In Lederhose vor der Innviertler Anhängerschaft: Was Strache 2019 optisch bot, wird Nachfolger Kickl eher nicht nachmachen. Rhetorische Zurückhaltung ist beim politischen Aschermittwoch der FPÖ hingegen auch heute nicht zu erwarten.

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Weißwurst und Speck sind tabu, doch für Fischaufstriche und Salzstangerl ist gesorgt: Wenn sich am Mittwochabend 2.000 Menschen in der ortseigenen Jahnturnhalle drängen, halten sich die Zugeständnisse an die angebrochene Fastenzeit in Grenzen. Denn Bier zum Runterspülen darf natürlich nicht fehlen – und statt Buße zu tun, wie es die kirchlichen Gebote vorschreiben, werden die Stargäste auf der Bühne ordentlich austeilen.

Warum soll sich eine Partei mit deutschnationalen Wurzeln auch an katholische Bräuche halten? Die FPÖ ist stolz auf ihre eigene Tradition, die sie seit 1992 mit nur zwei der Corona-Pandemie geschuldeten Unterbrechungen in ihrer Hochburg im Westen Oberösterreichs auslebt: Nach Vorbild der bayerischen CSU im nahen Passau laden die blauen Vertreter aus Ried im Innkreis am Tag eins nach Faschingsende zum "politischen Aschermittwoch".

So manches, was die Wortführer vor johlender Menge abladen, sorgt für Aufsehen über die Bezirksgrenzen hinaus. Jörg Haider etwa setzte sich hier einmal mehr dem Vorwurf des Antisemitismus aus. "Ich verstehe überhaupt nicht", sprach der mittlerweile verstorbene Ex-FPÖ-Frontmann 2001 über Ariel Muzicant, den damaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, "wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann."

Heute tritt einer vor die Anhänger, der den einstigen Chefs für derartige Auftritte Gags geschrieben hat. An Zugkraft stehe Herbert Kickl den Vorgängern kein bisschen nach, versichert Bezirksfunktionär Erhard Weinziger, Organisator seit der ersten Stunde. Das G'riss um die begrenzte Zahl der Tickets sei trotz Unkostenbeitrags von 15 Euro so groß gewesen "wie in den besten Zeiten von Haider und Strache".

Nicht lange zu Boden gelegen

Das liegt am aktuellen Höhenflug. Beeindruckend oder – je nach Leseart – erschreckend rasch hat sich die FPÖ von ihrem keine vier Jahre zurückliegenden Crash erholt. Am Boden war die Partei gelegen, nachdem sie im Zuge des Ibiza-Skandals aus der Regierung geflogen war. Bei der Wiener Landtagswahl im Oktober 2020 bekamen die Blauen mit einem Absturz von fast 24 auf sieben Prozent noch eine bittere Rechnung präsentiert – doch beim Urnengang in Niederösterreich Ende Jänner dieses Jahres landeten sie schon wieder beim Wiener Wert von einst. In den bundesweiten Umfragen rangiert die FPÖ mit 27 bis 29 Prozent in der Pole-Position.

Die Geschichte wiederholt sich. Schon in den Nullerjahren hatte sich die FPÖ, damals unter einem irrlichternden Haider, selbst ins Aus geschossen – um später unter Heinz-Christian Strache in alter Stärke wiederzukehren. Was lässt die Rechtspartei aus scheinbar aussichtsloser Lage immer wieder auferstehen?

Versprechen für Verlierer

Menschen, die sich von Mächtigen – oder jenen, die sie dafür halten – ungehört, ausgeschlossen, übergangen fühlen: Auf dieses Reservoir kann die FPÖ, solange sie in Opposition bleibt, bauen. Nicht zufällig fiel der Aufstieg unter Haider in den Achtziger- und Neunzigerjahren in eine Zeit des Umbruchs, der Verlierer produzierte. Der einstige Politstar profitierte zwar auch von austriakischen Besonderheiten wie der in Freunderlwirtschaft verstrickten großen Koalition und den hierzulande unterentwickelten Berührungsängsten den rechten Rand betreffend. Doch die Wurzeln des Erfolgs reichen über die heimischen Grenzen hinaus.

Ob man nun die Globalisierung oder – wie es Linke tun – mehr den Neoliberalismus für den entscheidenden Treiber hält: Auch in einem Land wie Österreich, das lange Zeit mit relativ stabiler Arbeitslosenrate beglückt war, wurde die Arbeitswelt für viele stetig ungemütlicher. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse griffen um sich, stabile Vollzeitstellen gerieten gerade für immer mehr junge Menschen außer Reichweite. Die zunehmend unübersichtliche Realität befeuert Kräfte, die den Rückzug ins nationale Idyll propagieren – und mit den Fremden einen Außenfeind anbieten, auf dem sich Frust abladen lässt.

