Letzte Woche wurden die Pläne für die Erweiterung des Nationalen Archäologiemuseums in Athen präsentiert. Der 1874 eröffnete klassizistische Bau ist eines der wichtigsten Museen europäischer Kulturgeschichte. Der Gewinner des Architekturwettbewerbs, der Konkurrenten wie Herzog & de Meuron, Rem Koolhaas und Kengo Kuma ausstach (griechische Büros waren nicht geladen), ist ebenfalls kein Unbekannter: David Chipperfield.

Dieser bringt reichlich Erfahrung im Umgang mit Kulturinstitutionen mit, von der Berliner Museumsinsel bis zum Kunsthaus Zürich und dem Saint Louis Art Museum. Der 69-jährige Brite ist einer der global gefragtesten Architekten, auch in Wien ist er mit dem Kaufhaus in der Kärntner Straße und mit Luxusapartments, die offensiv mit seinem Namen werben, vertreten.

So soll es aussehen, wenn es fertig ist: Das Nationale Archäologiemuseum in Athen wird von David Chipperfield erweitert und begrünt.
Foto: Filippo Bolognese Images

Seine Bauten sind solide, steinern, eckig und vornehm dezent. Seine Pläne für Athen sind anders: Er begräbt die neuen Museumsräume unter einem großen Park. DER STANDARD traf ihn dort zum Gespräch über die heutige Rolle von Museen und warum Architekten ihre Verantwortung fürs Klima dringend wahrnehmen müssen.

STANDARD: Die veröffentlichten Bilder zeigen eine romantisch-elysische Landschaft, unter der sich das Museum versteckt. Für wucherndes Grün war Ihr Büro bisher eigentlich nicht bekannt. Gibt es eine ökologische Wende bei David Chipperfield?

Chipperfield: So ganz stimmt das nicht, wir haben immer wieder Gärten, Atrien und grüne Höfe realisiert, und ich habe schon immer die japanische Art, das Innen und Außen zu verbinden, geschätzt. Leider hat es der Freiraum heute schwer in der Architektur. Viele Investoren wollen ihn am liebsten vermeiden, weil sie dadurch rentable Fläche verlieren. Jetzt versuchen wir, dem Garten die Hauptrolle zu geben. Das passt auch zu zeitgemäßen Vorstellungen, wie Museumsräume sein sollen: offen, durchlässig, einladend. Der Garten vermittelt zwischen dem Museum und der Stadt, er bildet einen "common ground".

STANDARD: "Common Ground" lautete auch das Motto der von Ihnen kuratierten Architekturbiennale Venedig 2012. Wie können Museen die Menschen zusammenbringen?

Chipperfield: Museen sind heute nicht mehr nur wissenschaftlich und akademisch, es geht auch, und das meine ich nicht abwertend, um Entertainment. Dabei gilt es, eine Balance zu finden zwischen Angeboten für Einheimische und solchen für Touristen. Für Nationalmuseen ist das besonders schwierig, weil sie vor allem Touristenattraktionen sind. Die National Gallery in London ist kein Ort, an dem sich Londoner zum Treffen verabreden. In kleineren Städten haben Museen auch eine soziale Funktion. In Athen wollen wir beides verbinden. Der Garten soll Einheimische und Besucher zusammenbringen.

"Der Garten vermittelt zwischen dem Museum und der Stadt", sagt der Architekt.
Foto: Filippo Bolognese Images

STANDARD: Zwischen Griechen und Engländern gibt es seit dem 19. Jahrhundert Streit um die Rückgabe der Elgin Marbles, der Bauteile der Akropolis, die im British Museum ausgestellt sind. Jetzt bauen Sie als britischer Architekt in Griechenland ein Archäologiemuseum. Spielen diese diplomatischen Störungen da eine Rolle?

