Die Nacktmulle – Heterocephalus glaber – sind die einzige Spezies in der Familie der Heterocephalidae.
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Von Nacktmullen können wir noch viel lernen. Sie sind eine einzigartige Spezies, die nicht nur eine eigene Gattung und Familie ausmacht, sondern auch mit ihren Fähigkeiten überrascht. Sie können sehr alt werden, vor allem für Nagetiere, unter denen sie die Spitzenreiter sind: 30 Jahre sind durchaus drin. Mäuse beispielsweise werden oft nicht älter als zwei oder drei Jahre. Gleichzeitig erkranken sie so gut wie nie an Krebs. Und ein Nacktmull kennt keinen Schmerz – jedenfalls hält er ihn sehr viel besser aus als andere Säugetiere.

Was Nacktmullforscher Miguel Brieño-Enríquez von der University of Pittsburgh School of Medicine noch mehr an seinen bis zu 15 Zentimeter langen Forschungsobjekten fasziniert, ist ihre Fortpflanzungsfähigkeit. Denn sie "hören nie auf, Kinder zu bekommen – ihre Fruchtbarkeit nimmt nicht ab, wenn sie älter werden", sagt der Wissenschafter. "Wir wollen verstehen, wie sie das machen."

Drei Besonderheiten

Dabei haben er und sein Forschungsteam nun einen wichtigen Teil des Rätsels gelöst. Wie sie im Fachjournal "Nature Communications" schreiben, sind die Weibchen offenbar ihr Leben lang fähig, Eizellen zu bilden. Eine höchst ungewöhnliche Eigenschaft: Nicht nur bei Menschen steht die Anzahl der Eizellen bei der Geburt fest und kann ab diesem Zeitpunkt nur mehr abnehmen (wenn nicht gerade gespendete Eizellen eingepflanzt werden). Auch bei allen anderen Säugetieren sah es ganz danach aus, als würden sie sich an diese Regel halten.

Ein weiblicher Nacktmull, der an der University of Pittsburgh School of Medicine erforscht wird.
Foto: UPMC

1. Lebenslange Produktion

Die Nacktmullweibchen machen dem allerdings einen Strich durch die Rechnung. Das Forschungsteam untersuchte die Eierstöcke von Nacktmullen genau und fand heraus, dass das Organ erst nach der Geburt beginnt, Eizellen zu produzieren. Die Vorläuferzellen teilen sich bei drei Monate alten Individuen – und können dies auch noch im Alter von zehn Jahren tun. Die Fachleute schließen daraus, dass Nacktmulle ihr ganzes Leben lang neue Eizellen produzieren könnten und damit quasi unlimitiert fruchtbar sind.

2. Auch die Eizellen leben länger

Doch diese Fähigkeit ist nur eine von dreien, die Brieño-Enríquez zufolge das Geheimnis der Nacktmull-Fertilität ausmachen. Sein Team verglich die Fortpflanzungsorgane auch mit jenen von Mäusen. Die Eierstöcke der Tiere sind ähnlich groß, Mäuse leben aber nicht nur viel kürzer, sie büßen schon nach neun Monaten an Fruchtbarkeit ein.

Der Vergleich zeigte: Die Absterberate bei Eizellen ist in Mäusen viel höher. Im Alter von nur acht Tagen hat ein Nacktmullweibchen bereits durchschnittlich 1,5 Millionen Eizellen. Das sind fast 100-mal mehr als bei gleichaltrigen Mäusen. So demonstrierte das Team, dass auch dieser Faktor eine Rolle spielen dürfte.

3. Nur die Königin wird fruchtbar

Der dritte Faktor ist das besondere Sozialleben und Fortpflanzungsverhalten der Nacktmulle. Dieses erinnert an staatenbildende Insekten wie Ameisen und Bienen: Es gibt eine "Königin", die für den Nachwuchs einer Kolonie sorgt. Mehrere Dutzend bis hunderte Tiere leben gemeinsam in unterirdischen Tunnelsystemen. Arbeitsteilung wird recht streng eingehalten – manche sind für das Gängegraben zuständig, andere verteidigen das Revier, schaffen Nahrung heran oder füttern die Nacktmullbabys.

