Die Arktis wird von vielen Arten besiedelt, die an extreme Lebensbedingungen angepasst sind. Mit dem rapiden Wandel ihrer Lebenswelt können viele dabei kaum mithalten.
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Die Affinität Österreichs zu Eis und Schnee stoppt keineswegs an den Skipisten der Nation. Vielmehr geht sie weit darüber hinaus und reicht weit in die Geschichte zurück. Bereits vor 150 Jahren konzentrierte sich die Aufmerksamkeit im Rahmen eines aufsehenerregenden Unterfangens auf das ewige Eis. Damals legte die berühmte Payer-Weyprecht-Expedition den Grundstein für die österreichische Polarforschung.

Gefeiert wie Superstars

Im Juli 1872 verlässt das Expeditionsschiff S/X Admiral Tegetthoff mit 24 Mann Besatzung den norwegischen Hafen Tromsø. Das Ziel der aus ganz Österreich-Ungarn rekrutierten Mannschaft ist die Erkundung des Nördlichen Eismeeres, im Mittelpunkt steht auch die Suche nach der Nordostpassage. Nur wenige Wochen nach Abreise bleibt das mit einem Hilfsmotor ausgestattete Segelschiff im Eis stecken und wird in bis dahin unbekannte Polarregionen abgetrieben. So entdecken die Forschungsreisenden im August 1873 eine Inselgruppe, die sie nach Kaiser Franz Joseph I. auf den Namen Franz-Josef-Land taufen. Mit Schlitten und zu Fuß wird das Gebiet erkundet und kartiert.

Nach weiteren Expeditionen gen Norden verlässt die Mannschaft im Frühjahr 1874 das im Packeis festsitzende Schiff und tritt den Rückweg mit Schlitten und Booten an. Im Gepäck befinden sich sämtliche Aufzeichnungen, die während des zweijährigen Aufenthaltes im Eis entstanden sind. Trotz erheblicher Strapazen und zeitweiliger Verzweiflung erreicht die Gruppe am 25. September 1974 den Wiener Nordbahnhof. Die Polarforscher und Expeditionsleiter Carl Weyprecht und Julius Payer wie auch ihre Mannschaft werden medial und real wie Superstars gefeiert. Tausende Menschen begrüßen und bejubeln die Forscher bei ihrer Ankunft.

Kooperation statt Wettlauf

War die Franz-Josef-Land-Entdeckung ein in der Geschichtsschreibung teils romantisch verklärter Zufall, prägte eine pionierhafte Idee die Wissenschaft bis dato. Das von Expeditionsleiter Carl Weyprecht erdachte internationale Polarjahr – ein länderübergreifendes Programm zur Erforschung der Polarregionen – hob die Forschung auf eine neue Ebene. Weltweite Kooperationen gewannen gegenüber einzelnen, häufig konkurrierenden Expeditionen zunehmend an Bedeutung.

In dieser verbindenden Tradition findet die Polarforschung auch heute statt, wie anlässlich der an der Uni Wien stattfindenden Arctic Science Summit Week deutlich wird. Die heuer vom Austrian Polar Research Institute (APRI) verantwortete Veranstaltung dient der Vernetzung zwischen den wissenschaftlichen Organisationen, die an der Arktisforschung beteiligt sind.

Dass Österreich als weit von der Arktis entferntes Binnenland in die Erforschung der Polarregionen involviert ist, liegt auch am weitreichenden Einfluss der Veränderungen in diesen Gegenden.

Veränderungen durch die globale Erwärmung schreiten in den Polarregionen und speziell der Arktis drei- bis viermal schneller voran als im Rest der Welt.
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Mitteleuropas Wetterküche

In den Polarregionen äußert sich der Klimawandel besonders extrem. Zu den global relevanten Folgen gehört etwa das Tauen des Permafrosts, wodurch große Mengen CO2 und Methan frei werden. "Auch das Wettergeschehen in Mitteleuropa wird bedeutend von Transformationen im hohen Norden beeinflusst", erklärt APRI-Direktor Wolfgang Schöner vom Institut für Geografie und Raumforschung der Universität Graz.

Gemeinsam mit APRI und der Universität Kopenhagen wird die Uni Graz ab August die Polarstation Sermilik auf Grönland betreiben. "Eine der großen Fragestellungen ist, was mit den riesengroßen Eismassen passiert", sagt Schöner, der auch das Schmelzen kleinerer Gletscher am Rande des großen Grönländischen Eisschildes untersuchen wird. "Man sollte jedoch nicht nur das erforschen, was einen interessiert, sondern auch Forschungsfragen aufgreifen, die für die lokale Bevölkerung relevant sind", fügt er hinzu.

Plastikplage in der Arktis

Standen vor 150 Jahren die Erkundung der Polarregionen und die Suche nach der Nordostpassage im Zentrum des Forschungsinteresses, fassen die Forschenden des APRI inzwischen diverse Bereiche ins Auge. So widmet sich Birgit Sattler vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck den vielfältigen Einflüssen des Anthropozäns auf die Arktis. "Es handelt sich um extrem vulnerable Lebensräume mit stark spezialisierten Organismen", erklärt die Forscherin. Veränderungen wie wärmere Temperaturen setzen diese Systeme extremem Stress aus.

Menschliche Einflüsse zeigen sich auch in Form von Mikroplastik und Plastikmüll, von Pestiziden, persistenten Schadstoffen und Emissionen der Industrieländer, die von Wasser und Wind bis ins arktische Eis getragen werden. Hinzu kämen pathogene Keime, gegen die in der Arktis kein Immunsystem gefeit sei. "Wir müssen verstehen lernen, wie die Verbreitungswege funktionieren und wie all diese Stoffe wirken", resümiert Sattler.

Rohstoffe und Grundbedürfnisse

Durch die globale Erwärmung verändern sich die Bedingungen in den Polarregionen drastisch. Diese Umbrüche beeinflussen das Leben von vier Millionen Menschen, die dauerhaft in diesen Breiten wohnen.
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"Die Rohstoffforschung für die grüne Wende ist in der Arktis in den letzten Jahren virulent geworden. Die vielfach veränderte Klima- und Energiepolitik befördert dabei neue Formen des Kolonialismus", sagt die Politologin Gertrude Saxinger, tätig an der Uni Wien und der Uni Bern. Der Abbau von Ressourcen bringe massive Einschnitte für vier Millionen Menschen, die in der Arktis leben. Diese formieren sich in dekolonialen Bewegungen, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.

"In Alaska und Kanada ist die rechtliche Mitsprache indigener Gruppen sehr gut verbrieft, Europa hinkt hier teils sehr weit hinterher", sagt die Forscherin. Sie plädiert dafür, auch Bedürfnisse der indigenen und lokalen Bevölkerung zu berücksichtigen. Für diese sei etwa wichtig zu wissen, wie sich der Klimawandel und all seine Folgen auf die Nahrungssicherheit auswirken. Für Jäger und Fischer sei etwa relevant, wie sicher die Eisdecke ist, wenn sie zu Jagd- oder Fischgründen aufbrechen. (Marlene Erhart, 21.2.2023)