Der Europarat bietet zig Kurse zu Grund- und Menschenrechten online an.

Foto: APA/LETZTE GENERATION ÖSTERREICH

Der Jurist Oliver Scheiber erklärt im Gastblog mit Bezug auf die jüngsten Proteste, wie die Polizei bei Demonstrationen vorzugehen hat – und wo rechtliche Grenzen gesetzt sind.

Ein paar allgemeine Gedanken zu Grund- und Freiheitsrechten sind hilfreich, um sich dem Thema sachlich zu nähern. Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren nicht immer selbstverständlich. Erst beginnend mit der Aufklärung konnte sich die Bevölkerung mehr Freiheit und Rechte gegenüber dem Staat erkämpfen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit und damit auch Demonstrationsfreiheit sind ganz wichtige Grundrechte. Sie sind durch internationale Verträge, europäisches Recht und die österreichische Verfassungsordnung garantiert.

Es ist das Wesen von Protest, sich für die Regierenden sichtbar zu machen – dies kann auch durch das Verursachen von Staus erfolgen.
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Vertreten darf man jede Meinung, und man darf sich auch für jeden Zweck und jede Weltanschauung in einer Demonstration starkmachen, sei die jeweilige Ansicht und das jeweilige Anliegen noch so absurd. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, wie das Verbot der Bewerbung des Nationalsozialismus. Ansonsten darf man grundsätzlich für alles eintreten, denn das Demonstrationsrecht soll gerade auch Minderheiten und Minderheitsmeinungen helfen, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und es sollen für Demonstrationen und Versammlungen alle möglichen öffentlichen Plätze zur Verfügung stehen. Demonstrierende wollen sich ja vor allem gegenüber der Regierung beziehungsweise Entscheidungsträgern sichtbar machen. Daher ist es wichtig, dass die Flächen rund um Parlament und Ministerien als Demonstrationsorte zur Verfügung stehen. Die immer wieder ventilierte Idee, Demonstrationen an den Stadtrand zu verbannen, würde das Demonstrationsrecht in seinem Kern aushöhlen. Staus sind immer unangenehm (und Demonstrationen sind ohnedies selten die Ursache dafür) – jedenfalls ist die Vermeidung von Verkehrsverzögerungen kein rechtlich tragfähiger Grund, Demonstrationen zu untersagen.

Deeskalation als geeignete Strategie

Demonstrationen sollen angemeldet werden, es sind aber auch spontane Versammlungen zulässig. Aus Sicht der Organisatoren und Organisatorinnen von Demonstrationen ist es vernünftig, sich vorab mit der Polizei in Verbindung zu setzen, um einen möglichst ruhigen und sicheren Ablauf der Demonstration sicherzustellen. Eine moderne, gut geschulte Polizei tut alles, um das Demonstrationsrecht sicherzustellen, und ist sich auch dessen bewusst, dass es immer wieder zu Störungen kommt – sei es vonseiten radikaler Teilnehmenden, sei es von eingeschleusten Personen oder Gegendemonstrierenden, die den Ablauf der Demonstration stören wollen. Im modernen Rechtsstaat sind Polizeiapparate auf Deeskalation geschult. Die Orientierung an Deeskalation gilt für alle Amtshandlungen, für die Begleitung und Sicherung von Demonstrationen im Besonderen. Nach der Regierungsbildung ÖVP-FPÖ kam es im Jahr 2000 in Wien zu monatelangen Antiregierungsdemonstrationen in einer sehr aufgeheizten politischen Stimmung. Die bedachte Deeskalationsstrategie der Polizei hat Zwischenfälle verhindert und zur Normalisierung der Situation beigetragen.

Kritik am Verhalten der Polizei

Es gibt aber andere Beispiele, wo die Polizei Konflikte mit Demonstrierenden tendenziell eskaliert beziehungsweise nicht die notwendige Souveränität an den Tag gelegt hat. Ein zentrales Prinzip jeder staatlichen Verwaltung, aber insbesondere des polizeilichen Handelns, ist die Verhältnismäßigkeit. In diesem Sinne darf die Polizei auf Provokationen oder strafbares Handeln immer nur mit dem gelindesten Mittel, also verhältnismäßig, reagieren. Das passiert nicht immer. Handelt die Polizei unverhältnismäßig oder setzt sie von sich aus Unrechtshandlungen, etwa Tätlichkeiten, kann es zu Verurteilungen des polizeilichen Handelns oder auch konkreter Polizeibeamtinnen und Polizeibeamter kommen.

Teile der Politik haben die Klimaproteste zuletzt kriminalisiert oder als illegitim hinstellt. Das ist im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beunruhigend und gefährlich. Umso wichtiger war es, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seinem jüngsten großen Fernsehinterview sehr deutlich darauf hingewiesen hat, dass es bei den Klimaprotesten erstens um ein wichtiges Anliegen geht. Und dass zweitens die Demonstrierenden, in den Worten Van der Bellens, ja "mit Klebstoff und nicht mit Sprengstoff" arbeiten.

Klima als rechtliche Kategorie

In der juristischen Welt wird die Klimafrage, so wie überall, ganz unterschiedlich wahrgenommen. Viele in Rechtswissenschaft und bei Gericht erkennen die bereits desaströse Klimaentwicklung als eine der wichtigsten Zukunftsfragen. So hat die Universität Graz vor einigen Jahren einen eigenen Lehrstuhl für Klimarecht eingerichtet, juristische Tagungen beschäftigen sich immer öfter mit Klimafragen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem schon beschriebenen Verfahren viel Sensibilität und Verständnis für Klimafragen gezeigt. Zahlreiche Gerichtsentscheidungen beurteilen den Klimawandel unter dem Aspekt des Rechts auf Leben und Gesundheit und räumen Klimaschutzmaßnahmen in der Abwägung den Vorrang vor vielen anderen Anliegen und Interessen ein. Diese Woche wurde in Österreich ein neues, aufsehenerregendes Klimaverfahren gestartet, eine von Kindern und Jugendlichen getragene Klage.

Bei der Beurteilung der Klimaproteste darf auch nicht übersehen werden, dass viele Staaten, darunter Österreich, die in internationalen Verträgen vereinbarten Klimaziele verfehlen und somit unrechtmäßig handeln. Die Klimaproteste können für sich in Anspruch nehmen, dass sie gegen Rechtsverstöße auf die Straße gehen.

Fragwürdige Entscheidungen von Gerichten

Während es bereits viele zukunftsweisende Gerichtsentscheidungen gibt, die etwa Geschwindigkeitsbegrenzungen für den Straßenverkehr anordnen, um zur Erreichung der Klimaziele beizutragen, so gibt es auch Entscheidungen, die eine dem Thema und der Dramatik der Klimasituation angemessene Sensibilität vermissen lassen. Dazu zählt eine jüngste Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien, bei der die Strafe für einen Polizisten, der einem Demonstranten bei einer Klimademo Faustschläge versetzt hatte, gesenkt wurde.

Diese Entscheidung irritiert in doppelter Hinsicht: zum einen, weil sie für das mittlerweile unstrittige Anliegen der Klimademonstrierenden und für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wenig Sensibilität zeigt, zum anderen aber auch, weil die Entscheidung der notwendigen Verhältnismäßigkeit jeden polizeilichen Handelns wenig Aufmerksamkeit schenkt.

Wie immer man zu Klimaschutzmaßnahmen steht – der Schutz des Demonstrationsrechts sollte gemeinsames Anliegen aller Demokratinnen und Demokraten sein. (Oliver Scheiber, 23.2.2023)