Kein Links und Rechts von männlichen Erwerbsbiografien.

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Zeit ist alles, was wir haben. Wenn sie für uns abläuft, ist nichts mehr – oder, je nach Glaubensrichtung, zumindest etwas ganz anderes. Die Debatten über Teilzeitarbeit, die vergangene Woche aufkamen, drehen sich zwar um etwas verglichen mit der Lebenszeit Banales. Letztlich geht es aber um unsere Zeit. Darum, womit wir sie verbringen und was das für unser finanzielles Auskommen bedeutet. Anlass zur Diskussionen bot die Aussage des Arbeitsministers Martin Kocher, dass in Österreich bei Sozial- und Familienleistungen wenig unterschieden werde, ob jemand 20 oder 38 Stunden pro Woche arbeitet. Für die, die "freiwillig" weniger arbeiten, gebe es keinen Grund, Sozialleistungen zu zahlen. Das regte auf.

Denn der Subtext war unüberhörbar: Es leisten nur die, die Erwerbsarbeit leisten. Oder, anders formuliert: Nur Erwerbsarbeit zählt. Dass solche Aussagen, wenn auch womöglich unbedacht, heute offenbar eine breite Öffentlichkeit frustrieren, ist nicht zuletzt auch das Ergebnis jahrzehntelanger feministischer Knochenarbeit zu zeigen, dass Kinderbetreuung, Hausarbeit, Pflege von Angehören, dass sämtliche Sorgearbeit auch Arbeit ist. Und ebenso, dass die, die sie erledigen, ihrer finanziellen Autonomie beraubt werden. Bis heute, weil die Politik es bisher nicht geschafft hat, die Arbeit zwischen Männern und Frauen umzuverteilen und die ökonomischen Nachteile der Sorgearbeit zu beseitigen. So als ob das alles ein Privatvergnügen wäre und nicht gesellschaftlich notwendige Arbeit.

40 Stunden als der heilige Gral

Das dominante Rezept gegen diese ökonomischen Nachteile kennen wir: Frauen müssen in Vollzeitarbeit gehen. Husch, husch, zurück in den Job, wenn ein Kind geboren ist. Die Pflege von kranken oder alten Angehören ist sowieso nicht auf dem Radar. Es wird so getan, also ob dann wie durch Zauberhand die Sorgearbeit verschwinden würde. Und es wird auch verdrängt, dass Männer sich dafür oft noch immer nicht zuständig fühlen. Das ist weniger für Gutverdienende ein Problem, die Hausarbeit oder Pflegetätigkeiten auslagern und Kinderbetreuung zukaufen können, wenn die öffentliche Infrastruktur die jeweils 40 Stunden nicht abdeckt. Dass diese Hilfen oft aus Ländern mit deutlich niedrigerem Lohnniveau und schlechteren Lebensbedingungen, von denen wir hier profitieren, kommen – völlig egal. Man kann sich ja nicht um alles kümmern – schließlich hat man noch einen 40-Stunden-Job neben den Kindern.

Trotzdem ist selbst für viele grundsätzlich feministisch Gesinnte Erwerbsarbeit jenseits der 30 Stunden der heilige Gral. Frauen, die nicht nach wenigen Monaten in den Job zurückgehen, werden als Gleichstellungsverräterinnen hingestellt. Superwoman arbeitet Vollzeit, damit sie dann eine gescheite Pension bekommt. Dass in enorm vielen Fällen die "Gratis"-Arbeit daheim weiter zu einem größeren Teil an ihr hängenbleibt – Rollenvorstellungen aus dem vorigen Jahrtausend sei Dank –, wird dabei unter den Teppich gekehrt.

Mehr als Erwerbsarbeiter:innen

Somit ist noch aus einem zweiten, gewichtigen Grund Vollzeit als feministischer Grundsatz absurd: Der Vollzeitfetisch ist nichts anderes als der Maßstab am Ideal Mann; die völlig selbstverständliche Orientierung an Erwerbsbiografien, in denen Angehörige und Kinder keinerlei Einfluss auf die Präsenz im Job haben. Die finanzielle Anerkennung dafür ist diesen Personen sicher, die gesellschaftliche über weite Strecken auch noch immer. Doch es bröckelt, das zeigt die breite Kritik an Kochers Aussagen und die Tatsache, dass es offenbar schneller auffällt, wenn ein Politiker limitierte Bilder von "Arbeit" hat. Ein Arbeitsminister wohlgemerkt.

Es wäre auch seine Aufgabe, mehr in Menschen zu sehen als Erwerbsarbeiter:innen und die viele Zeit, die Sorgearbeit erfordert, nicht zu vergessen. Denn jeder und jede braucht sie. (Beate Hausbichler, 20.2.2023)