Chipperfield: Debatten um die Herkunft von Kunstwerken gibt es in praktisch allen Museen. Die großen Museen in Berlin oder das Metropolitan Museum in New York haben Sammlungen aus aller Welt, die wie Enzyklopädien funktionieren. Das hat seine Berechtigung, aber wenn koloniale Aspekte hinzukommen wie in meinem Heimatland, ist es besonders wichtig, darüber zu reden. Muss man alles wieder an den Herkunftsort rückführen? Sicher nicht. Im Einzelfall kann das aber durchaus richtig sein.

STANDARD: David Chipperfield Architects ist inzwischen zu einer globalen Marke geworden. Haben Sie selbst noch einen Überblick über all Ihre Projekte, oder konzentrieren Sie sich auf die Kirschen auf der Torte, wie große Museumsbauten?

Chipperfield: Es stimmt, dass ich bei manchen Projekten mehr involviert bin als bei anderen, und ja, wenn Sie so wollen, sind das die Kirschen auf der Torte. Aber wir sehen uns weniger als Marke, mehr wie eine Schule. Meine Partner und ich haben das Büro über 20 Jahre aufgebaut, und jetzt lernen wir, unseren Einfluss zugunsten der nächsten Generation zu reduzieren. Wir haben sozusagen die Kinder an der Hand gehalten, jetzt lassen wir sie erwachsen werden. Dafür schaffen wir ein geistiges und professionelles Umfeld. Das ist etwas ganz anderes als damals, als wir zu zwölft in einem Raum saßen und alle ans Telefon gegangen sind. Dieser Wandel betrifft aber nicht nur uns. Das ganze Klima ändert sich.

Chipperfields Bauten sind solide, steinern, vornehm dezent.
Foto: Filippo Bolognese Images

STANDARD: Der Klimawandel im buchstäblichen Sinne oder ein gesellschaftlicher Wandel?

Chipperfield: Beides. Vergleichen Sie mal, wie sehr uns vor fünf Jahren die Gefahr der Klimakatastrophe bewusst war und in welcher Dringlichkeit wir heute darüber reden – und dann überlegen Sie, wie es in fünf Jahren aussieht. Die Bauindustrie ist als Klimasünder für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, die soziale Ungleichheit wächst immer mehr. Beides gehört zusammen, und beides wird sich zuspitzen. Was und wie wir bauen oder auch nicht bauen, übt einen enormen Einfluss auf diese Entwicklungen aus. Leider haben wir Architekten diese Aufgaben vernachlässigt. Wir haben keine guten Wohnungen und Städte für die Menschen gebaut. Wir behaupten oft, dass das nicht in unserer Macht steht, dass wir nur tun können, wozu man uns beauftragt, aber wir müssen aus diesem Käfig ausbrechen.

STANDARD: Wie kann das gelingen?

Chipperfield: Wir müssen natürlich klimatische Aspekte des Bauens wie Graue Energie, Kohlenstoffgehalt und Energieeffizienz berücksichtigen. Aber das ist ja selbstverständlich. Heute muss es mehr sein als das.

David Chipperfield, geboren 1953, hat bis heute über 100 Bauten weltweit realisiert.
Foto: Benjamin McMahon

STANDARD: Heute diskutiert die Architekturwelt verstärkt darüber, ob man überhaupt noch abreißen und neu bauen sollte.

Chipperfield: Zu Recht. Wir haben gerade einen Wettbewerb für die London School of Economics gewonnen, weil wir die Einzigen waren, die gesagt haben: Lassen wir doch das alte Gebäude stehen. Wir können diesen Wandel also sehr wohl beeinflussen. Gerade wir etablierten Architekten sind hier in der Pflicht. Wir haben keine andere Wahl. Die Zeiten, in denen man sich Baumaterialien aus China bestellt, weil sie billiger sind, sind vorbei. Deswegen wollen wir hier in Athen auch Wände aus Lehm bauen und nicht aus chinesischem Marmor. Die junge Generation brennt für diese Dinge noch mehr, aber sie hat leider zu wenig Einfluss. Also müssen wir Älteren vorangehen. (Maik Novotny, 21.2.2023)