diejenigen, die an der Aushöhlung und Zerstörung des Staates arbeiten, in Schutz". Deshalb solle die Bundesregierung Schmidt das Vertrauen entziehen, so die vier Expertinnen und Experten.

Schaden für das Amt des Hohen Repräsentanten

Der CDU-Abgeordnete Peter Beyer sprang Schmidt nach diesem Brief zur Seite und meinte, es handle sich um "sogenannte Experten" und der "persönliche Angriff" auf Schmidt sei gefährlich. Der Schweizer Politologe Adis Merdžanović, der über das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR) seine Dissertation schrieb, meint hingegen, es sei wichtig, Schmidt und seine Handlungen öffentlich zu kritisieren, denn es gehe schließlich um ein Amt, das keine Rechenschaftspflicht habe. Gerade weil es an Regulativen für das OHR fehle, sei öffentliche Kontrolle so wichtig.

"Ich glaube, Schmidts Vorgehen seit letztem Sommer hat der Institution des OHR und dem demokratischen Prozess großen Schaden zugefügt", meint Merdžanović. Nach der Böhmermann-Sendung twitterte er: "Der hohe Repräsentant verbat sich einst Kritik von bosnischen Journalisten an seinen Entscheidungen. Bin gespannt, ob er das bei @janboehm auch wieder tut."

Curricula über den Krieg

Nicht nur weil Schmidt ein Deutscher ist, sondern auch der Umstand, dass viele Bosnier und Bosnierinnen während des Kriegs nach Deutschland flohen, macht es besonders wichtig, sich in Deutschland mit dem interessanten Land auf dem Balkan auseinanderzusetzen. Was etwa fehlt ist, dass der Krieg in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Kosovo in die Curricula der deutschen, aber auch österreichischen Schulen eingeführt wird.

Mirsada Simchen-Kahrimanović, die heute in Deutschland lebt und kürzlich ihr autobiografisches Buch publizierte, in welchem sie von ihren Erfahrungen im Krieg und im Lager erzählt, setzt sich genau dafür ein. Sie möchte in Deutschland eine Bildungsinitiative gründen, um "aus der Vergangenheit zu lernen" und als Zeitzeugin in Schulen gehen. "Denn wenn man das Böse nicht kennt, kann man das Wertvolle nicht schätzen und schützen. Daraus leite ich ab: Wenn man nicht weiß, was Krieg ist, kann man eine Demokratie nicht schätzen und schützen", so Simchen-Kahrimanović. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 18.2.2022)