Wenn der blaue Erfolg mit den ökonomischen Umständen zusammenhängt: Ist ambitionierte Sozialpolitik also das Gegenmittel? Das ist leichter gefordert als getan. Natürlich könnte eine links orientierte Regierung versuchen, via Vermögenssteuer Geld zum Umverteilen zu lukrieren. Doch wie der in der SPÖ verankerte Volkswirtschaftler Nikolaus Kowall in einer STANDARD-Debatte feststellte, fehlen nationalen Politikern in der globalisierten Welt die Instrumentarien, wie sie zur sozialdemokratischen Blütezeit in den Siebzigern noch zur Verfügung standen. Postenverteilen in einer verstaatlichten Industrie spiele es nicht mehr: Die Versprechen der FPÖ suggerierten eine Machtfülle, die eine Illusion sei.

Pessimismus als Markenzeichen

Außerdem lässt sich der Zulauf zur Rechten nicht allein mit tatsächlichen materiellen Nöten erklären. Dafür ist die Sympathisantenschar schlicht zu groß – und von jener Gruppe, die man früher Proletariat genannt hätte, darf ein großer Teil mangels Staatsbürgerschaft ohnehin nicht wählen. Entscheidend ist laut Wahlforschern vielmehr der Ausblick: Wer pessimistisch in die Zukunft schaut, spricht viel eher auf die FPÖ an.

Anlass zum Schwarzsehen boten die vergangenen drei Jahre beileibe genug. Corona-Krise, Ukraine-Krieg und die Teuerungswelle als Folge hätten Menschen in eine von Nervosität, Erschöpfung und Depression geprägte "psychosoziale Sondersituation" geführt, glaubt der Meinungsforscher Günther Ogris vom Sora-Institut: Ein "Spiel mit Ängsten" falle da auf fruchtbaren Boden.

Insofern hatten die Freiheitlichen schlicht auch Glück: Weniger das Ibiza-Video selbst als das Spesenrittertum von Ex-Parteichef Strache hatten das Image der selbsternannten Antiprivilegienpartei schwer erschüttert – doch dann hat der Zorn über die Corona-Politik die Erinnerung an die blauen Affären rasch aus den Köpfen der auf Protest getrimmten Wähler verdrängt. Als Regierung und Landeshauptleute im Herbst 2021 eine Impfpflicht ausriefen, müssen in der FPÖ-Zentrale die Sektkorken geknallt haben.

Die Schwäche der anderen

Die heute von niemandem mehr verteidigte Idee zeigt: Die FPÖ schöpft ihre Stärke natürlich auch aus Schwächen der Gegner. Nicht nur im Corona-Management hat die Kanzlerpartei ÖVP Glaubwürdigkeit verspielt. Die Korruptionsdebatte treibt einstige Sebastian-Kurz-Wähler zurück ins blaue Lager, mit dem mutwillig losgetretenen Flüchtlingsthema legten die Türkisen im Niederösterreich-Wahlkampf eine weitere thematische Rutsche.

Das brachte auch eine andere Konkurrentin der FPÖ ins Schleudern. Der SPÖ fehlt nicht nur eine einheitliche Antwort auf die "Ausländerfrage", sondern auch eine unumstrittene Person an der Spitze. Mit dem Flüchtlingsthema kochte prompt wieder die Debatte um Obfrau Pamela Rendi-Wagner hoch. Aus der Teuerungskrise, an sich ein für die Sozialdemokratie maßgeschneidertes Thema, zog die größte Oppositionspartei zu wenig Profit. Die Folge: herbe Verluste in Niederösterreich.

Dass die Profiteure der Proteststimmung nicht ausschließlich blau sein müssen, zeigen Wahlen aber auch: Sobald ernstzunehmende Konkurrenz auf dem Feld der Populisten auftaucht, halten sich die Erfolge in Grenzen. Dies zeichnet sich auch bei der Kärntner Landtagswahl am 5. März ab, wo der FPÖ das Team Kärnten des Spittaler Bürgermeisters Gerhard Köfer zusetzt. Zwar liegen die Blauen laut Umfragen hier ebenfalls auf einem Niveau wie in Niederösterreich. Doch im einstigen Haider-Land sind sie Besseres gewöhnt. (Gerald John, 21.2.2023)