Jürgen Melzer weiß nicht, wie es mit Thiem weitergeht.

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Dominic Thiem war auch in Rio verzweifelt. Sich an Niederlagen zu gewöhnen fällt ihm logischerweise schwer. Es geht darum, endlich Lösungen zu finden, denn schön langsam drängt die Zeit.

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Nicht täglich, aber doch wöchentlich grüßt das Murmeltier. Dominic Thiem ein Tennismatch. Die Orte des Grauens wechseln logischerweise (die Bezwinger detto), die ATP-Tour ist ja nicht irgendwo einzementiert, sie tourt, wie der Name sagt, um die Welt. Diesmal hat es in Rio de Janeiro gemurmelt.

Thiem unterlag in der ersten Runde des Sandplatzturniers dem Brasilianer Thiago Monteiro 1:6, 6:3, 6:7 (2). Immerhin 2:45 Stunden hat es gedauert. Monteiro ist in der Rangliste die Nummer 83, liegt 13 Plätze vor dem 29-jährigen Niederösterreicher. "Es ist, wie es ist. Nächste Woche, nächste Chance", sagte der verärgerte und geknickte Verlierer. "Ich habe natürlich einen schlechten Start erwischt, bin nicht wirklich zurechtgekommen am Anfang."

Im dritten Satz hatte er einige Breakchancen, um sie zu vergeben. Es folgte die absolute Chancenlosigkeit im Tiebreak. "Da fehlt mir einfach die letzte Überzeugung." 2017 hatte er in Rio den Titel geholt, aber Erinnerung ist doch nur eine Reifenspur im Sand. Bilanz 2023: sieben Spiele, sechs Niederlagen. Dabei sind die Auslosungen nicht übel gewesen.

Österreichs Verbandssportdirektor und Daviscup-Kapitän Jürgen Melzer hat Anfang Februar eine Woche mit Thiem verbracht. Aus beruflichen Gründen, in Rijeka fand bekanntlich der Länderkampf gegen Kroatien statt. Thiem verlor beide Einzel ohne Satzgewinn, Kroatien siegte vor allem deshalb 3:1.

Schwer motiviert

Am 21. Februar sagt Melzer dem STANDARD, gefragt, welchen Eindruck er damals denn hatte: "Er war schwer motiviert, hat alles gemacht, was zu machen ist. Er vermittelte keine negativen Gefühle, war bei jedem Spaß und auch Ernst dabei. Und dann war er enttäuscht."

In diversen Foren polarisiert Thiem, die sozialen Medien sind gnadenlos, produzieren neben ein paar aufmunternden Kommentaren in erste Linie Müll. Er solle endlich aufhören, heißt es, er sei nicht motiviert, habe eh ausgesorgt. Melzer: "Diese selbsternannten Tennisexperten, die glauben, alles besser zu wissen, haben keine Ahnung, sie sollten eher den Mund halten. Ich maße mir kein Urteil an, ich kann nur eine Momentaufnahme schildern, bin ja im Alltag nicht dabei." Er, Melzer, werde sich hüten, "eine Meinung über das Umfeld abzugeben".

Tennisspezifisches ist dem 41-Jährigen freilich nicht entgangen. "Die Rückhand ist wirklich hervorragend, aber die Probleme mit der Vorhand sind groß. Er lässt sich in die Defensive drängen, steht zu weit hinter den Linien, hat das Gesetz des Handelns verloren." Und das sei für eine ehemalige Nummer drei und einen Sieger der US Open 2020 doch eine völlig neue Erfahrung. "Wer das Siegen in Serie gewöhnt ist, kann mit Niederlagen in Serie schwerer umgehen." Nicht nur Tennis finde im Kopf statt. "Es geht darum, wie viele Rückschläge du verkraften kannst. Und welche Lösungen du findest, um wieder in die Erfolgsspur zu geraten."

Mental bitter

Thiems im Juni 2021 erlittene schwere Handgelenksverletzung sei natürlich der Auslöser für den aktuellen Zustand gewesen. "Das Handgelenk ist die Verlängerung zum Schläger. Für einen Tennisprofi ist das auch mental eine der bittersten Verletzungen. Wobei Dominic versichert hat, nun wieder völlig schmerzfrei zu sein." An mangelnder Bereitschaft liegt es laut Melzer nicht. "Wäre er nicht bereit, würde er aufhören. Das Wissen, nicht von heute auf morgen wieder die Nummer drei zu werden, hat er natürlich." Melzer wagt keine Prognosen. "Den Weg muss er gehen, es geht nur Schritt für Schritt."

In der nächsten Woche tritt Thiem beim ATP-250-Sandplatz-Event in Santiago de Chile, der Heimat seines Coaches Nicolas Massu, an. Für das Masters-1000-Turnier in Indian Wells (Hartplatz, ab 8. März) hat er eine Wildcard bekommen, das ist eine Anerkennung für vergangene Leistungen.

Das Murmeltier steht jedenfalls bereit. Thiem sagte ja in Rio: "Es ist, wie es ist. Nächste Woche, nächste Chance." Vielleicht versäumt das Murmeltier den Flieger. Das wäre vermutlich keine Lösung, aber doch ein Schritt. (Christian Hackl, 21.2.2023)