Protest der Angestellten der Privatkrankenanstalten. Das Foto hat die Vida zur Verfügung gestellt.

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Was Streikrecht und Lohnverhandlungen betrifft, folgt das System in Österreich einer simplen Logik: Der Staat ist draußen. Wie und unter welchen Voraussetzungen gestreikt werden kann, ist in Österreich gesetzlich nicht geregelt. Fix ist nur, dass es ein Recht gibt, Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Aber im Gegensatz zu Deutschland etwa sind sonstige Modalitäten einer Arbeitsniederlegung nicht geregelt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen sich das eben selbst ausmachen.

Ähnliches gilt auch bei Verhandlungen zu Kollektivverträgen. Auch hier hält sich der Staat heraus. Das ist der Grund, weshalb es in Österreich keinen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn gibt. Das übernehmen die Sozialpartner. Dadurch, dass nahezu sämtliche Arbeitsverhältnisse von Kollektivverträgen abgedeckt sind, gibt es für jede Branche einen Mindestlohn, bloß wird der ausverhandelt.

Ein Riss geht durch das System

Dieses Prinzip, den Staat außen vor zu lassen, hat einen Riss bekommen. Wie vergangene Woche bekannt wurde, haben die Arbeitgeber der Privatkrankenanstalten wegen stockender Lohnverhandlungen in ihrer Branche das Bundeseinigungsamt angerufen. Dieses soll einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation finden und wird vielleicht sogar per Schiedsspruch festlegen, wie stark die Gehälter der rund 10.000 Beschäftigten bei den Privatkliniken und Reha-Einrichtungen steigen.

Sie haben noch nie etwas vom Bundeseinigungsamt gehört? Kein Wunder. Seit 1956 existiert die Möglichkeit, das Amt anzurufen, wenn sich Tarifpartner auf die Lohnerhöhungen nicht einigen können. Geschehen ist dies allerdings bisher noch nie, heißt es bei der Gewerkschaft.

Was genau ist also dieses Amt – und warum soll nun plötzlich der Staat Löhne machen?

Klausel sorgt für Neuverhandlungen

Angesichts der hohen Inflation werden die Lohnverhandlungen in Österreich seit Herbst mit großer Spannung verfolgt. Bisher ist es trotz einiger Ausnahmen, wie etwa eines Streiks bei den ÖBB, gelungen, größere Arbeitskämpfe zu verhindern. Metaller haben ebenso abgeschlossen wie der Handel, die Eisenbahner und die Sozialwirtschaft.

Bei dem Kollektivvertrag (KV) der Privatkrankenanstalten wird allerdings bereits seit September ohne Ergebnis verhandelt. Ursprünglich war ein Kollektivvertrag für 2023 bereits Ende 2021 ausverhandelt gewesen. In Form einer Klausel war festgehalten worden, dass bei besonders hoher (oder besonders niedriger) Inflation im Jahr 2022 nochmals nachverhandelt wird. Dieser Fall ist eingetreten, weshalb beide Seiten wieder am Tisch sitzen. Sechs Verhandlungsrunden waren bisher ergebnislos, vergangene Woche gab es einen Warnstreik.

Stefan Günther, Verhandlungsführer bei den Arbeitgebern, sagt, dass man der Gewerkschaft aus seiner Sicht ein gutes Angebot unterbreitet habe: 2.000 Euro Mindestlohn sowie ein Plus bei den Gehältern in Höhe von 8,39 Prozent. Die Arbeitnehmer weigerten sich allerdings, dieses Angebot zu akzeptieren.

Harald Steer von der Dienstleistungsgewerkschaft Vida kontert: Die Arbeitgeber würden eine Stundenlohnerhöhung anbieten, obwohl es nur Monatsgehälter in der Branche gibt. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lasse das befürchten, dass eine Umstellung auf Stundenentlohnung angedacht sei. Die Arbeitgeber hätten zudem ihr Angebot mit den 2.000 Euro Mindestlohn zwischenzeitlich wieder zurückgezogen.

Die für den Verhandlungszeitraum relevante Inflation liegt bei 7,53 Prozent.

Wann der Senat im Bundeseinigungsamt zusammengerufen wird, ist unklar. Mangels Erfahrung wissen weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer, wie schnell das geht. Auch fürs Ministerium ist die Sache Neuland: Ansonsten befasst sich das Bundeseinigungsamt mit weniger bedeutenden Fragen, etwa ob einem Zusammenschluss von Arbeitgebern das Recht zuerkannt wird, Kollektivverträge abzuschließen.

Vorbild für künftige Streitfälle?

Ob sich beide Seiten einem Schiedsverfahren und Schiedsspruch unterwerfen? "Die Arbeitnehmer werden sich nicht grundsätzlich verwehren, wenn nun das Bundeseinigungsamt schlichten soll", sagt Gewerkschafter Harald Steer von der Vida. Dass nun wirklich das Amt die Lohnerhöhung fixiert, sieht er skeptisch: Echte Lohnverhandlungen könnten nicht ersetzt werden. "Soll künftig das Bundeseinigungsamt hunderte KVs festlegen?", fragt Steer sarkastisch.

Seitens der Arbeitgeber meint Günther von den Privatkrankenanstalten, dass er nicht viele Alternativen sehe: "Was soll es bringen, wenn ich die Schiedskommission ablehne? Mit den Verhandlungen kommen wir nicht zu einem Ergebnis, und mit der Schiedskommission auch nicht. Dann allerdings hätte ich wenig Ideen, wie wir einen Abschluss machen sollen." (András Szigetvari, 20.2.2023)