Mehr als 47.000 Menschen sind bei dem Beben Anfang Februar ums Leben gekommen.

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Am Montagabend waren die Einsatzkräfte erneut akut gefordert.

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Gaziantep/Idlib – Infolge der erneuten Beben in der türkischen Provinz Hatay sind mindestens drei Menschen getötet worden. 213 Personen seien in Krankenhäuser gebracht worden, sagte Innenminister Süleyman Soylu am Montagabend. Am Abend hatten nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde Afad zwei Beben im Abstand von drei Minuten die Provinz mit Stärken von 6,4 und 5,8 erschüttert.

Bei dem ersten Beben habe es sich nicht um ein Nachbeben der großen Erschütterungen von vor zwei Wochen, sondern um neue Beben gehandelt, sagte Vizepräsident Fuat Oktay am Montagabend. Innenminister Soylu warnte Menschen davor, erneut in Häuser zu gehen. Bisher habe es 26 Nachbeben gegeben.

Der Sender CNN Türk berichtete, die Menschen seien in Panik auf die Straße gelaufen, zudem sei in Hatay der Strom ausgefallen. Der Bürgermeister von Hatay, Lütfü Savas, rief via Twitter dazu auf, sich von einsturzgefährdeten Gebäuden fernzuhalten. Die Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi berichtete, das Krankenhaus in der Küstenstadt Iskenderun werde evakuiert.

Das Beben war Medienberichten zufolge auch in den umliegenden Provinzen, im Norden Syriens, in Israel, im Irak und im Libanon zu spüren. In mehreren Orten nahe der syrischen Stadt Aleppo seien erneut Häuser eingestürzt, sagte eine Sprecherin der Hilfsorganisation SAMS. Darunter sei auch die Kleinstadt Jindiris nahe der türkischen Grenze, die schon vor zwei Wochen stark von den Beben getroffen wurde.

In mindestens vier Kliniken der Organisation seien neue Opfer eingetroffen – darunter ein Kind mit Herzstillstand, das reanimiert werden konnte. Ob in der Türkei Häuser einstürzten, war zunächst unklar.

Ein Bewohner aus der Nähe Aleppos sagte, das Beben sei so stark gewesen wie das vor zwei Wochen, habe aber nicht so lang gedauert. "Es hat die Menschen verängstigt und auf die Straße rennen lassen", sagte der Mann namens Abdel Kafi. "Viele Menschen haben ihre Häuser verlassen und ziehen durch die Straßen in Angst, dass weitere (Erdbeben) folgen werden", darunter auch in der syrischen Hauptstadt Damaskus, schrieb die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) für die Region, Rula Amin, auf Twitter.

Am 6. Februar hatte frühmorgens ein Beben der Stärke 7,7 die Südosttürkei und den Norden Syriens erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6. Das Epizentrum lag in beiden Fällen in der südtürkischen Provinz Kahramanmaras. Mehr als 47.000 Menschen starben, davon mehr als 41.000 in der Türkei.

Weiterhin prekär ist die Versorgungslage vor allem im Westen Syriens, wo bisher rund 5.900 tote Menschen in Zusammenhang mit den verheerenden Beben gezählt worden sind. In dem Land sind nach Angaben der Vereinten Nationen 8,8 Millionen Menschen von den Folgen der Erdbebenkatastrophe betroffen. "Die Mehrheit von ihnen benötigt voraussichtlich irgendeine Form von humanitärer Unterstützung", schrieb die stellvertretende UN-Syrien-Beauftragte Najat Rochdi am Sonntag bei Twitter. Aktivisten und Helfer in den Rebellengebieten im Nordwesten Syriens hatten in den Tagen nach den Beben vom 6. Februar mangelnde Hilfe der UN beklagt.

Nato errichtet Notunterkünfte

Mit Unterkünften helfen wird die Nato. Im Mitgliedsland Türkei wird ein Camp mit Notunterkünften für mindestens 4.000 Menschen aufgebaut. Sonntagabend hat ein Frachtschiff mit 600 Containern dafür den Hafen der italienischen Stadt Taranto – der extra dafür geöffnet blieb – verlassen, teilte ein Bündnissprecher mit. Es soll im Laufe der Woche in der Stadt Iskenderun ankommen. Außerdem koordiniert die Nato eine Luftbrücke für den Transport von Zelten aus Pakistan in die Türkei. Durch das Erdbeben vor rund zwei Wochen wurden nach Regierungsangaben rund 225.000 Wohnungen zerstört oder stark beschädigt.