Nacktmulle leben in unterirdischen Gangsystemen, hier im Zoo Osnabrück.
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Das dominante Weibchen ist das einzige, das Letztere zur Welt bringt. Es unterdrückt die Fortpflanzung aller anderen Weibchen. "Wenn die Königin stirbt oder aus der Kolonie entfernt wird, konkurrieren untergeordnete Weibchen darum, ihren Platz einzunehmen und fortpflanzungsfähig zu werden", sagt Brieño-Enríquez.

Dabei geht es allerdings demokratischer zu als etwa bei Ameisen. Nicht Genetik und "Erbfolge" bestimmen, wer die Kolonie dominiert: "Jedes Mädchen kann eine Königin werden", sagt der Forscher – oder, näher an der Natur übersetzt: Jedes junge Weibchen kann theoretisch später den Nachwuchs der Kolonie gebären.

Für seine Studie entfernte das Forschungsteam dreijährige Weibchen aus ihrer Kolonie, um sie zu neuen Königinnen zu machen. Sie zeigten im direkten Vergleich zu untergeordneten Weibchen, dass dadurch auch ihre Fortpflanzung aktiviert wurde: Die Eizellen-Vorläufer begannen sich zu teilen, sobald ein Weibchen zur Königin wurde. Alle anderen Weibchen sind aber offenbar ihr Leben lang in der Lage, diese Rolle zu übernehmen.

Besonderheit des Menschen

Damit ist nicht nur ein weiteres Faszinosum der Tiere enthüllt. Es könnte auch praktische Anwendung finden, meint Brieño-Enríquez, "denn wenn wir herausfinden können, wie sie das machen, können wir vielleicht neue Medikamente oder Techniken für die menschliche Gesundheit entwickeln". Obwohl Menschen immer älter werden, bleibt die Menopause zeitlich etwa im selben Rahmen und setzt bei den meisten Frauen mit 50 bis 55 Jahren ein.

Nacktmulle haben im Gegensatz zu anderen Säugetieren nicht als Babys direkt nach der Geburt die höchste Anzahl an Eizellen, sondern können diese noch im Laufe ihres Lebens produzieren – in rauen Mengen.
Foto: Imago / Olaf Wagner

Dies liegt wie erwähnt daran, dass in den Eierstöcken schon bei der Geburt eine limitierte Anzahl an Eizellen vorhanden ist. Von dieser Zahl kann wiederum nur ein bestimmter Anteil im Lauf des Lebens heranreifen und potenziell zu einer Schwangerschaft führen. Andere Säugetiere haben oft eine eingeschränkte Lebenserwartung und werden gar nicht so alt, dass sie vorher in die Menopause kommen und ganz an Fertilität einbüßen würden. Im Vergleich zu anderen Menschenaffen ist dies jedoch eine Besonderheit des Menschen.

Großmütter und Babyfabriken

Dafür haben Evolutionsbiologinnen und -biologen eine Erklärung. Sie nennt sich "Großmutterhypothese": Wenn es in einer Gemeinschaft auch ältere Frauen gibt, die nicht mehr selbst schwanger werden, sich aber um Neugeborene anderer Frauen kümmern können, haben die kleinen Kinder eine höhere Wahrscheinlichkeit zu überleben. Dies kann zu einem Selektionsvorteil geführt haben.

In der praktischen Anwendung der Nacktmull-Forschungsergebnisse geht es dem Forschungsteam aber nicht nur um Fruchtbarkeit. "Die Eierstöcke sind mehr als nur eine Babyfabrik", sagt Brieño-Enríquez. Ihre Gesundheit beeinflusse auch Krebsrisiko, Herzgesundheit und die Lebenserwartung. "Ein besseres Verständnis der Eierstöcke könnte uns helfen, Wege zu finden, wie die allgemeine Gesundheit verbessert werden kann." (Julia Sica, 21.2.2023)