Die Katastrophe hat die Region in vielerlei Hinsicht schwer getroffen. Welche Folgen sich etwa für Schüler und den Unterricht ergeben werden, ist kaum absehbar. 600 Schulen seien allein in Syrien zerstört worden, sagte Yasmine Sherif, Direktorin des UN-Fonds Education Cannot Wait (ECW), dem TV-Sender Al Jazeera. Aus dem Fonds sollen sieben Millionen US-Dollar (etwa 6,5 Millionen Euro) an Notfallzuschüssen kommen, um Kindern in Syrien auch weiterhin den Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

Suche nach Überlebenden vielerorts eingestellt

Einige Rettungseinsätze neigten sich über das Wochenende dem Ende entgegen. So beendete etwa ein Such- und Rettungsteam aus Katar seinen zweiwöchigen Einsatz in der Südtürkei, wie die katarische Nachrichtenagentur QNA berichtete. Der türkische Katastrophenschutz Afad gab am Sonntag bekannt, dass die Sucharbeiten in neun der elf betroffenen Provinzen beendet seien. Nur in Kahramanmaras und Hatay werde weiter nach Verschütteten gesucht, sagte der Afad-Vorsitzende Yunus Sezer.

Es werde geschätzt, dass mehr als 1,2 Millionen Menschen die betroffene Region in der Türkei verlassen haben. Über eine Million Betroffene sind derzeit vorübergehend in Unterkünften untergebracht, wie Sezer sagte.

Hatay soll wiederaufgebaut werden

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will die Städte in der stark zerstörten Provinz Hatay von Grund auf wieder aufbauen. Man werde Hatay "in all seinen Farben wiederbeleben", sagte Erdogan am Montag in der südosttürkischen Provinz.

Er betonte erneut, dass die Regierung ab März mit dem Wiederaufbau auch in anderen Provinzen beginnen wolle. "Unsere zerstörten Zivilisationswerte, allen voran unser Hatay Parlamentsgebäude, werden wir getreu ihrer ursprünglichen Form wieder aufbauen und die beschädigten restaurieren", sagte er. Man wolle dabei die demografische Struktur der Provinz nicht verändern. Anderslautenden Gerüchten solle man keinen Glauben schenken.

Besuch von US-Außenminister Blinken

US-Außenminister Blinken machte sich am Sonntag zusammen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu ein Bild von der Zerstörung in der schwer vom Erdbeben betroffenen Provinz Hatay. Außerdem wolle er auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik mit betroffenen Familien zusammenkommen, erklärte das Außenministerium im Vorfeld.

Bei seinem Besuch sagt Blinken weitere 100 Millionen US-Dollar (rund 93 Millionen Euro) an Hilfen zu. Damit hätten die USA nun insgesamt 185 Millionen Dollar zugesagt. Die Hilfe solle den Erdbebenopfern in der Türkei und in Syrien zugute kommen, erklärte Blinken. Von dem Geld sollen Hilfsgüter wie Medikamente, Decken, Matratzen, Zelte und warme Kleidung gekauft werden. Außerdem soll damit die Versorgung mit sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen, aber auch Bildung für Kinder gewährleistet werden, hieß es.

Humanitäre Krise in Syrien

In Syrien war die Lage für viele Menschen schon vor den Beben verheerend. Bombardements und Kämpfe im jahrelangen Bürgerkrieg, eine schwere Wirtschaftskrise und eine oft kaum vorhandene öffentliche Versorgung haben das Land zu einem Brennpunkt für humanitäre Helfer werden lassen. Laut Uno benötigten schon vor den Erdbeben mehr als 15 Millionen Menschen irgendeine Form von Hilfe.

Und etwa zwei Wochen nach den ersten Beben haben im Nordwesten Syriens noch immer nicht alle Menschen Nothilfe erhalten. "Wir stehen noch am Anfang und haben das Schlimmste noch nicht gesehen", sagte der für Syrien zuständige UN-Nothilfekoordinator, Muhannad Hadi. Bisher seien beispielsweise etwa 60.000 Menschen mit Wasser und rund 13.000 Erdbebenopfer mit Zelten versorgt worden. Nach UN-Angaben sind derzeit aber rund 40.000 Haushalte ohne Obdach.

Bisher fuhren seit der Katastrophe mehr als 140 Lastwagen mit UN-Hilfsgütern aus der Türkei in den von Rebellen kontrollierten Nordwesten Syriens. Dort wurden mehr als 9.000 Gebäude komplett oder teilweise zerstört, wodurch mindestens 11.000 Menschen ihr Zuhause verloren. Am dringendsten benötigten die Betroffenen laut UN jetzt unter anderem Unterkünfte wie Zelte. (APA, 20.2.2023)